# taz.de -- Der Fall Gina-Lisa Lohfink: #TeamGinaLisa ist ein Erfolg | |
> Feministinnen solidarisieren sich mit dem Model Gina-Lisa Lohfink. Das | |
> hat für Verwirrung gesorgt. Dabei ist die Reaktion nur folgerichtig. | |
Bild: Keine Einladung zum Sex | |
Am 1. Juni bricht Lohfink bei einer Gerichtsverhandlung zusammen. Es geht | |
um einen Strafbefehl, gegen den Lohfink Berufung eingelegt hatte. Sie soll | |
24.000 Euro wegen einer Falschbeschuldigung zahlen.Der Prozess dreht sich | |
um Videoaufnahmen aus dem Jahr 2012, die zwei Männer und Lohfink zeigen. | |
Bei was sie da zu sehen sind, darüber diskutiert mittlerweile fast jedes | |
Medium – von der Gala bis zur FAZ. Es kursieren Ausschnitte, in denen | |
Lohfink mehrmals „Hör auf“ sagt. | |
Die Falschbeschuldigung sei, dass sie während des vorherigen Prozesses die | |
Vermutung äußerte, man habe ihr K.-o.-Tropfen ins Getränk getan. Julia | |
Schramm, Feministin und Publizistin, fasste als Erste auf Twitter zusammen: | |
„Frau wird vergewaltigt, es wird gefilmt und dem Boulevard angeboten und | |
die Staatsanwältin erhebt Anklage gegen sie.“ Danach twittert sie: | |
#teamginalisa. Nadia Shehadeh griff das auf ihrem Blog „Shehadistan“ und | |
dem Blog der „Mädchenmannschaft“ auf, immer mehr Solidaritätsbekundigungen | |
folgten. | |
Das #TeamGinaLisa steht. Es steht so sichtbar, dass stern.de-Chefredakteur | |
Philipp Jessen schreibt: „Die weibliche Solidarität denkt nicht in | |
Schubladen. Und genau das zeigt die Stärke des jungen, deutschen | |
Feminismus.“ Schwesig tritt in den nächsten Tagen dem Hashtag bei, Heiko | |
Maas treibt die Reform des Sexualstrafrechts weiter voran – mit dem | |
Grundsatz „Nein heißt nein“. | |
## Wie sieht ein Opfer aus? | |
„Hör auf heißt hör auf“ muss es im Fall Lohfink heißen, egal wie sie | |
aussieht. Das ist Konsens unter sich sonst durchaus gegenüberstehenden | |
Lagern. Auch die Emma ist im #TeamGinaLisa. Feministinnen wissen, wie | |
gefährlich die Beurteilung einer Frau nach ihrem Äußeren sein kann. Deshalb | |
hielten viele schon vor fünf Jahren auf dem Slutwalk in Berlin Sprüche wie | |
diesen hoch: My dress is not a yes. Mein Kleid ist keine Einladung. | |
Anlass der Slutwalks war die Aussage eines Polizisten in Kanada, der | |
meinte, junge Frauen sollten sich nicht „wie Schlampen“ anziehen, wenn sie | |
sich nicht der Gefahr einer Vergewaltigung aussetzen wollten. Dieser Satz | |
lässt sich weiter drehen: Wer nicht vergewaltigt werden möchte, solle sich | |
bitte schön auch nicht betrinken. | |
Ein User schreibt auf Twitter: „Die größte Schlampe der Welt will auf | |
einmal vergewaltigt worden sein. #iskla #unnötigeraufwand #teamginalisa“. | |
Da ist eine, die in ihrer Kleiderwahl freizügig ist, die Pornos gedreht | |
hat, sich die Brüste vergrößern ließ und in dieser Nacht getrunken hat. | |
Geben Frauen mit Pegel und Ausschnitt ihr Recht auf sexuelle | |
Selbstbestimmung ab? Es geht um die Fragen: Wie sieht ein | |
Vergewaltigungsopfer aus? Und wie verhält es sich richtig? | |
## Der Schock steht vor der Erkenntnis | |
Diese Fragen bleiben wichtig. Egal, wie der Prozess ausgeht. Dass darüber | |
jetzt gesprochen wird, ist ohne #TeamGinaLisa nicht denkbar. Es hat die | |
geballte Kraft der Feministinnen im Netz gebraucht, um den Blick auf das | |
Schicksal einer Frau zu lenken, die sonst in links-intellektuellen Kreisen | |
verlacht wird. „So eine“ sei das eben, wie eine Journalistin auf Facebook | |
schrieb. | |
Am letzten Wochenende berichtete der Spiegel, dass sich Lohfink eine Nacht | |
nach der besagten erneut mit einem der mutmaßlichen Täter traf. Auf Spiegel | |
Online fühlt sich Jan Fleischhauer bestätigt, dass das #TeamGinaLisa die | |
Ausgeburt hysterischer „SchnellrichterInnen“ sei, für die der | |
Wahrheitsgehalt der Aussagen Lohfinks keine Rolle spiele. | |
Entscheidungen von Gerichten werden immer wieder in Frage gestellt. | |
Natürlich sind Medien nicht dafür da, zu verurteilen. Aber sie sind ein | |
Korrektiv. Wir würden in keiner Demokratie leben, wenn Urteile nicht | |
kritisierbar wären. Gerade in einem Fall, in dem eine Frau wegen | |
vermeintlicher Falschaussage verurteilt wird, nachdem sie eine | |
Vergewaltigung angezeigt hat, liegt ein öffentliches Interesse. Denn das | |
Signal, das bei Opfern ankommt, ist fatal: Wenn du anklagst, rechne mit | |
einer Gegenklage. | |
Die Spiegel-Recherchen belegen nichts. Viele Frauen beschreiben, wie sie | |
erst nach Tagen verstehen, dass etwas passiert ist, das nicht okay war. Für | |
jede Frau, die eine solche Erfahrung macht, steht der Schock vor der | |
Erkenntnis. Viele Frauen haben mit ihrem Vergewaltiger weiterhin Kontakt – | |
etwa, weil er ihr Ehemann ist. | |
## „Vergewaltigung gibt es nicht“ | |
Der Stern zitiert Lohfink aus einem Vernehmungsprotokoll von 2012: | |
„Vergewaltigung, das ist so ein großes Wort. Wie nennt man das, wenn man | |
Sex nicht will?“ Ja, Vergewaltigung ist ein großes Wort. In feministischen | |
Diskursen wird häufig von Consent, von Einverständnis, gesprochen. Wenn | |
eine Frau etwa Ja zum Sex sagt – aber nicht zur Penetration ohne Kondom. | |
Oder: Ja zum Sex, aber Nein zur Filmaufnahme. | |
Die Spiegel-Recherchen machen das diffuse Bild noch undurchsichtiger. | |
Willkommen in der weiblichen Lebensrealität 2016. Eine Realität, in der es | |
kein Verhalten unter Alkohol- oder Drogeneinfluss gibt, kein Opferverhalten | |
oder einen Kleidungsstil, der eine Tat wahrscheinlicher oder | |
unwahrscheinlicher macht. | |
Mithu Sanyal sagte 2012 im Missy Magazine: „Vergewaltigung gibt es nicht.“ | |
Sie meinte damit, dass es die Vergewaltigung, wie wir sie uns vorstellen, | |
selten bis nie gibt. | |
Juristische Klarheit muss ab dem 27. Juni das Amtsgericht Tiergarten in | |
Berlin bringen. Dass parallel dazu vor dem Gericht das Protestbündnis | |
#TeamGinaLisa demonstriert, ist genauso wichtig. Die Botschaft ist: Selbst | |
wenn dir keiner glaubt, gibt es einen Haufen Feministinnen, die hinter dir | |
stehen. In einer Zeit, in der die meisten Frauen Vergewaltigungen nicht | |
anzeigen – aus Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird –, ist dieses Zeichen | |
wichtig und bitter nötig. | |
24 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gottschalk | |
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