# taz.de -- Stadtvertreter über Warteschlangen: „Das macht die Leute krank“ | |
> Bremer Ämter sind natürlicher Lebensraum für Riesenschlangen. Im | |
> Interview wehrt sich der Personalrat des Stadtamtes Rainer Besser gegen | |
> Kritik | |
Bild: Geduldiger als die Wartenden in den Behörden: hoheitliches Amtspapier | |
taz: Herr Besser, wegen der Wartezeiten gab es im Standesamt-Mitte | |
tumultartige Zustände. Zweimal musste die Polizei anrücken. Was war da los? | |
Rainer Besser: Leute warten seit Wochen auf Anmeldetermine, für Neugeborene | |
gibt es keine Geburtsurkunden. Ohne die bekommen Eltern kein Kindergeld. | |
Ich kann den Ärger voll und ganz verstehen. In der Situation würde ich auch | |
meinen Unmut äußern, natürlich ohne gewalttätig zu werden. Mitarbeiter | |
haben sich sogar eingeschlossen, weil sie um ihre Sicherheit besorgt waren. | |
Der Innensenator Mäurer sagte, der Personalrat sei „ein Teil des Problems“ | |
der langen Wartezeiten. Wie sehen Sie das? | |
Der Innensenator macht es sich sehr leicht. Wir stehen einem Kompromiss | |
nicht im Weg. Für eine Lösung des Problems müsste man allerdings mit uns | |
reden. Der Senator hat leider kein einziges Mal mit uns gesprochen. | |
Was ist denn der Grund für die langen Wartezeiten? | |
Wir werden vom Senator für Finanzen kaputt gespart. Bei uns gibt es keine | |
festen Planstellen. Auch deswegen haben wir viele personelle Abgänge. Diese | |
Stellen dürfen wir nicht neu besetzen. Hinzu kommen noch Pensionierte. | |
Allein im vergangenen Jahr sind davon 39 Stellen betroffen. 30 davon | |
durften wir nicht neu besetzen. Auf der Arbeit bleiben die übrigen Kollegen | |
sitzen. Vor alle junge Leute, die Planungssicherheit brauchen, weil sie | |
etwa eine Familie gründen wollen, können wir nicht hier halten. | |
Wie geht es der Belegschaft dabei? | |
Die Beschäftigten sind überlastet. Das zeigt sich im hohen Krankenstand. | |
Durchschnittlich fehlt ein Beamter hier 33 Tage im Jahr – jeder zehnte ist | |
krankgeschrieben. | |
Woran liegt das? | |
Der Dauerstress ist nicht auszuhalten. Die Kollegen und Kolleginnen kämpfen | |
sich durch. Wir arbeiten nach einer festen Taktung, jeder Fall darf nur 15 | |
Minuten dauern. Die Ausstellung eines Personalausweises dauert etwa 15 | |
Minuten. Ist es komplizierter, dauert ein Fall auch mal 25 Minuten. Für den | |
nächsten Vorgang habe ich danach nur noch fünf Minuten. Dieser Taktung | |
läuft man hinterher. Wo bleibt da noch die Zeit für den Toilettengang oder | |
den Weg zur Kaffeemaschine? Das macht die Leute krank. | |
Wir wäre es da mit personeller Unterstützung? Mäurer warf dem Personalrat | |
vor, dass er gegen die Beschäftigung von studentischen Hilfskräften ist. | |
Grundsätzlich sind wir nicht gegen Hilfskräfte. Aber auch die muss zunächst | |
ein fester Mitarbeiter einarbeiten. Und das grundsätzliche Problem lösen | |
sie nicht. Welche vernünftige privatwirtschaftliche Firma versucht, | |
dauerhafte Lücken mit Hilfskräften zu besetzen? In Teilen kommt es durch | |
Hilfskräfte sogar zu einer höheren Belastung der festen Mitarbeiter. | |
Inwiefern? | |
In der Bremer Erklärung gegen prekäre Beschäftigung steht, dass Hilfskräfte | |
zusätzliche Aufgaben übernehmen sollen. Bei uns können studentische | |
Hilfskräfte nach der Einarbeitung leichtere Aufgaben übernehmen, wie etwa | |
Ummeldungen innerhalb Bremens. Das dauert im Regelfall nicht länger als | |
fünf Minuten. Diese leichten Fälle fehlen dann allerdings den | |
Sachbearbeitern in ihrer Taktung. Die beschäftigen sich dann nur noch mit | |
komplizierteren Fällen, laufen der Arbeit hinterher und haben keine gesunde | |
Mischung mehr. | |
Wo ist das Problem? | |
Das ist sehr anstrengend: Nach sechs Stunden Publikumsverkehr im Stadtamt | |
sind unsere Mitarbeiter fertig. Eine dauerhafte Lösung kann nur mehr | |
Kernpersonal sein. Zudem steigt mit studentischen Hilfskräften die | |
Fehlerquote. | |
In der Vergangenheit adressierten Sie auch Vorwürfe an die | |
Stadtamtsleitung, namentlich Marita Wessel-Niepel. | |
Man kann ihr nicht alleine die Schuld an allem geben. Die Problematik im | |
Stadtamt gab es auch schon vor Wessel-Niepels Amtsantritt. Was soll sie | |
tun, wenn Personal fehlt? Allerdings laufen manche Dinge unter ihr wirklich | |
schlecht: Zum Beispiel gibt das Stadtamt im Jahr über 8.000 Euro für | |
Mietblumen aus. Die wären in Maßnahmen für die Gesundheit der Mitarbeiter | |
deutlich besser aufgehoben. Früher gab es etwa Supervisionen, das hat ein | |
wenig geholfen. | |
In welchem Umfang müsste das Personal im Stadtamt aufgestockt werden? | |
Selbst die Gewerkschaft der Polizei hat uns in unserer Forderung | |
unterstützt, dass wir 70 Stellen mehr bräuchten, um unsere Aufgaben | |
angemessen bewältigen zu können. Minimal bräuchten wir 50 Stellen mehr. | |
Warum gibt es das Problem schon so lange? | |
Das liegt daran, dass die Politik nur Flickschusterei betreibt. Jedes Jahr | |
in der Urlaubszeit, wenn das Problem unübersehbar ist, wird versucht, mit | |
etwa studentischen Hilfskräften auszubessern. | |
Was wäre denn ihrer Meinung nach eine sinnvolle Lösung? | |
Das Standesamt ist auch deswegen so überlastet, weil die Geburtsurkunde in | |
dem Ortsteil ausgestellt werden muss, in dem die Geburt erfolgte. Auch wenn | |
die Eltern etwa aus Niedersachsen kommen. Aus dem Umland fahren die | |
natürlich in Bremer Krankenhäuser. Vielleicht könnte man diese | |
Ortsgebundenheit aufheben und Geburtsurkunden auch an der Meldeadresse der | |
Eltern ausstellen. | |
22 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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