# taz.de -- Klage gegen Syrien-Rückkehrer: Einmal Dschihad und zurück | |
> Weil er Mitglied der IS-Terrorgruppe war, steht der Bremer | |
> Syrien-Rückkehrer Harry S. in Hamburg vor Gericht. Er gesteht die Tat, | |
> sagt sich aber vom IS los. | |
Bild: Im Propagandavideo der Terrormiliz lief er mit der IS-Fahne durchs Bild: … | |
BREMEN TAZ | Bärtige Typen, Sturmgewehre, Pick-up-Trucks: Mittlerweile | |
kennt man die Propagandavideos der Islamisten von der Terrormiliz IS, die | |
immer mal wieder in Ausschnitten in den Nachrichten zu sehen sind. 2015 | |
tauchen in einem dieser Videos zwei Bremer auf. Einer von ihnen ist Harry | |
S.. In Tarnklamotten läuft er mit einer schwarzen IS-Fahne durchs Bild, in | |
der Hand eine Kalaschnikow. Das Video ist auf Deutsch, zwei bekannte | |
Islamisten beschimpfen darin Angela Merkel und drohen mit Anschlägen. Vor | |
laufender Kamera erschießen sie zwei Gefangene. | |
Harry S. steht nun am heutigen Mittwoch vor Gericht. Verhandelt wird vor | |
dem Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg, das | |
aus Effizienzgründen für solche Fälle aus Hamburg, Schleswig-Holstein und | |
Bremen zuständig ist. Der Generalbundesanwalt wirft dem 27-jährigen S. die | |
„Mitgliedschaft an der ausländischen terroristischen Vereinigung | |
‚Islamischer Staat Irak und Großsyrien‘ (ISIG)“ vor sowie Verstöße geg… | |
das Kriegswaffenkontroll- und das Waffengesetz. Darauf stünden bis zu zehn | |
Jahre Haft. | |
Nur sieben Verhandlungstage plus drei Zusatztermine sind angesetzt, | |
vorsorglich, und bisher nur drei Zeugen geladen: „Mehr Termine, als ich | |
erwartet habe“, sagte Udo Würtz, der Anwalt von Harry S., der taz. Denn | |
sein Mandant hat umfassend ausgesagt. Glaubt man ihm, dann ist er nun ein | |
Aussteiger, der sich vom Terrorismus losgesagt hat und nun helfen will, | |
dass andere nicht darauf hereinfallen. | |
All das sagt Harry S. nun auch öffentlich, vor ein paar Tagen gab er einige | |
Interviews, unter anderem bei Radio Bremen: „Unschuldige Menschen kommen da | |
um ihr Leben“, sagte Harry S. über den Krieg in Syrien. Und: „Diese | |
Ideologie und dieser Traum vom Kalifat und vom perfekten Leben stimmt | |
nicht. Das ist einfach totaler Schwachsinn.“ Nicht islamisch und nicht | |
menschlich sei das. | |
## „Harry sagt, er hat keine Angst“ | |
In der Augen der Islamisten ist er mit solchen Aussagen wohl ein Verräter. | |
Ob er Rache fürchtet? Angst zu machen sei das Geschäft von Terroristen, | |
sagt dazu sein Anwalt. Aber „Harry sagt, er hat keine Angst, er ist im Irak | |
und Syrien mehrere Tode gestorben.“ | |
Im April 2015 machte er sich zusammen mit dem Islamisten Adnan S. aus | |
Bremen nach Syrien auf, um sich dem IS anzuschließen. Dort wird er für den | |
Kampf in einer Spezialeinheit ausgebildet. Ein harter Drill, Strammstehen | |
in der Hitze, wer schlapp macht, wird ausgepeitscht. So berichtet es Harry | |
S. Und dass er schnell gefragt wurde, ob er bereit sei, einen | |
Selbstmordanschlag in Deutschland zu begehen, was er abgelehnt habe. | |
Später identifiziert er offenbar auch einen der mutmaßlichen Drahtzieher | |
der Anschläge in Paris vom November, Abdelhamid Abaaoud. Eine Zeitlang habe | |
er mit ihm in Syrien in einem Haus gewohnt. Irgendwann fuhr S. mit anderen | |
IS-Anhängern nach Palmyra, um das deutschsprachige Propagandavideo zu | |
drehen. Insgesamt sollen dabei sieben Gefangene umgebracht worden sein. | |
Harry S. hatte genug. Er floh zurück nach Deutschland und wurde am 20. Juli | |
2015 bei seiner Ankunft am Bremer Flughafen festgenommen. Seitdem ist er in | |
Untersuchungshaft. | |
Sein Weg in den Dschihad ähnelt dem anderer junger Islamisten: Aufgewachsen | |
ist Harry S. in Osterholz-Tenever, einem der ärmsten Stadtteile Bremens, | |
abgehängt, mit Hochhaussiedlungen und hoher Arbeitslosigkeit. Seine Eltern | |
stammen aus Ghana, der Vater kehrt irgendwann dahin zurück. Seine Mutter | |
ist streng katholisch. Auch Harry S. ist gläubig, geht in einen | |
katholischen Kindergarten, später in die katholische Privatschule St. | |
Johannis in der Bremer Innenstadt. | |
## Im Gefängnis radikalisiert | |
Später zieht seine Familie nach London. Harry S. interessiert sich für den | |
Islam und konvertiert, zum starken Missfallen seiner Mutter. Dann gerät S. | |
auf die schiefe Bahn. Mit einem alten Schulfreund überfällt er einen | |
Supermarkt. 2016 wird er zudem vor dem Landgericht Verden wegen eines | |
Überfalls auf ein Ehepaar in Oyten zu vier Jahren Haft verurteilt, eine | |
Tat, die er selbst bestreitet. | |
Radikalisiert hatte sich Harry S., als er nach der Verurteilung 2011 wegen | |
des Supermarkt-Überfalls seine Bewährungsauflagen nicht erfüllte und in den | |
Knast musste. Mit ihm sitzt RenéMarc S. in der Justizvollzugsanstalt | |
Oslebshausen – ein bekannter Bremer Islamist, der unter anderem für die | |
Verbreitung von Al-Qaida-Propaganda verurteilt wurde. „Charismatisch“ sei | |
der, so erzählt es Harry S., und theologisch sehr geschult. Er ließ sich | |
beeindrucken. | |
Nach seiner Haftentlassung verkehrt er regelmäßig im Bremer „Kultur- und | |
Familienverein“. 2014 wurde der Verein vom Bremer Innensenator Ulrich | |
Mäurer verboten. Immer wieder gingen aus dem Umfeld des Vereins Menschen | |
nach Syrien, um sich dem IS anzuschließen. Nach aktuellen Zahlen haben das | |
seit 2014 schon wieder 26 Menschen aus Bremen gemacht. Zwölf sollen | |
zurückgekehrt, fünf mittlerweile tot sein. Harry S. schaffte es lebendig | |
zurück. | |
21 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Jean-Philipp Baeck | |
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