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# taz.de -- Methan-Förderung in Kongo und Ruanda: Explosiv wie Champagner
> Strom für viele, aber Lebensgefahr für Anwohner: Aus dem Kivu-See im
> Herzen Afrikas wird Methan gefördert - noch testweise, bald industriell.
> Wissenschaftler warnen vor einem Inferno.
Bild: Arbeiten und leben am Kivu-See: Fischer in der kongolesischen Stadt Goma.
GISENYI taz | Sanft plätschern Wellen ans Ufer. Kinder spielen am
Sandstrand, Jugendliche planschen hüfttief im klaren Wasser. Der Kivu-See
im Herzen Afrikas liegt malerisch zwischen den Kaffeeplantagen auf den
Hügeln Ruandas und den Virunga-Vulkanbergen des Ostkongo. Und in seinen
Tiefen, mitten im ostafrikanischen Grabenbruch, schlummert ein
gefährlicher, aber auch kostbarer Schatz.
Wer auf der ruandischen Seite des Sees die Uferstraße entlangschlendert,
vorbei an der Bootsanlegestelle des Fischereiverbandes, der wird einige
hundert Meter weiter an einem Militärposten gestoppt. Hier beginnt die
Sicherheitszone, die niemand ohne Erlaubnis passieren darf. Denn das, was
sich hinter der Straßensperre am Ufer befindet, ist von strategischer
Wichtigkeit und könnte in einer Explosion wie ein gewaltiger Feuerball die
ruandische Uferstadt Gisenyi auslöschen.
Der Kivu gilt als der gefährlichste See der Welt. Denn in den über 70 Meter
tiefen Wasserschichten des 485 Meter tiefen Gewässers sind Gase unter Druck
gelöst, wie in einer Sprudelflasche: 54 Kubikkilometer Methan und 250
Kubikkilometer Kohlendioxid. Was den See so gefährlich macht, ist der
sogenannte Champagnereffekt. Die oberen Wasserschichten funktionieren wie
ein Korken. Sie sorgen für den nötigen Druck, unter dem das Gas im Wasser
gelöst ist. Doch wenn ein Erdbeben, Lavaströme aus den nahe gelegenen
Vulkanen oder hohe Wellen die oberen Schichten aufwirbeln, dann sinkt der
Druck, und das Gas entweicht.
Gefährliches Gas
Eine solche Gaswolke hatte 1986 der Nyos-See in Kamerun ausgespuckt. Weil
das Gas schwerer als Luft ist, rollte eine Lawine aus 1,7 Millionen Tonnen
Kohlendioxid ans Ufer. 1.746 Menschen und mehr als 2.000 Tiere erstickten
innerhalb von Minuten. Ab und zu blubbern auch im Kivu Blasen an die
Oberfläche, die Schwimmern den Atem rauben, denn Methan ist schwerer als
Sauerstoff. Auch tote Fische treiben manchmal an der Oberfläche.
Killerseen werden diese gashaltigen Gewässer genannt. Doch der Kivu ist
einzigartig unter ihnen: Nur er enthält das gefährliche und leicht
entzündliche Treibhausgas Methan. Wissenschaftler warnen dass ein Inferno
droht - in einer der dichtestbesiedelten Regionen der Welt. Deshalb haben
die Regierungen Ruandas und der DR Kongo beschlossen: Das Gas muss raus.
Alexis Kabuto zeigt den Soldaten an der Straßensperre seinen
Sicherheitspass und braust dann mit seinem Geländewagen die Uferstraße
entlang. In einer Bucht schweißen Ingenieure an einer Plattform herum:
"Diese Station wird gerade überholt", erklärt er und zeigt dann mit dem
Finger auf den See hinaus.
Wie eine Ölbohrinsel erhebt sich dort ein 20 Meter hoher Turm aus den Wogen
des Sees. Es ist eine Pumpstation, an der die gelösten Gase aus dem
Tiefengewässer kontrolliert abgesaugt werden. Ein Schlauch treibt an der
Oberfläche. Durch ihn wird das Methan von der 1,8 Kilometer entfernten
Plattform im See zu den gewaltigen Maschinen gepumpt, die in einer
Wellblechhalle am Ufer lärmen.
Kabuto parkt seinen Wagen vor der Halle, steigt aus und öffnet die Tür,
hinter der die Maschinen knattern: "Das sind drei deutsche Generatoren, die
aus dem Methangas Strom erzeugen", erklärt er stolz. Der große Mann im
feinen Anzug ist der Manager der Firma Kibuye Power, der staatlichen
Gesellschaft, die die Methangasanlage betreibt. 1,2 Megawatt (MW)
produziert jeder der drei Generatoren. Die insgesamt 3,6 MW speist Kibuye
Power in das nationale Stromnetz ein. Doch die Menge reicht nicht aus, um
auch nur jeden Haushalt in der Kleinstadt Gisenyi mit einer einzigen
Glühbirne zu beleuchten. Fast jeden zweiten Abend fällt in den Strandbars
am Ufer der Strom aus.
Die Methangasplattform ist Ruandas Vorzeigeobjekt. 20 Millionen Dollar hat
die Regierung in die weltweit einzigartige Anlage investiert, und Manager
Kabuto führt sie gern vor. Ruanda sucht nach Investoren, um die derzeitigen
Pilotstationen im Kivu-See zur Massenproduktion aufzurüsten. Insgesamt 700
MW könnte das Methan im Kivu langfristig produzieren, so die Ergebnisse
optimistische Studien. Die Anrainerstaaten Ruanda und DR Kongo teilen sich
dieses Potenzial: 250 MW erhält jedes Land für sich. Und gemeinsam wollen
die beiden Nachbarn ein Projekt in Angriff nehmen, bei dem 200 MW Strom
gewonnen werden sollen. Doch noch ist die kongolesische Regierung in
Kinshasa nicht so weit, überhaupt in die konkrete Planungsphase
einzusteigen.
In Ruanda hingegen schwärmt Kabuto bereits von einer industriellen
Produktion. Er steigt am Ufer neben den Maschinen in ein Schlauchboot, das
drei Ingenieure zum Schichtwechsel zur Plattform bringt. Ingenieur Kabuto
erzählt von seinem Studium in Deutschland. Aus seiner Begeisterung für
deutsche Technik macht er im modernen Betriebsraum auf der Methanstation
keinen Hehl. Er zeigt auf den Computerbildschirm, auf dem die Plattform in
bunten Farben dargestellt ist. In der Mitte ist eine rosafarbene
Tauchglocke zu sehen: "Hier kommt das Gasgemisch an: 49 Prozent Methan, mit
Kohlendioxid gemischt", schreit er laut, um das Knattern der Pumpstation zu
übertönen. Dann zeigt er auf einen Kasten daneben: "Hier wird dann das
Kohlendioxid vom Methan getrennt und ausgewaschen."
Strom für Nachbarländer
Kibuye Power verfügt über eine Konzession, um insgesamt 50 Megawatt zu
erzeugen. "In zwei bis drei Jahren können wir dies erreichen", sagt der
Kabuto. Doch dazu müsse die Plattform ausgebaut werden. Investitionen von
200 Millionen Dollar sind nötig, über die Ruandas Regierung nicht allein
verfügt. Doch das kleine Land ist auf billigen Strom dringend angewiesen.
Eine Studie vom September 2009 besagt: Nur 10 Prozent der Haushalte haben
einen Stromanschluss - die meisten davon in der Hauptstadt Kigali. Der
Hauptteil der Energie wird aus Wasserkraft gewonnen. Doch während der
Trockenzeit sinken die Pegelstände der Seen und Flüsse, die Kraftwerke
liefern nicht genügend Strom. In diesen Zeiten knattern dann überall in
Ruanda die Dieselgeneratoren, um Bürohäuser und Industrieanlagen am Laufen
zu halten.
Doch der Dieseltransport von dem weit entfernten Hafen an Kenias Küste sei
teuer und nicht umweltfreundlich, betont Coletha Ruhamya, Ruandas
Staatsministerin für Wasser und Energie. Die junge Frau sitzt in ihrem Büro
im Ministerium für Infrastruktur in Kigali. Vor dem Ministerium wird gerade
die Straße frisch geteert. Unweit des Ministeriums entsteht gerade Afrikas
größtes Konferenzzentrum, Fünfsternehotel und Einkaufszentrum inklusive. Um
all diese Neubauten beleuchten zu können, brauche es viel mehr Strom, als
Ruanda derzeit produziert, nickt Ruhamya: "Wir haben erkannt, dass wir uns
wirtschaftlich nicht entwickeln können, wenn wir nicht genügend billigen
Strom erzeugen."
Deswegen denkt man im Infrastrukturministerium darüber nach, Projektanlagen
für die Gewinnung von Biogas, Thermal- oder Solarenergie zu errichten. Von
all diesen Ressourcen scheint das Methangas am vielversprechendsten. 2020,
so die Ministerin, würden 35 Prozent der Haushalte an das Stromnetz
angeschlossen sein. Auch Stromleitungen zu den Nachbarländern DR Kongo und
Uganda würden derzeit verlegt. Denn man rechne damit, "bald auch Strom in
die Nachbarländer exportieren zu können", sobald alle vier derzeit
geplanten Methanprojekte im Kivu voll funktionieren.
Ivan Twagirashema ist zuversichtlich, die rund 150 Millionen Dollar für den
Aufbau einer 50 MW-Plattform zusammenzubekommen. Twagirashema ist
verantwortlich für das zweite Methanprojekt, das derzeit am Ufer überholt
wird: die Plattform der Rwanda Energy Company, einer Tochterfirma der
Rwanda Investment Group, einer Gesellschaft von Ruandas Oligarchen. "Wir
verhandeln derzeit mit internationalen Investoren, die Teil dieses
spannenden und einzigartigen Projekts sein wollen", berichtet er. Sobald
die Verhandlungen abgeschlossen seien, so Twagirashema, "können wir in drei
bis vier Jahren 50 MW produzieren."
Im Juni produzierte die Anlage 2,4 MW. Doch jetzt muss sie überholt werden,
um die angepeilten 3,6 MW erzeugen zu können. Derzeit warten die Ingenieure
auf Ersatzteile aus Übersee. Dennoch ist Twagirashema überzeugt, die
größten Herausforderungen bereits hinter sich zu haben: "Wir hatten mit
einer Projektidee begonnen, die nur als Theorie auf Papier existierte",
erinnert er sich. Doch er sei überzeugt gewesen, dass nach vielen Tests die
Anlage funktioniert", sagt er und zeigt auf drei Hochglanzfotos über seinem
Schreibtisch. Darauf lodern Fackeln aus einem Turm am Ufer des Kivu-Sees.
"Diese Methanfackeln sind der Beweis, dass wir Gas aus dem See extrahieren,
das brennt: Methan."
All dieser Begeisterung in Ruanda steht der deutsche Geophysiker Klaus
Tietze skeptisch gegenüber. "Papa Kivu" wird Tietze auch genannt. Schon
1974 hatte der damalige Doktorand von einem rostigen deutschen Kahn aus,
Baujahr 1903, speziell entwickelte Messinstrumente in den See getaucht.
Sein Ergebnis: Der See ist ein komplexes System sich gegenseitig
beeinflussender Faktoren, die noch nicht alle erforscht sind. Niemand könne
vorhersagen, wie der See reagiert. "Wenn man die stabilen Schichten
schwächt, dann steigt die Gefahr eines Ausbruchs durch natürliche
Ereignisse gegenüber dem jetzigen Zustand", warnt er.
Als Gutachter für das Regierungsprojekt hat er einen Regelkatalog
aufgestellt, "weil bei der Konstruktion der Förderstationen immer wieder
dieselben Fehler begangen wurden". Er hat Angst, dass der Kiwu
"Zauberlehrlingen" in die Hände fällt, die aus ungenauen und falsch
interpretierten Daten falsche Schlüsse ziehen.
Tietze weiß aus eigener Erfahrung: Viele Investoren handeln
profitorientiert und sparen zuerst an der Forschung.
7 Sep 2010
## AUTOREN
Simone Schlindwein
## TAGS
Ruanda
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