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# taz.de -- Alternative zum Internet in Kuba: Neues per Stick
> Wer kein Internet hat, bekommt mit „El Paquete“ etwas von den Inhalten
> ab. Die digitalen Angebote werden kopiert und offline angeschaut.
Bild: Ein Internetcafé in der Altstadt von Havanna
Havanna taz | Der kleine DVD-Laden in der 19. Straße von Havannas Stadtteil
Vedado hat es. An der Universität von Havanna lässt es sich herunterladen,
und im Süden Havannas kommt es frei Haus – das Paket. El Paquete, wie die
Kubaner es nennen, enthält ein Terabyte Daten. Neben den in Kuba so
beliebten Telenovelas sind auf dem Datenträger aktuelle US-Serien
gespeichert, die Ausgaben der wichtigen US-Tageszeitungen als PDF,
Dokumentationen, aber auch die US-Wahlkampfdebatten und spanisches
Fernsehen.
Aus dem breiten Angebot des Pakets können sich die Kunden herunterladen,
was ihnen gefällt – auf einen Memory-Stick, die eigene Festplatte oder den
eigenen Rechner. Je nachdem, wie sie die wöchentlich aktualisierten
Datenpakete beziehen, im Abo zu Hause oder im Straßenverkauf.
„Sie sind wie ein zusätzlicher Fernsehkanal, den die Leute anschalten, wenn
ihnen das staatliche Angebot auf den Wecker geht“, erklärt Wendy Guerra.
Die 45-jährige Schriftstellerin ist in der komfortablen Situation wählen zu
können. Ihr Mann ist der bekannte kubanische Pianist Hector López-Nussa.
Sie genießen das Privileg des eigenen Internetanschlusses.
Das ist in Kuba bisher nur erfolgreichen Künstlern, einigen wenigen
Stiftungen sowie internationalen Unternehmen vorbehalten. Letztere müssen
für den Anschluss aber tief in die Tasche greifen – online sein, kostet in
Kuba.
## Vertrieb durch Boten
„Ich nabele mich vom indoktrinären kubanischen Mediensystem ab. Meine
Infos erhalte ich über das Internet, Links von Freunden, und hin und wieder
schaue ich ins Paquete“, sagt Guerra. Jeden Montag schwärmen die
Proveedores, die Lieferanten, aus und verteilen das Datenpaket über ein
Netzwerk von Kurieren, DVD-Verkäufern, Webdesignern und
Handy-Reparaturbetrieben über die Insel.
Das funktioniert so gut, dass El Paquete nicht nur am Montag in Havanna
flächendeckend zu bekommen ist, sondern auch in Pinar del Río und Santa
Clara. Den Osten der Insel, Santiago de Cuba oder Guantánamo, erreichen die
Boten hingegen erst am Dienstag, denn die neueste Ausgabe des Infopakets
wird per Bus vertrieben, so José Raúl Concepción. Der junge
Kommunikationswissenschaftler hat seine Abschlussarbeit an der Universität
Havanna über die alternative Informationsquelle geschrieben.
An der „Esquina Caliente“, der heißen Ecke, im Parque Central von Havanna,
wo sich Kubas Baseball-Enthusiasten treffen, lässt sich ohne Zugang zum
Paquete kaum mehr mit diskutieren. Das Neueste aus der US-Mayor League,
Spiele, Infos zur Performance der Spieler, aber auch über Verletzungen
finden sich dort genauso wie alles Wesentliche und Unwesentliche über den
europäischen Fußball.
## Die Highlights der Liga
„Das ist in Kuba fast, wie live zuzuschauen“, sagt Iván García, freier
Journalist und Kuba-Korrespondent der in Miami erscheinenden Tageszeitung
Diario las Américas. Er wohnt im Süden Havannas, wo Touristen kaum
hinkommen, und hat das Infopaket abonniert, um den US-Wahlkampf ebenso
verfolgen zu können wie die Mayor League Baseball. Dort spielen mehrere
Dutzend kubanische Athleten, und am Montagabend kann er dank Paquete die
Aufzeichnung der Highlights der Liga sehen.
Für Sportfans ist das Infopaket, das 50 kubanische Pesos (etwa 2 US-Dollar)
kostet, ein Muss. Für viele andere ist es der Zugang zu Informationen aus
aller Welt. Das haben auch Kubas Politiker erkannt. So hat Abel Prieto,
Exkulturminister und derzeit Berater von Staatschef Raúl Castro, im
Onlineportal CubaDebate geschrieben, dass El Paquete „ein Resultat der
innovativen Kapazität der Kubaner und eine Antwort auf den beschränkten
Zugang zum Internet“ sei.
Zugleich hat der Kulturpolitiker davor gewarnt, das erfolgreiche, wenn auch
illegal kopierte Infopaket zu verbieten oder seine Macher zu verfolgen. Das
nationale Fernsehen müsse besser und attraktiver werden, lautet die
Empfehlung Prietos. Für den Kommunikationswissenschaftler Raúl Concepción
ist das Paket schlicht Kubas „Alternative zum Internet“. Gerade weil sich
darin fast alles Wesentliche findet und der Internetzugang mit 2 US-Dollar
pro Stunde in Kuba teuer ist.
## Großer Konkurrent
Für Kubas Mediensystem ist das Angebot eine echte Herausforderung. So gehen
aktuelle Schätzungen des zum nationalen Fernseh- und Radioinstitut
gehörenden Zentrums für Sozialforschung davon aus, dass 39 Prozent der
Habaneros, der Bewohner Havannas, es regelmäßig nutzen.
Erst vor ein paar Monaten haben sich auch die Macher dahinter geoutet.
Lange war spekuliert worden, ob es sich um Studenten der
Informatikuniversität (UCI) oder Angestellte des staatlichen
Telekommunikationskonzerns Etecsa handelt.
Doch es ist ein Team um den 28-jährigen Elio Héctor López. Der Musikfan
begann vor ein paar Jahren damit, Musik aus dem Internet herunterzuladen.
Sein Job in einer Bank mit Netzanschluss ermöglichte ihm das, und schnell
kam er mit anderen Web-Enthusiasten in Kontakt. Das war der erste Schritt
zu El Paquete.
## Nur kopieren hat keine Zukunft
Doch das Paket, das seit etwa vier Jahren im Umlauf ist, muss sich alsbald
wandeln. Angesichts der Annäherung zwischen Kuba und den USA sehen sich
López und seine Compañeros gezwungen, umzudisponieren. Sie wollen sich
stärker auf Promotion für Künstler und Unternehmen konzentrieren, erklärte
López bei einer Veranstaltung zum Paquete in Spanien. Das hat seinen Grund,
sagt der kubanische Journalist Iván García: „Piraterie ist in Kuba zwar
Alltag, aber US-Unternehmen wie Microsoft werden es nicht dulden, dass ihre
Software kopiert und umsonst vertrieben wird“.
Werbung ist ohnehin schon ein wichtiger Bestandteil des Pakets. Videos
kubanischer Künstler, aber auch Flyer von Restaurants, Bars und
Ankündigungen von Konzerten und Ausstellungen landen in immer größerer Zahl
auf dem Datenpaket. Auch für gut vernetzte Künstler wie Wendy Guerra ist El
Paquete daher eine Infoquelle für all das, was in Havanna so läuft.
8 Jul 2016
## AUTOREN
Knut Henkel
## TAGS
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