# taz.de -- Nutzlose Prävention: Immer mehr Stromsperren | |
> Trotz der Einrichtung eines Runden Tischs und einer Präventionskampagne | |
> der SWB: Die Zahl der Stromsperren in Bremen ist schon wieder | |
> angestiegen. | |
Bild: Immer mehr Haushalten wird trotz Präventivmaßnahmen der Strom gesperrt. | |
BREMEN taz| Seit November ist eine Bremer Kampagne für Hilfe gegen | |
Energiesperren online: „Zappenduster!“ heißt sie und ist vom Runden Tisch | |
„Energiesperren verhindern“ erarbeitet worden. Viel genützt hat sie bisher | |
offenbar nicht: Von Januar bis Mai wurde bereits 3.200 Haushalten in Bremen | |
der Strom gesperrt. Rechnet man das hoch, sind für 2016 fast 7.700 Sperren | |
zu erwarten – mehr als in den vergangenen Jahren. | |
Dabei sollte doch alles besser werden: Der Energieversorger SWB hat im | |
Herbst 2014 – nachdem er in die Kritik geraten war, [1][weil er einem | |
Mehrfamilienhaus in Aumund mehrere Monate lang das Wasser abgestellt hatte] | |
– den Runden Tisch gestartet, bestehend aus Vertretern der Sozialämter, | |
Jobcenter, Verbraucherzentrale, Schuldnerberatungen, Aktionsgemeinschaft | |
arbeitsloser Bürgerinnen und Bürger e.V. (agab) und des Sozial- und | |
Umweltressorts. | |
## Am Procedere hat sich nichts geändert | |
Gemeinsam sollten dort Maßnahmen erarbeitet werden, um Energiesperren zu | |
vermeiden. Herausgekommen ist bisher die Kampagne „Zappenduster!“: | |
[2][Online werden hier Informationen zur Hilfe und Selbsthilfe] in fünf | |
Sprachen zur Verfügung gestellt. Akteure des Runden Tisches klären darüber | |
auf, welche Einrichtung wann am besten helfen kann. | |
Von Energiesparen und Verbrauchskontrolle ist da die Rede, von den | |
Möglichkeiten, Darlehen oder Zuschüsse im Falle von Energieschulden vom | |
Sozialamt zu erhalten. Und auch über Fristen und die Höhe der Gebühren im | |
Falle von Zahlungsverzögerungen oder Energiesperren wird aufgeklärt. | |
Ob und inwiefern die Kampagne angenommen wird, weiß SWB-Sprecherin Angela | |
Dittmer nicht: „Nach den Sommerferien wird Zappenduster evaluiert, die | |
Ergebnisse werden wir im Herbst vorstellen.“ Dann werde die SWB auch | |
„weitere geplante Ansätze“ präsentieren. | |
Deutlich wird bei „Zappenduster“ jedenfalls: Am Procedere für säumige | |
EnergiekundInnen hat sich nichts geändert. So heißt es dort: „Ab 100,00 | |
Euro offenem Rechnungsbetrag erhalten Sie eine Ankündigung der | |
Liefersperre. Das bedeutet, dass nach 21 Tagen Ihr Strom-, Gas- oder | |
Wasseranschluss gesperrt wird, wenn Sie nicht bezahlen. Sie erhalten keine | |
weitere Mahnung!“ | |
## Kein Härtefonds | |
Und weiter steht auf der Internetseite: „Drei Tage vor der Sperre erhalten | |
Sie den ‚Gelben Schein‘. Das ist Ihre letzte Zahlungsaufforderung. Das | |
kostet mindestens 15,71 Euro. Zahlen Sie nicht, kommt ein Servicetechniker | |
und sperrt Ihren Anschluss. (…) Die Kosten für das Sperren und Entsperren | |
des Anschlusses betragen mindestens 85,76 Euro.“ | |
Hier wird also durchaus aufgeklärt – aber das ist nicht das, was die | |
Bürgerschaftsfraktion der Grünen schon seit zwei Jahren fordert: Die | |
Einrichtung eines Härtefonds nach hannoverschem Vorbild. Dieser 150.000 | |
Euro umfassende Fonds in der niedersächsischen Landeshauptstadt wird dort | |
vom Energieversorger getragen und dient der Unterstützung Bedürftiger, | |
denen Energiesperren drohen. | |
Einen solchen Fonds gibt es in Bremen bis heute nicht. Für die | |
Verbraucherzentrale, die selbst Teil des Runden Tisches „Energiesperren | |
verhindern“ ist, wäre er ohnehin nicht ausreichend. Als „Armutskennzeichen… | |
bezeichnete kurz vor der ersten Zusammenkunft des Runden Tisches ihre | |
damalige Geschäftsführerin die Zahl der Stromsperren. Es reiche nicht, | |
einen Härtefonds einzurichten. Auch eine umfassendere Budgetberatung und | |
Ablesungen in kürzeren Zeiträumen seien wichtig, um Schulden zu vermeiden. | |
## Zu hohe Raten | |
Eine monatliche Abrechnung ist allerdings für arme Menschen nicht leistbar, | |
weil sie zusätzliche Gebühren kostet. Daran hat sich ebenso wenig geändert | |
wie am sonstigen Fristen- und Gebührensystem der SWB oder daran, dass es im | |
Ermessen der Sozialämter oder Jobcenter liegt, ob sie für Energieschulden | |
Darlehen gewähren oder nicht. | |
So berichtet eine Betroffene, die 800 Euro Energiekosten nachzahlen muss, | |
dass die SWB keine kleineren Abzahlungsraten als 80 Euro monatlich | |
akzeptiert habe: „Als alleinerziehende Mutter hat man keine 80 € im Monat | |
über.“ Und ein Darlehen beim Jobcenter habe man abgelehnt mit der | |
Begründung “Kein unabwendbarer Bedarf“. | |
Um bei der Prävention künftig genauer ansetzen zu können, sagt Angela | |
Dittmar, habe man damit begonnen, die Zahl der Stromsperren zu analysieren: | |
„Wir wissen jetzt für das Jahr 2014, dass es 900 Mehrfachsperrungen gab, | |
also Haushalte, denen öfter als einmal im Jahr der Strom gesperrt wurde.“ | |
Die Analyse für 2015 läge noch nicht vor. | |
## Linke fordert Sperr-Verbot | |
Für Doris Achelwilm und Felix Pithan vom Landesverband der Linken sind | |
weder Analysen noch ein Härtefonds noch präventive Maßnahmen ausreichend: | |
Sie sprechen angesichts der aktuellen Zahl der Stromsperren in Bremen vom | |
„Scheitern des Runden Tisches“ und fordern ein generelles Verbot von | |
Energiesperren – mindestens im Winter, so, wie es in Frankreich und Belgien | |
bereits der Fall ist. | |
Darüber hinaus müsse die Grundsicherung an die gestiegenen Energiepreise | |
angepasst und Sondertarife für Bedürftige eingeführt werden. | |
10 Jul 2016 | |
## LINKS | |
[1] /1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/ | |
[2] http://www.sos-stromsperre.de | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
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