# taz.de -- Methangas im Kivu-See: Strom aus tödlicher Gefahr | |
> Tief unten im Kivu-See hat sich eine riesige Gasmenge angesammelt. In | |
> Ruanda wird damit jetzt das erste kommerzielle Kraftwerk gespeist. | |
Bild: Das Methankraftwerk am Kivu-See in Ruanda, hier noch in der Bauphase | |
Für Afrika ist es eine Revolution in der Energieerzeugung. Ruandas | |
Präsident Paul Kagame eröffnete Mitte Mai am Ufer des Kivu-Sees, der Ruanda | |
von der Demokratischen Republik Kongo trennt, das erste kommerzielle | |
Methangaskraftwerk. | |
Mit einer Kapazität von 25 Megawatt gehört das Kraftwerk beim Ort Kibuye | |
zur ersten Ausbauphase eines auf 100 Megawatt angesetzten Großprojekts der | |
US-Firma ContourGlobal, das die Methangasvorkommen in den Tiefengewässern | |
des Sees ausbeuten und für die Energiegewinnung nutzen soll. | |
Die Weltbank, die Afrikanische Entwicklungsbank sowie die Niederlande und | |
Belgien beteiligen sich an der Finanzierung des 350 Millionen US-Dollar | |
teuren Projekts KivuWatt. Das Gas, das in mehreren hundert Metern Tiefe am | |
Boden des Sees schlummert, wird auf eine Gasplattform 13 Kilometer vor dem | |
Seeufer hochgepumpt und dann per Pipeline in ein Kraftwerk am Festland | |
geleitet, das den daraus gewonnenen Strom in das Stromnetz einspeist. Bis | |
zu 700 Megawatt Stromkapazität, sagen Experten, sind aus der Nutzung der | |
gigantischen, auf 55 Kubikkilometer geschätzten Methanreserven des | |
Kivu-Sees über ein Jahrhundert zu gewinnen – so viel, wie ein großer | |
Staudamm liefert. | |
Die Eröffnung des Kraftwerks von Kibuye ist das Ergebnis jahrzehntelanger | |
Tüftelei. Im Jahr 1935, als Ruanda und Kongo belgische Kolonien waren, | |
entdeckte der belgische Zoologe Hubert Damas als Erster ungewöhnlich hohe | |
Konzentrationen von Methan und Kohlendioxid in den Tiefengewässern des bis | |
zu 482 Meter tiefen Kivu-Sees. Ein kleines Pilotkraftwerk, gebaut von der | |
Union Chimique Belge, entstand 1963 direkt nach Ruandas Unabhängigkeit vor | |
der Stadt Gisenyi an der kongolesischen Grenze im Nordwesten des Landes und | |
versorgte die Brauerei dort mit Energie. Ein weiteres Pilotprojekt versorgt | |
die Stadt Gisenyi seit einigen Jahren mit Strom aus Methangas. | |
## Der Druck muss reduziert werden | |
Die technische Herausforderung bei der Nutzung des Methans aus dem See | |
besteht darin, den enormen Druck des Gases am Seeboden beim Aufstieg an die | |
Oberfläche von 35 auf 2 Bar zu reduzieren, damit nicht alles in die Luft | |
fliegt. Auch muss das Methan vom Kohlendioxid getrennt werden. Das | |
Kohlendioxid sowie das vom Methan gereinigte Wasser werden dann wieder in | |
den See zurückgeleitet. Mit dem neuen Kraftwerk hat ContourGlobal nun das | |
geschafft, was allen Vorgängern bisher nur im Kleinformat gelungen war. | |
Denn dabei kann man viel falsch machen, sagt der deutsche Geophysiker Klaus | |
Tietze, der seit Jahrzehnten die Gasvorkommen des Kivu-Sees erforscht. In | |
dem See herrscht ein äußerst fragiles Gleichgewicht zwischen gashaltigen | |
Wasserschichten in der Tiefe und weniger gashaltigen an der Oberfläche. Wer | |
dieses stört, riskiert ein Umkippen des Sees und das Entweichen einer | |
Gaswolke, die alle Anrainer des Sees – mehrere Millionen Menschen, darunter | |
die kompletten Bevölkerungen der kongolesischen Millionenstädte Goma und | |
Bukavu – im Handumdrehen töten würde. | |
Am kamerunischen Nyos-See starben im Jahr 1986 1.800 Menschen, als eine | |
CO2-Wolke entwich und ganze Dörfer bedeckte. Der 2.700 Quadratkilometer | |
große Kivu-See enthält 300-mal so viel Gas wie der Nyos-See – insgesamt | |
kaum vorstellbare 300 Kubikkilometer Methan, Kohlendioxid und Stickstoff, | |
davon 55 Kubikkilometer Methan – und seine Anrainerbevölkerung ist um ein | |
Vielfaches größer. | |
Andererseits, das betont auch Tietze sowie sein französischer Kollege | |
Michel Halbwachs, ist die Methanextraktion aus dem Kivu-See nicht nur | |
ökonomisch sinnvoll, sondern auch notwendig. Die Gaskonzentration im See | |
steigt beständig an. Im Jahr 2006 kamen Experten der US-Universität | |
Michigan gemeinsam mit dänischen Experten zu dem Schluss, dass in 100 bis | |
200 Jahren eine katastrophale Gaseruption zu erwarten sei, wenn dem nicht | |
Einhalt geboten wird. Seit 1975 ist die Methanmenge um 15 Prozent | |
gestiegen. | |
Direkt nördlich vom Kivu-See liegt der aktive Vulkan Nyiragongo, in dessen | |
Krater es ständig brodelt. Der letzte Ausbruch im Jahr 2002 zerstörte die | |
halbe Stadt Goma. Ein Teil der Lava ergoss sich damals in den See, aber der | |
Ausbruch selbst, aus Rissen an den Flanken des Vulkans, befand sich 8 | |
Kilometer vom See entfernt, sodass das Schlimmste nicht eintrat. Ein | |
gigantischer plötzlicher Lavafluss direkt in den See, der die Gewässer bis | |
zum Boden aufwühlt, könnte riesige Mengen an Gasen entweichen lassen. | |
## Weiterer Ausbau ist geplant | |
Jenseits dieser Erwägungen ist die Nutzung der Methangasvorkommen ein | |
immenser Fortschritt für die Region. Bei seiner Fertigstellung wird das | |
KivuWatt-Projekt allein Ruandas Stromproduktion verdoppeln – das Land, | |
dessen Wirtschaft sehr schnell wächst, ächzt unter Energieknappheit und der | |
Notwendigkeit teurer und umweltschädlicher Dieselimporte. Kongo erwägt | |
eigene Projekte, damit nicht Ruanda allein das Gas ausbeutet: Die | |
südafrikanische Kivu Lake Energy Corporation und ein Konsortium von Firmen | |
aus Kenia, Schweden und Tunesien bewerben sich um ein geplantes | |
kongolesisches Methangaskraftwerk mit einer Leistung von 25 bis 33 | |
Megawatt. Es ist die erste Stufe einer auf 200 Megawatt geplanten | |
Entwicklung. Um Konflikte um das Gas zu vermeiden, haben Kongo und Ruanda | |
Ende April in Goma ein gemeinsames Expertenkomitee zur Überwachung der | |
Methangasprojekte beider Länder gegründet. | |
Kongo und Ruanda haben viel mehr zu gewinnen als zu verlieren. Nur 16 | |
Prozent der Ruander haben derzeit Zugang zu Elektrizität und nur 9 Prozent | |
der Kongolesen. Der Rest der Bevölkerung rund um den Kivu-See ist auf | |
Holzkohle als einzige Energiequelle angewiesen, die viel teurer ist als der | |
zu erwartende Methangas-Strom und vor allem auf der kongolesischen Seite | |
des Sees eine mittlerweile katastrophale Entwaldung herbeiführt. Ruanda | |
möchte mit dem zusätzlichen Strom eine verarbeitende Industrie auf | |
Grundlage seiner Bergbauressourcen aufbauen und zum Stromexporteur werden. | |
In Ruanda und Kongo sind Zementfabriken in der Planung. Es gibt auch | |
Überlegungen, das Methan zur Produktion von Düngemittel zu nutzen. | |
Manche haben Bedenken, vor allem die Fischer. Sie fürchten, dass sich der | |
Säurehaushalt des Sees verändert und die Methanextraktion den Algenwuchs | |
fördert, was die Reproduktion der Fische stört. Für diverse Gerüchte sorgte | |
kurz vor der Inbetriebnahme des Kraftwerks von Kibuye der Umstand, dass der | |
See plötzlich einige Tage lang eine grünliche Farbe annahm – viele | |
fürchteten, es habe unter Wasser irgendein seltsames Phänomen im | |
Zusammenhang mit den nahen Vulkanen gegeben. Der Kivu-See birgt noch viele | |
Geheimnisse, und manche denken, man sollte ihn lieber nicht stören. | |
8 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
François Misser | |
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