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# taz.de -- EMtaz: Thesen zum Start: Dann spielt mal schön
> Es ist eine Fußballparty mit 24 Nationen, und doch liegt ein leichter
> Albdruck über dieser EM. Acht Texte zwischen Terrorangst und Vorfreude.
Bild: Genug drumherum geredet, wann geht es endlich los?
## Die Öde außerhalb der Stadien
Ich gehöre nicht zu den Leuten, die es für schick, punk oder cool halten,
nicht zu wissen, ob gerade EM oder WM ist. Ich finde sogar, dass die große
Oper in den Stadien und außerhalb dazugehört. Trotzdem hat sich jetzt die
Vorfreude schleppender als sonst eingestellt. Reinhold Beckmanns
EM-Reportage: Gähn. David Guetta als Opener: Lame. Klar werde ich trotzdem
das halbe Monatsgehalt für Bier und Pommes ausgeben, um Slowaken, Albaner
und Isländer zu sehen. Ich würde sogar San Marino gucken. Aber irgendwas
ist aus dem Ruder gelaufen.
Vielleicht, weil mit den immer größer werdenden Turnieren auch das Maß an
debiler Volksbelustigung steigt. Ich hab dazu kein stalinistisches
Verhältnis. Was mir gefällt, muss nicht jedem gefallen. Aber eine gewisse
Übersättigung zumindest an jenen Sachen, die außerhalb der 90 Minuten
stattfinden, kann ich nicht weghungern. Die Love Parade hatte irgendwann
eine Grenze erreicht. Die WMs und EMs außerhalb der Stadien haben es
vielleicht auch. ([1][DORIS AKRAP])
## Sport in Zeiten des Terrors
Seit dem 13. November 2015 war ich in keinem Fußballstadion mehr. Ich weiß
nicht, wie es sich anfühlen wird, wenn ich mal wieder zu einem großen Spiel
in eine Arena gehen werde. Wenn ich auf den Horror von Paris angesprochen
werde, kommen sie jedenfalls wieder hoch, die Bilder dieser Nacht.
Der erste große Knall, der zweite. Die Panik, in die ich geraten bin, und
während der ich so schnell gelaufen bin wie wahrscheinlich noch nie in
meinem Leben. Die bis an die Zähne bewaffneten Polizisten, die den Menschen
mit riesigen Taschenlampen die Gesichter ausgeleuchtet haben. Die Angst vor
dem Weg zum Hotel, das in der Nähe des Bataclan lag. Das Spalier aus
Uniformierten, durch das ich zum Ausgang des S-Bahnhofs gegangen bin. Und
das mulmige Gefühl, jetzt rauszumüssen in die Stadt. Ich wäre gerne im
Bahnhof geblieben bei all den Aufpassern mit den Maschinenpistolen. Sie
haben mich in Sicherheit gewiegt. Es geht nicht mehr ohne. Bei der EM wird
es nicht anders sein. Das ist der Sport in den Zeiten des Terrors.
([2][ANDREAS RÜTTENAUER])
## Eigene stimulieren, andere wertschätzen
Nein, es werden keine Antiterrorsicherheitsmaßnahmen im Vordergrund stehen;
die Krise Europas wird während der EM ein wenig aus dem Blick geraten.
Diese EM mit noch mehr Teams denn je wird nicht minder großartig werden als
alle anderen zuvor. Wer auch immer welcher Mannschaft sympathisierend
zuneigt: Die Beste möge gewinnen – und alle freuen sich dann mit. EM, das
sind Nationalmannschaften, deren Anhänger bei einem solchen Turnier lernen,
sich nicht in Aversion zu verzehren, sondern die Eigenen zu stimulieren und
die anderen zu wertschätzen.
Das wissen im Übrigen am stärksten Jugendliche aus migrantischen
Communitys. Schaut man sich in deren Vierteln heute um, sieht man an
Fenstern schwarz-rot-goldene Fahnen und anderen fußballpatriotischen
Zierrat. Sie wollen sich identifizieren, und da können politische Unholde
so viel gauländern, wie sie wollen. Und sie werden mitfiebern: ob mit
Deutschen oder Ronaldo oder Zlatan. Es wird, ganz klar, super, süper,
super! ([3][JAN FEDDERSEN])
## Weiche Ziele, dialektisches Denken
Es ist die EM der Premieren. Neben Albanien, Wales, Island und Nordirland
spielt bei dieser EM auch erstmals die Angst mit. Seit den Terroranschlägen
von Paris vertreten zwar Politiker und Fußballfunktionäre den Standpunkt,
die Angst dürfe nirgendwo mitspielen, weil sonst der Terror siegt, aber
Unbekümmertheit lässt sich nicht verordnen.
Die Angst hat dem Turnier bereits ihren Stempel aufgedrückt, noch bevor es
angepfiffen worden ist, und sie wird bis zum Endspiel bleiben. Man hat den
Sicherheitsapparat bis an die Zähne bewaffnet und mit der Verlängerung des
Ausnahmezustands die Bürgerrechte eingeschränkt. An diesem Gegner kommt
künftig keiner leicht vorbei. Wobei Jacques Lambert, der Chef der
EM-Organisatoren, eine interessante These vertritt: Terroristen suchten
weiche Ziele. Die EM sei aber kein weiches Ziel. Sprich: Weil aus Angst vor
einem Anschlag alle vorsichtig sind, muss man sich gar nicht ängstigen. Das
ist die hohe Kunst des dialektischen Denkens. ([4][JOHANNES KOPP)]
## Schizophrene Fußballfans
Der Fußball hat die Fans krank gemacht. Sie leiden an Schizophrenie, das
heißt, sie spalten das Gute vom Bösen ab, und zwar so, dass nur noch das
Gute überbleibt. Diese Form der Schizophrenie ist gesellschaftlich
erwünscht. Das Gute am Fußball ist das schöne reine Spiel mit jubelnden
Fans und spektakulären Bildern von Fallrückziehern und Hackentoren. Der
gute Fußball stiftet Gemeinschaft und noch viel mehr. Von den
wohlig-bewusstseinstrübenden Essenzen bekommen wir in den kommenden Wochen
eine hohe Dosis ab. Das ist nicht schlimm, aber hinter dem Schleier ist
halt noch mehr.
Dass die Fifa von korrupten Machern beherrscht wurde, wissen mittlerweile
auch fußballferne Geister. Dass aber auch die Uefa, also die Mutter dieser
EM, ein zwielichtiges Geschöpf ist, das geht oft unter. Michel Platini, der
französische Chef, wurde suspendiert und wird kein Spiel im Stadion
besuchen. Er wird von der Uefa aber noch als Präsident geführt – ein klarer
Fall von Verwaltungsirresein. ([5][MARKUS VÖLKER])
## „We shall overcome“
François Hollande setzt auf die französische Variante der Agenda 2010. Was
könnte sich da zur Ablenkung besser eignen als eine EM im eigenen Land?
Sport als Ersatzreligion der Postmoderne, Opium fürs Volk, Fußball als
Ablenkung für die Streikenden und nervigen sozialpolitischen Forderungen.
Das könnte Hollande so passen! Problem: Französische Protestkultur fand
sich 2010 sogar in der Equipe Tricolore, die damals bei der WM den eigenen
Trainer Raymond Domenech bestreikte. Im Fokus standen Rassismus und das
realgesellschaftliche Scheitern des proklamierten Multikulti-Frankreichs
der Weltmeister von 1998.
Die Probleme gibt es immer noch, nur hat Trainer Didier Deschamps die
Mannschaft jetzt erfolgreich diszipliniert. Ob das jedoch die Streikenden
der Nuit-debout-Bewegung oder die Gewerkschaften interessiert? Eher nicht,
betonten die Akteure im Vorfeld. Gut gemeinter Kompromissvorschlag: Wie
wäre es mit Public Viewing auf besetzten Plätzen? Oder „We shall overcome“
auf den Rängen? ([6][GARETH JOSWIG])
## Joachim Löws Albtraum
Saint-Denis, 10. Juli. Im Finale zwischen England und Deutschland läuft die
Verlängerung, als kurz nacheinander Mesut Özil, Toni Kroos und Mats Hummels
am Boden liegen, mit schmerzverzerrtem Gesicht. Die Kicker werden von
Krämpfen geschüttelt. Nach vier Wochen und sieben Spielen sind die
Kraftreserven aufgebraucht, rien ne va plus. Das ist Joachim Löws Albtraum.
Im modernen Fußball nimmt die Intensität auf dem Platz kontinuierlich zu;
die Zahl der Saisonspiele steigt und nun auch die Zahl der EM-Spiele. Wer
als Kicker auf dem Platz aber eben mal pausiert, riskiert den Kollaps des
Spielsystems. Und nichts wäre schlimmer! Eher verzeiht der Konzepttrainer
einen verlorenen Zweikampf als einen falschen Laufweg. Also wird sich bei
dieser Europameisterschaft zeigen, wer die wirklich weitsichtigen Trainer
sind. Die werden ihre Mannschaften mit einem Rotationsprinzip durch die
Gruppenphase lotsen, damit die stärkste Elf in der K.-o.-Runde glänzen kann
und die Spieler im Finale noch bei Kräften sind. ([7][DAVID JORAM)]
## Nur die Stars zählen
„I love you, ich liebe dich – Zlatan Ibrahimovic.“ Zugegeben, ein Reim, d…
nicht mehr nur unrein, sondern schon schmutzig ist. Aber der kleine Frans
hatte 2006 recht mit diesem Satz – und er stimmt heute immer noch. Dass
alle Menschen mindestens drei Spiele dem Schweden Ibrahimovic beim Kicken
zuschauen dürfen, ist schon allein die Ausrichtung einer EM wert. Fußball
ist Unterhaltung. Ja, manchmal ist es auch mehr als das. Aber am Ende sind
es doch die Stars, die großen Spieler, die wir sehen wollen. Infantile
Bespaßung.
Aber wann sieht man denn mal die Ibrahimovics, Ronaldos, Rooneys, de
Bruynes? Wenn man kein Pay-TV hat und sie nicht zufällig in der Saison
gegen eine deutsche Mannschaft gespielt haben, fast gar nicht. Wir lesen
von ihnen, wir sehen vielleicht kurze Clips, aber über 90 Minuten? Das ist
das Schöne an solch einem Turnier: Man kann sich zurücklehnen und jeden Tag
haben neue Spieler die Chance, uns zu begeistern oder zu enttäuschen. Es
ist manchmal großartig, nur das Publikum zu sein. ([8][JÜRN KRUSE])
10 Jun 2016
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