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# taz.de -- Lehrermangel in Berlin: Zu wenig Schmäh an der Spree
> Weil Berlins Universitäten den Bedarf an LehrerInnen nicht bedienen
> können, wirbt der Senat sogar in Österreich. Besonders gut läuft die
> Kampagne nicht.
Bild: Ein Konflikt scheinbar ohne Ende: Angestellte Berliner LehrerInnen im War…
Für Patricia Bergmann ist es eine lukrative Rückkehr: Im Studium kam die
Österreicherin für ein Erasmus-Semester an die Humboldt-Universität. Fünf
Jahre später fängt die 26-Jährige als Lehrerin an der Treptower
Kiefholz-Grundschule an – und verdient fast das Doppelte von dem, was sie
aus Österreich gewohnt war. „Berlin ist auch so eine tolle Stadt“, sagt
sie. „Dass mein Beruf hier auch noch finanziell so wertgeschätzt wird, hat
mir die Entscheidung leicht gemacht.“
In ihrer Heimat hat Bergmann wenig Aussicht auf einen Job. Im Dezember hat
sie ihren befristeten Vertrag an einer Wiener Privatschule gekündigt, weil
ihre Stundenzahl reduziert werden sollte. Seither steht sie bei den Wiener
Behörden auf der Warteliste. Lehrerstellen sind in Österreich derzeit
Mangelware.
Ganz im Gegensatz zu Berlin. Der Senat sucht händeringend Lehrkräfte –
wieder mal, und neuerdings auch in Österreich. „Trend statt Tracht“, „Ki…
statt Kaff“ oder „Berliner Schnauze statt Wiener Schmäh“: Mit solchen
Sprüchen will Berlin österreichische Lehrer abwerben. Auf einer der
Anzeigen, die erstmals im April in österreichischen Tages- und
Bezirkszeitungen erschienen, ragt der Fernsehturm übers Alpenpanorama.
„Erweitere deinen Horizont. Und unseren“, steht darunter.
Seit Anfang 2014 hat der Senat 5.692 Lehrer neu eingestellt. Anfangs
überwiegend aus Berlin, dann vermehrt aus anderen Bundesländern wie Bayern
oder NRW. Auch dort warb der Senat um PädagogInnen. Mit Erfolg: Zum
Schuljahr 2015/16 kam jede siebte neue Lehrkraft aus Bayern. Der Umzug ist
finanziell verlockend. Wer in Berlin unterrichtet, erhält zwar keinen
Beamtenstatus wie in München oder Hamburg, kommt dafür aber sofort in
Gehaltsstufe 5: ein Willkommensgeschenk von 500 Euro im Monat.
## Kaum Interessierte bei Infoveranstaltung
Dennoch hat die Senatsbildungsverwaltung noch einen Bedarf von 1.350
LehrerInnen für das kommende Schuljahr errechnet, vor allem an den
Grundschulen. Gerade mal 300 Grundschullehrer werden in diesem Jahr in
Berlin mit dem Studium fertig – zu wenig, um den eigenen Bedarf zu decken.
Dazu kommen rund 800 Willkommensklassen für Flüchtlingskinder. In seiner
Not hat der Senat nun erstmals in Österreich und auch in Holland für einen
Umzug in die deutsche Hauptstadt geworben. Kosten der Kampagne: 100.000
Euro. Ihr unmittelbarer Erfolg: Bei der ersten Infoveranstaltung über
Anstellungsmöglichkeiten an Berliner Schulen erschienen gerade einmal 20
Interessierte.
Darunter auch Patricia Bergmann. Beim Infotag des Senats knüpfte sie
Kontakte zu Berliner Grundschulen, drei davon besuchte sie im Mai. Die in
Lichtenrade war ihr zu weit draußen, die Brennpunktschule in
Hellersdorf-Marzahn traute sie sich noch nicht zu: „Als Anfängerin in einem
unvertrauten Schulsystem wäre das eine zusätzliche Hürde“. In der Treptower
Schule sei die Mischung von Muttersprachlern und Migrantenkindern
„Fifty-Fifty“. 4.500 Euro brutto verdient Bergmann ab September – rund
2.000 mehr als in Wien.
Allzu viele ihrer Landsleute lockt das Angebot aber nicht: Von den rund
1.800 ausgebildeten Lehrern, die sich bis Juni um eine Stelle an einer
Berliner Schule beworben haben, kommen nur 50 aus Österreich. Und das,
obwohl im Nachbarland Ende Mai über 2.000 Lehrer arbeitslos gemeldet waren.
## Quereinsteiger als Lückenfüller
Stattdessen muss Berlin vermutlich wieder viele Quereinsteiger einstellen.
Im vergangenen Schuljahr waren es 300. Eine Maßnahme, die nicht nur
Patricia Bergmann skeptisch sieht: „Die haben keine pädagogische
Ausbildung. Viele stellen sich das Unterrichten zu einfach vor.“ Der Senat
versucht, so viele „richtige“ LehrerInnen wie möglich einzustellen. Im Juli
soll feststehen, wie viele Quereinsteiger dieses Jahr wieder die Lücken
füllen müssen.
Die Landesregierung kann nur hoffen, dass sich das lukrative Angebot in
Österreich herumspricht – schließlich werden im kommenden Jahr sogar 2.250
neue Lehrer in Berlin gebraucht.
26 Jun 2016
## AUTOREN
Ralf Pauli
## TAGS
Lehrermangel
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Verwaltung
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