# taz.de -- EMtaz: Islands verdienter Erfolg: Knattspyrna ist kein Wunder | |
> Der Aufstieg des isländischen Fußballs beruht auf guter Aufbauarbeit. Auf | |
> der kalten Insel im Nordatlantik wurden dafür elf riesige Sporthallen | |
> gebaut. | |
Bild: Eidur Gudjohnsen mimt das isländische Wetter mit einem Gesichtsausdruck | |
Dieser Text muss mit einer Enttäuschung beginnen. Denn alle Welt liebt | |
Fußballwunder und -märchen, und wenn es an dieser Stelle um Island geht und | |
damit um die erste Teilnahme dieses putzigen Inselstaates im Nordatlantik | |
bei einer Europameisterschaftsendrunde, ja, was soll dies denn bitte | |
anderes sein als ein Wunder? Oder zumindest eine schöne Geschichte vom | |
liebenswerten Exoten, vom insulanischen Underdog? | |
Nein, nichts von alldem. Die Story geht anders. Sie hat so viel mit Märchen | |
und Wundern zu tun wie das isländische Wetter mit Karibikklima. Sie beginnt | |
Mitte der 1990er Jahre, als ein 325.000-Einwohner-Land, in dem große | |
Begeisterung für den Sport mit dem runden Leder vorherrscht, sich nicht | |
mehr mit der Rolle des fußballerischen Entwicklungslandes zufrieden geben | |
will. | |
Geir Thorsteinsson ist jemand, der einem diese Geschichte von Beginn an | |
erzählen kann. Er ist Präsident eines Verbands, dessen Name wie ein | |
onomatopoetisches Gesamtkunstwerk klingt:Knattspyrnusamband Íslands, | |
kurz KSI. Knattspyrna, so heißt der Fußball in Island. Der in der | |
Hauptstadt Reykjavík ansässige Verband der Fußballspieler – der | |
Knattspyrnumanns – zählt etwa 22.000 Mitglieder. Um zu deren Chef | |
Thorsteinsson zu gelangen, braucht man drei E-Mails und wenige Stunden | |
Geduld. Dann hat man ihn an der Strippe. | |
„Wir haben unsere Infrastruktur und die Ausbildung von Trainern und | |
Spielern seit Mitte der Neunziger extrem professionalisiert“, sagt | |
Thorsteinsson routiniert. Journalisten aus aller Welt haben bereits bei ihm | |
angerufen, um zu erfahren, wie die Isländer zu dieser Mannschaft gekommen | |
sind, die den WM-Dritten Niederlande in der Qualifikation rausgekegelt hat. | |
Zweimal hat man die Holländer geschlagen – und sich ziemlich souverän als | |
Gruppenzweiter hinter Tschechien und vor der Türkei qualifiziert. | |
Neun bis zehn Monate Winter pro Jahr | |
Das, was sich hinter Schlagworten wie Professionalisierung und | |
Infrastruktur verbirgt, war eine kleine Revolution des isländischen | |
Fußballs. Sie hat als Erstes mit dem Untergrund zu tun, auf dem man auf der | |
vulkanischen Insel Fußball spielt. Bis vor 20 Jahren habe man auf | |
Naturrasen und Ascheplätze gesetzt, erzählt der Verbandschef – in einem | |
Land, in dem nach mitteleuropäischen Maßstäben neun bis zehn Monate im Jahr | |
Winter ist, nicht optimal. Damals seien Vertreter des KSI nach Norwegen | |
gereist, wo Kunstrasenplätze und Fußballhallen bereits verbreitet waren. | |
Nach diesem Vorbild begannen die Isländer umzustellen: Vor allem baute man | |
Fußballhallen – bis heute elf an der Zahl: sieben Hallen mit großen | |
Feldern, vier mit kleinen Plätzen. Die erste Halle eröffnete im Jahr 2000 | |
in Keflavík nahe der Hauptstadt. Dazu gibt es inzwischen 22 | |
Kunstrasenplätze in Island. Alle Hallen waren fertig gestellt, bevor der | |
Finanzcrash im Jahr 2008 kam – kein unwesentliches Faktum, denn andernfalls | |
wäre der Fußballaufschwung in Island wohl noch nicht da. | |
In Frankreich tritt nun die Generation auf den Plan, die erstmals unter | |
vernünftigen Bedingungen trainieren konnte. Ohne gefrorene Plätze, ohne | |
Rutschgefahr, im Warmen. Und: Mit qualifizierten Trainern. „Wir haben die | |
heimischen Klubs zur besseren Coach-Ausbildung verpflichtet“, erklärt | |
Thorsteinsson weiter. Bis dato hätten vor allem Eltern die Jugendspieler | |
trainiert. | |
F-Jugend-Trainer mit A-Lizenz | |
Etwa ab dem Jahrtausendwechsel stellte man auch die Trainerausbildung um. | |
Maßgeblich verantwortlich war Sigurður Ragnar Eyjólfsson, ehemaliger Profi | |
in der englischen First Division und langjähriger Trainer des | |
Frauen-Nationalteams. Auch andere Legionäre wie der Ex-VfB-Stuttgart-Profi | |
Ásgeir Sigurvinsson gaben den Anschub, den Verband umzustrukturieren. Der | |
Verband bot nun Trainerseminare an, fortan setzte man auf Proficoaches im | |
Jugendbereich. | |
Lars Lagerbäck, der Chefcoach des isländischen Männer-Nationalteams und | |
schon jetzt eine Art Nationalheiliger, sieht darin einen bedeutenden Grund | |
für die aufstrebende Fußballinsel: „Sogar die jüngsten Spielerinnen und | |
Spieler im Alter von fünf oder sechs Jahren haben inzwischen Trainer, die | |
eine A- oder B-Lizenz der Uefa haben“, schreibt er der taz in einer Mail. | |
Eine Statistik mutet tatsächlich fast kurios an: Im Januar dieses Jahres | |
hatten 778 Isländerinnen und Isländer eine solche Lizenz, für die man mit | |
bis zu 124 Unterrichtsstunden ausgebildet wird. Bei 22.000 Mitgliedern | |
kommt in Island auf 28 Verbandsangehörige ein lizensierter Coach. | |
Die Spieler werden in der Jugend ausgebildet, um dann vorwiegend im Ausland | |
ihr Geld zu verdienen – in Island gibt es keine reinen Profiklubs; die | |
erste Liga ist semiprofessionell und spielt regulär zwischen Mai und | |
Oktober, auch während der EM. Von den Spielern der „goldenen Generation“, | |
wie die Isländer den EM-Jahrgang bezeichnen, kicken die meisten in der | |
schwedischen Liga. | |
Was wirklich Gold wert sein könnte an dieser Mannschaft, ist die Tatsache, | |
dass sie sich alle seit den frühen Jugendauswahlen kennen. Der aus | |
Hoffenheim bekannte Gylfi Sigurðsson (heute Swansea City), Jóhann | |
Guðmundsson (Charlton Athletic) und Alfreð Finnbogason (FC Augsburg) sind | |
alles Spieler, die bereits vor sechs Jahren als U21 gemeinsam auf dem Platz | |
standen und sich für die EM 2011 qualifizierten – im Gegensatz zu | |
Deutschlands Nachwuchsauswahl, die sie damals während der Qualifikation mit | |
4:1 schlugen. Mats Hummels und Benedikt Höwedes könnten sich noch an diese | |
Packung erinnern; sie standen damals in der deutschen Startelf. | |
Realistisches Ziel: Achtelfinale | |
Der einzige Star, den Island hervorgebracht hat, steht zwar noch im | |
Aufgebot, spielt aber nur noch eine Nebenrolle: Eiður Guðjohnsen kickte | |
einst für Chelsea und Barcelona, der 37-Jährige hat seine großen Zeiten | |
aber wohl hinter sich. Wenn es noch so etwas wie eine Galionsfigur gibt, | |
dann ist das Trainer Lagerbäck. „Seine Erfahrung und sein Wissen sind gar | |
nicht hoch genug einzuschätzen“, sagt Verbandschef Thorsteinsson, er sei | |
ein „taktisches Mastermind.“ Seit 2001 ist der 67-Jährige Schwede, der in | |
den nuller Jahren das Nationalteam seines Heimatlandes betreute, Coach der | |
Isländer. Seit drei Jahren steht ihm der isländische Trainer Heimir | |
Hallgrímsson zur Seite. Dieser soll ihn wohl nach der Europameisterschaft | |
ablösen; Lagerbäck hat seinen Rückzug angekündigt. | |
23 Mal scheiterte Island während der Qualifikation für ein großes Turnier, | |
unter diesem Duo klappte es erstmals. Halt, Thorsteinsson widerspricht: | |
‚Erstmals‘ habe Island sich nicht qualifiziert. Korrekt und | |
gleichberechtigt, wie es hier zugeht, sagt er: „Die Frauen haben sich doch | |
schon öfter für die EM qualifiziert, das sollte man auch nicht vergessen.“ | |
Dreimal, um genau zu sein. Ein Drittel der Verbandsmitglieder sind Frauen – | |
klar, auch da sind die Vorzeige-Equalizer auf einem guten Wege (beim DFB | |
ist man bei gut 15 Prozent). | |
Aber was wird nun aus der Revolution? Dürfen die Isländer vom Titel | |
träumen? Unter den „Tólfan “ („12“ für zwölfter Mann), den isländi… | |
Fans, glaubt so mancher, man könne das Turnier gewinnen. Da seien „die | |
Erwartungen dann vielleicht doch etwas zu hoch“, sagt Thorsteinsson und | |
schmunzelt. Und auch Lagerbäck schreibt, damit würde man „den Bogen | |
vielleicht etwas überspannen“. | |
Aber es gibt eine Mission: „Unser erstes Ziel ist es, uns fürs Achtelfinale | |
zu qualifizieren“, so Lagerbäck. Die Gruppe F mit Österreich, Ungarn und | |
Portugal ist dabei sicher nicht die schwächste – stärker als Ungarn ist | |
Island sicher einzuschätzen. Im Alltag mögen die Isländer eher Pessimisten | |
sein, im Fußballsport gilt das nicht mehr. Denn wer den WM-Dritten besiegt, | |
der kann jeden schlagen, oder? „Wir gehen in jedes Spiel, um es zu | |
gewinnen. Wie weit uns das in Frankreich bringt, wird sich zeigen“, meint | |
Lagerbäck. Es klingt wie eine Drohung. | |
Während der erste Gegner Portugal starke Individualisten wie Cristiano | |
Ronaldo aufbietet, will Island mit einem perfekt abgestimmten Kollektiv | |
punkten: „Island wird nie die besten Spieler der Welt haben, aber wir | |
können eines der bestorganisierten Teams der Welt sein“, erklärt Lagerbäck. | |
Island spielt entsprechend defensiven Konterfußball – auf Ballbesitz legt | |
man keinen Wert. „Für uns ist das Spiel ein Gemeinschaftswerk, die Gruppe | |
und der Spirit sind sehr lebendig.“ Fast in jederlei Hinsicht wirkt Island | |
also wie das neue Fußballidyll, wie eine Großkommune. Man sollte sie bei | |
der EM im Blick behalten. | |
14 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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