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# taz.de -- IS-Werber vor Gericht: Frustriert, naiv, alleine
> Weil er Ausreisewillige für den IS angeworben hat, muss sich ein
> geständiger 23-Jähriger vor dem Oberlandesgericht in Celle verantworten.
Bild: Muhammed K. sitzt auf der Anklagebank des Oberlandesgerichts in Celle
HANNOVER taz | Muhammed K. ist in der Realität angekommen. Der
Gerichtssaal, in dem er sitzt, hat keine Fenster. Das Publikum im
Oberlandesgericht Celle ist durch eine zentimeterdicke Glasscheibe von ihm
getrennt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat den 23-Jährigen aus Laatzen bei
Hannover angeklagt. Der Vorwurf: K. soll im Jahr 2015 andere Menschen für
die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) angeworben und ihnen Tipps
für den Kampf in Syrien gegeben haben. Ihm drohen dafür bis zu fünf Jahre
Haft.
In einer geschlossenen Whatsappgruppe namens „Allahu Akbar“, arabisch für
„Gott ist groß“, hätten die bis zu 55 Teilnehmer über die Ausbildung in
Syrien, Selbstmordanschläge und Kontakte für die Schleusung in Gebiete, die
der IS besetzt hat, gefachsimpelt, sagt Oberstaatsanwältin Maidie Schenk.
Das sei eine „Plattform für den Austausch“ gewesen – und K. einer der
Administratoren.
Er habe Mitglieder hinzugefügt und einen 21-Jährigen Ausreisewilligen, der
sich in den Chats „Mo Zart“ nannte, derart bestärkt, dass dieser
tatsächlich in Richtung Syrien aufbrach. In der Türkei kam der Frankfurter
jedoch nicht weiter. „Während der Wartezeit besann er sich und gab sein
Vorhaben auf“, sagt Schenk über „Mo Zart“. K. habe ihm derweil
Sprachnachrichten geschickt, in denen er ihm Tipps gab. Einem anderen
Mitglied habe K. in Aussicht gestellt, ihn finanziell zu unterstützen.
Oberstaatsanwältin Schenk hatte K. ursprünglich auch wegen der
Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland angeklagt, deren
Zweck darauf ausgerichtet ist, Morde oder Verbrechen gegen die
Menschlichkeit zu verüben. Das wiegt schwerer als die Werbung von
Mitgliedern und wird mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft. Das Gericht ließ
diesen Anklagepunkt jedoch nicht zu und hält nur die Anwerbung in zwei
Fällen für beweisbar.
K. gesteht und sagt, dass er bereut. Für ihn steht viel auf dem Spiel. Wird
er nach dem Erwachsenenstrafrecht verurteilt, droht ihm eine Haftstrafe.
Zum Tatzeitpunkt war K. jedoch erst 20 Jahre alt und damit vor dem Gesetz
ein Heranwachsender, der auch nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden
könnte.
In seiner Erklärung gibt K. viel von seiner damaligen Gefühlswelt preis:
„Es fiel mir im echten Leben schwer, Freundschaften aufzubauen“, lässt der
23-Jährige von seinem Anwalt verlesen. Er sei als Kind oft umgezogen. „Ich
war stets der Neue.“ Das Verhältnis zu den Eltern sei schwierig gewesen.
Nach dem Realschulabschluss habe er gejobbt, weil er keinen
Ausbildungsplatz gefunden habe. Mechaniker wäre er gern geworden,
stattdessen arbeitete er bei einer Reinigungsfirma, einem Baumarkt und
einer Fischräucherei. Dann kam Liebeskummer dazu. „Ich spielte bis spät in
die Nacht Egoshooter“, sagt der Anwalt für ihn. „Ich nahm am realen Leben
so gut wie nicht mehr teil.“
Auch sein Interesse an der Terrororganisation wuchs in dieser Zeit, obwohl
er sich selbst nicht als besonders religiös beschreibt. Nur manchmal sei er
zum Beten in die Moschee gegangen. „Mit gefiel das Mystische am IS“, sagt
K. Er habe bei Facebook Kontakt zur islamistischen Szene bekommen und dort
einen angeblichen IS-Kämpfer kennengelernt. „Es gefiel mir, dass er ein
Interesse an meiner Person zeigte.“
K., der ewige Außenseiter, gehörte jetzt dazu. Die Grenze zwischen Realität
und virtueller Welt sei immer mehr verschwommen, sagt er. Persönlich
kennengelernt habe er die anderen Chat-Teilnehmer nie.
Um die Planung konkreter Anschläge sei es in der Gruppe nicht gegangen,
beteuert K. Mittlerweile seien ihm die Gefahren, die vom IS ausgingen
bewusst. „Ich bin kein Befürworter von Krieg und Leid, sondern ein
friedlicher Mensch.“ Er distanziere sich nun von der Terrororganisation und
ihren Gräueltaten. Davon, ob ihm der Richter diese Unbedarftheit abnimmt,
wird es abhängen, ob K. nach dem Jugendstrafrecht verurteilt wird. Am
heutigen Montag ist beim zweiten Prozesstag erst einmal der IS-Sympathisant
„Mo Zart“ als Zeuge geladen.
6 Aug 2018
## AUTOREN
Andrea Maestro
## TAGS
IS-Aussteiger
Islamismus
„Islamischer Staat“ (IS)
IS-Helferinnen
Lesestück Recherche und Reportage
Salafismus
IS-Miliz
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