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# taz.de -- Überfall auf die Sowjetunion: Patriotismus und Propaganda
> Russland und die Ukraine streiten um die Deutung des Zweiten Weltkrieges.
> Beide Länder begehen den 22. Juni mit unterschiedlichem Fokus
Bild: Der russische Präsdent Wladimir Putin am 22. Juni 2014 am Grab des unbek…
Kiew taz | 1.418 Kerzen erinnern am heutigen Mittwoch in russischen Städten
an den Überfall der Wehrmacht vor 75 Jahren auf die Sowjetunion und die
Opfer des 1.418-tägigen „Großen Vaterländischen Krieges“. Veteranen und
Jugendliche halten gemeinsam Mahnwachen, an öffentlichen Gebäuden wehen die
Fahnen auf Halbmast.
Allein in Moskau sind über tausend Gedenkveranstaltungen geplant. Zuerst
wird um vier Uhr morgens ein Kranz am Grabmal des unbekannten Soldaten im
Alexandergarten am Kreml niedergelegt. Dann bringen Regierungsvertreter
Blumen zum Kriegsmuseum.
Galina, 1932 in St. Petersburg geboren, will den Tag anders begehen: „Ich
singe mit meinen Kindern Lieder aus der Zeit des Krieges, dann besuchen wir
das Grab meines Vaters.“ An die weinenden Gesichter ihrer
Klassenkameradinnen, deren Väter an der Front gefallen waren, kann sie sich
gut erinnern. Eine zentrale Veranstaltung will sie nicht aufsuchen. „Dieses
Patriotismusgerede ist doch verlogen.“
Erst vor wenigen Tagen sei für den finnischen Feldmarschall und früheren
Präsidenten Carl Mannerheim eine Gedenktafel in der Sankt Petersburger
Militärakademie angebracht worden – im Beisein eines Vertreters des
russischen Präsidenten. „Der hat Truppen befehligt, die Leningrad
eingeschlossen und eine Hungerkatastrophe ausgelöst haben. Wie kann man
diesem Mann in dieser Stadt und vor dem 75. Jahrestag so eine Ehrung
zukommen lassen?“
## Ukrainische Perspektive
Mehr noch als die Russen haben Ukrainer und Belorussen gelitten. Gleich zu
Kriegsbeginn wurden Kiew und Sewastopol bombardiert, 250 ukrainische Dörfer
dem Erdboden gleichgemacht, das gesamte Staatsgebiet wurde besetzt. 80
Prozent aller nach Deutschland deportierten Sowjetbürger waren laut
Internetportal dozor.kharkov.ua Ukrainer. Jeder fünfte habe sein Leben im
Krieg verloren. Seit 2000 ist der 22. Juni in der Ukraine staatlicher
Gedenktag.
In der separatistischen „Volksrepublik Lugansk“ organisiert die „Bewegung
Frieden für das Gebiet Lugansk“ Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag des
„Großen Vaterländischen Krieges“. Die Kiewer Zentralregierung vermeidet
diesen Begriff: Er sei eine Erfindung der sowjetischen Propaganda, der von
dem heutigen Russland übernommen worden sei, schreibt die Stiftung
Nationales Gedächtnis, die als Thinktank der Regierung in Kiew gilt, auf
ihrer Homepage.
Das heutige Russland reiße das Gedenken an die Opfer des ganzen Zweiten
Weltkriegs an sich. Dabei sei der 22. Juni der Beginn des
deutsch-sowjetischen Krieges gewesen, während der Weltkrieg bereits 1939
begonnen habe. Bereits im September jenes Jahres seien 8.000 Ukrainer als
Angehörige der polnischen Armee gefallen, so das ukrainische Internetportal
likbez.org.ua.
Die Beteiligung ukrainischer Nationalisten an Massakern an der polnischen
Zivilbevölkerung in Wolhynien, lange ein Tabuthema, wird heute öffentlich
diskutiert. In einem offenen Brief an die polnische Gesellschaft baten
kürzlich führende Ukrainer um Vergebung für die Verbrechen. Auch die
früheren ukrainischen Präsidenten Leonid Krawtschuk und Viktor
Juschtschenko, sowie Patriarch Filaret, gehören zu den Unterzeichnern.
22 Jun 2016
## AUTOREN
Bernhard Clasen
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