| # taz.de -- Europa-Debatte der SPD: Genossen ohne Fehl und Tadel | |
| > In Berlin diskutiert die Parteispitze über die Herausforderungen der EU – | |
| > und sieht in allem nur ein Verständnisproblem bei den Wählern. | |
| Bild: Der Parteivorsitzende am Samstag in Berlin | |
| Berlin taz | Der spannendste Punkt kommt kurz vor Schluss und steht nicht | |
| auf der Tagesordnung. Ob es angesichts des Brexits „Zeit für Selbstkritik“ | |
| sei, will ein junger Genosse aus den hinteren Reihen wissen. | |
| Vorne stehen Parteichef Sigmar Gabriel, EU-Parlamentspräsident Martin | |
| Schulz und Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Sie ignorieren den | |
| Fragesteller, beantworten lieber einfachere Fragen. Und als sie zur | |
| Beantwortung gedrängt werden, weichen sie aus, reden über Kleinkram. Die | |
| deutsche Mitbestimmung sei durch Europa erschwert worden, sagt Gabriel. Die | |
| Andalusier könnten auf lokaler Ebene besser entscheiden als Brüssel, wie | |
| man mit knappen Wasserresourcen umgeht, sagt Schulz. Selbstkritik sieht | |
| anders aus. | |
| Es ist die Woche 1 nach dem Brexit-Votum, und die SPD hat ausgerechnet | |
| jetzt ihre Debatte zur Europapolitik für das Bundestagswahlprogramm | |
| angesetzt. Im Gasometer in Berlin-Schöneberg, dort, wo sonst Anne Will | |
| diskutieren lässt. Vielleicht 300 Sozialdemokraten sind gekommen. Die | |
| Tagesordnung besteht aus langen Reden der Parteispitzen und einigen Fragen | |
| aus dem Publikum. Letzteres ist wohl ein kleiner Fortschritt an | |
| demokratischer Beteiligung für die Sozialdemokraten. | |
| Gabriel, gerade aus Griechenland zurückgekehrt, redet eine knappe halbe | |
| Stunde. Erwähnt die Jungen, die gegen den Brexit gestimmt haben: „Die | |
| älteren Engländer und Waliser haben es entschieden“, sagt er. „Die Jugend | |
| Großbritanniens ist klüger als die Elite“, sagt er. Heißt das im | |
| Umkehrschluss, dass die britischen Arbeiter dumm sind? Dass weite Teile von | |
| ihnen gegen die EU gestimmt haben, erwähnt Gabriel nicht. | |
| ## Partei ohne Basis | |
| Stattdessen konzentriert er seine Attacken auf die Konservativen: „Ihr | |
| müsst in euer Parteienfamilie aufräumen. Bei Sozialdemokraten gibt es | |
| keinen Orban, keinen Sarkozy, keinen Boris Johnson.“ Noch immer sei „Europa | |
| der beste Platz der Welt für Freiheit, für Demokratie und für sozialen | |
| Fortschritt“ . | |
| Europas Sozialdemokraten stecken in der Zwickmühle: Ihre traditionelle | |
| Arbeiterbasis läuft ihnen davon und wählt lieber linke oder rechte | |
| Parteien. Die Mittelschichten, die jetzt sozialdemokratisch wählen, gehören | |
| eher zu den Globalisierungsgewinnern und sind gegen allzu viel | |
| Umverteilung. | |
| Und dann ist da das spezifisch deutsche Problem der SPD: Die glänzende Lage | |
| auf dem deutschen Arbeitsmarkt verdankt sich teilweise der Tatsache, dass | |
| es den europäischen Nachbarn schlecht geht. Ihre Produkte sind auch wegen | |
| des Euros nicht konkurrenzfähig. Wenn es in Europa gerechter zugehen | |
| sollte, müsste es Deutschland und vielen SPD-Wählern vielleicht schlechter | |
| gehen, weil dann französische statt deutsche Autos gekauft würden. Das | |
| lässt sich in einem Bundestagswahlkampf schlecht verkaufen. | |
| ## Deutscher Egoismus | |
| Gabriel versucht stattdessen den Dreischritt: Erstens soll der Stabilitäts- | |
| und Wachstumspakt „endlich auch zu einem Wachstumspakt“ werden, sprich: | |
| mehr Investitionen vor allem im Süden getätigt werden. Das soll, zweitens, | |
| nicht durch Schulden, sondern durch „ein gerechtes Steuersystem in Europa“ | |
| finanziert werden. Mit mehr Steuern sollen nicht die Mittelschicht oder | |
| deutsche Unternehmen belastet werden, sondern internationale Großkonzerne | |
| wie Google und Amazon, die sich Steuern bisher weitgehend entziehen. | |
| Und drittens sollen der deutschen Bevölkerung die Vorteile der EU erklärt | |
| werden, damit sie nicht AfD wählt: „Wir sind doch Nettogewinner. Geht in | |
| die Betriebsversammlungen und sagt den Beschäftigten, eure Jobs sind weg, | |
| wenn ihr aus Europa austretet.“ Das ist nun das genaue Gegenteil davon, den | |
| Deutschen Verzicht zugunsten europäischer Solidarität zu verkaufen. Es ist | |
| eine Argumentation mit dem deutschen Egoismus: Wir müssen in der EU | |
| bleiben, weil sie uns nützt. Aber was ist, wenn andere Staaten, die | |
| Nettoverlierer, auf die Idee kommen, aus der EU auszutreten, weil sie vor | |
| allem den Deutschen etwas bringt, ihnen aber nicht? | |
| Vertreter sozialdemokratischer Schwesterparteien aus Europa hatte die SPD | |
| nicht eingeladen. Man muss das als Zeichen deuten: Eine gemeinsame | |
| europäische sozialdemokratische Vision gibt es nicht. Nicht mal einen | |
| Franzosen findet man auf SPD-Veranstaltungen, der mehr Kritik und weniger | |
| deutsche Exporte einfordern könnte. | |
| 2 Jul 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Reeh | |
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