| # taz.de -- EMtaz: Fangewalt in Frankreich: Sich einen runterhoolen | |
| > In Marseille und Nizza fliegen die Fäuste, Russen prügeln sich mit | |
| > Engländern, Nordiren mit Franzosen. Hat die französische Polizei eine | |
| > Mitschuld? | |
| Bild: Englische Fans schmeißen Flaschen vor der Partie gegen Russland | |
| Kevin Miles sieht klein aus, wie er da vorm riesigen Würfel „Le Cube“ im | |
| Alten Hafen von Marseille steht. „Die französische Polizei ist nicht | |
| lernwillig“, seufzt der Chef der britischen Football Supporters Federation. | |
| Sie betreibt die Fanbotschaft, eine Anlaufstelle für Fans an den | |
| Spielorten. Miles hat im Vorfeld der EM französische Polizisten beraten. | |
| Er sagt: „Die Sicherheitskräfte hier machen, was sie wollen.“ Martialisch | |
| sei das Auftreten, „schon Donnerstagabend haben die hier wild Pfefferspray | |
| gesprüht auf vollbesetzte Café-Terrassen“. Taktisches, strategisches | |
| Vorgehen – Fehlanzeige, meint er. Der Polizei vor Ort gehe es um | |
| Befriedung, um fast jeden Preis. Sie wolle die Menge auseinandertreiben und | |
| nicht in erster Linie gezielt Gewalttäter festnehmen. Kevin Miles hat Zeit | |
| zu erzählen, nur wenige Fans steuern die Fanbotschaft an. | |
| Stunden später kommt die Polizei massiv zum Einsatz. Es sind hässliche, | |
| äußerst brutale Szenen, die sich im Alten Hafen abspielen. Fäuste und | |
| Stühle fliegen. Hooligans haben sich über Stunden mit Heineken-Bier | |
| abgefüllt. Jetzt sind sie in Kampfstimmung. Es fliegen Flaschen, immer | |
| mehr. | |
| Am Ende liegt ein grüner Scherbenteppich auf den Straßen vor den Lokalen. | |
| Die Polizei setzt Tränengas ein, Knüppel, sie verhaftet zwei Dutzend | |
| Randalierer, auch ein Deutscher ist darunter; Russen werden in Gewahrsam | |
| genommen. Auch in Nizza schlagen sich Fußballfans. Nordiren mit Franzosen. | |
| Es kommt zu drei Festnahmen. Ein Fan, der wahrscheinlich in Marseille von | |
| Gegnern brutal mit einer Eisenstange verprügelt wurde, schwebt noch immer | |
| in Lebensgefahr. | |
| Polizei ist beim Blocksturm nicht zu sehen | |
| Es sind Szenen, die es weltweit in die Nachrichtensendungen schaffen. Im | |
| Stadion, nach dem 1:1 der Engländer gegen die Russen, geht es weiter: | |
| Russische Fans stürmen einen Block der Engländer. Polizei ist nicht zu | |
| sehen. Einen Blocksturm kann man heute nur noch in der fünften oder | |
| sechsten Liga sehen, warum das bei einem Großevent möglich ist, können die | |
| Veranstalter auch am Folgetag noch nicht richtig erklären. Sie wollen nun | |
| die Polizeipräsenz noch einmal erhöhen, wohl auch in den Stadien. | |
| Es hatte relativ entspannt angefangen: Tausende Fans tanzen wenige Meter | |
| von der Fanbotschaft entfernt Pogo auf den Straßen – „zehn große Bier | |
| schaff ich mindestens am Tag“, ruft einer im Rooney-Shirt. Der halbe Liter | |
| Bier kostet hier 6 Euro, im Stadion noch mehr. Hordenweise wird ein | |
| trommelfellzerfetzendes „God save our gracious Queen“ angestimmt. Als ein | |
| putterroter Mann von der Anzeigentafel des Touristenbüros fällt, drehen wir | |
| uns um und steuern die Navette an, die in Richtung der Fanzone am Strand | |
| fährt. | |
| Total stürmisch ist die See, und von der Brücke ertönt die Ansage: „Wer | |
| jetzt noch ins Schiffsinnere will: letzte Chance. Ansonsten sind Sie da | |
| draußen ihrem Schicksal überlassen.“ Da wir nicht mit bereits triefend | |
| nasser Hose über Bord gehen wollen, fügen wir uns. | |
| Es ist 15 Uhr am Samstagnachmittag, noch sechs Stunden bis Anpfiff im Stade | |
| Velodrome, das im großbürgerlichen Süden von Marseille liegt, und eine | |
| Stunde später wird auch rund um die Fanbotschaft viel Mobiliar zerlegt | |
| worden sein. Friedliche Fußballfamilien werden kreischend | |
| auseinandergelaufen sein, Luxusjachten ihre Treppe eingefahren und Fischer | |
| das weite Meer gesucht haben. | |
| „Sie schieben den Russen die Gewalt in die Schuhe“ | |
| Dylan, ein Mathestudent aus Nottingham, wird später nach dem Abpfiff | |
| erzählen, dass er in einer Gasse gerade pinkelte, als „eine Horde von | |
| schwarz Vermummten aus dem Nichts“ auf ihn zurannte, Stühle schmiss und | |
| schrie: „Das waren Russen.“ Dylan lief, bis er sich hinter einer | |
| Polizeikette in Sicherheit brachte. | |
| An der Fanzone am Prado Strand, einen strammen Fußmarsch vom Stadion | |
| entfernt, ist es vorm Spiel vergleichsweise beschaulich. Hier sind zwei | |
| riesige Leinwände unter freiem Himmel aufgestellt, und nur im Supermarché | |
| Casino ist Stress, denn hier geraten ein russischer Fan aus Wladiwostok und | |
| ein englischer aus Brighton in ein Handgemenge über die drei letzten | |
| Flaschen Bier. Der halbe Liter kostet bei Casino 1,28 Euro, dementsprechend | |
| hart ist der Verteilungskampf, doch nicht so hart wie am Alten Hafen. | |
| „Messieurs, calmez-vous“, beruhigen Sie sich, sagt eine Mitarbeiterin und | |
| beginnt, stoisch die meterlangen Regale wiederaufzufüllen. | |
| Auf dem Weg zum Stadion, das von außen anmutet wie die Fresse eines | |
| Riesenwals, passieren wir den Imbiss „Au point chaud“, ein wahrhaft heißer | |
| Treffpunkt, denn schon vorm Spiel watet man dort durch den Inhalt | |
| umgekippter Mülltonnen. Gegenüber gibt es Austern und Champagner, und dann | |
| drückt uns plötzlich jemand vom Sponsor „Orange“ ein Gratisticket in die | |
| Hand – einfach so und wir sind drin. Wir sitzen auf besten Plätzen | |
| gegenüber dem Kasperltheater der Uefa-VIP Tribüne und neben Roman, der bei | |
| Gazprom arbeitet und sich sicher ist, „dass sie jetzt den Russen die Gewalt | |
| in die Schuhe schieben werden. That’s politics.“ | |
| „die Engländer hätten uns zerlegt, wenn sie verloren hätten“ | |
| Auf dem Weg zum Klo wird einem noch im Vollbetonzwischengeschoss ein Joint | |
| angeboten, und wie es zum Schluss endlich verquält 1:1 steht, ist Roman | |
| sehr erleichtert, „die Engländer hätten uns komplett zerlegt, wenn sie | |
| verloren hätten“. Als seine Hardcore-Landsleute nach Abpfiff sofort | |
| rübermachen zum englischen Block, ist von der Polizei anfangs weit und | |
| breit nichts zu sehen. Fans flüchten. Vor dem Stadion kreischen Sirenen von | |
| Polizeiwagen. | |
| Als erste Reaktion auf die Krawalle im Stadion leitete die Uefa am Sonntag | |
| ein Verfahren gegen den russischen Fußballverband ein, vorausgegangen war | |
| ein kurzfristig einberufenes Treffen des Exekutivkomitees. Ermittelt wird | |
| wegen Aggressionen russischer Zuschauer im Stadion, rassistischen | |
| Verhaltens in der Form von Affenlauten und des Abbrennens von | |
| Feuerwerkskörpern und Zündens von Böllern. Ob und wie der Verband bestraft | |
| wird, entscheidet sich am Dienstag. | |
| Fanvertreter fragen sich, ob diese Auseinandersetzung, in die auch | |
| französische Jugendliche verwickelt waren, nicht vorauszusehen war. Denn in | |
| Marseille hat es schon einmal gekracht, 1998 bei einem Vorrundenspiel der | |
| WM, als England mit 2:0 gegen Tunesien gewann. Damals überfiel ein | |
| Marseiller Stoßtrupp die Fanzone und verprügelte Engländer. Von Rache ist | |
| nun die Rede, aber wahrscheinlich hätten die Hooligans jetzt gar keinen | |
| Anlass gebraucht, um loszuschlagen: Bei der Europameisterschaft im Jahr | |
| 2000 randalierten Engländer in Brüssel, 400 Hooligans wurden festgenommen. | |
| Vier Jahre später, bei der EM in Portugal, kam es nach dem Spiel zwischen | |
| England und Frankreich im Badeort Albufeira zu Schlachten zwischen | |
| englischen Fans und der Polizei. England drohte sogar das Turnier-Aus. | |
| 13 Jun 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Harriet Wolff | |
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