| # taz.de -- Band „Früchte des Zorns“ geht auf Tour: Reflektierte Nachdenkl… | |
| > Bedächtige Musik, unhippes Auftreten und komplexe Texte machen „Die | |
| > Früchte des Zorns“ zu einem Zitatgeber von Linken und Linksradikalen. | |
| Bild: Setzen mit ihrer Musik auf leisen Schmerz statt wütendes Gebrüll: Hanna… | |
| Eigentlich sollen politische Parolen kurz und prägnant sein. „Keine Macht | |
| für niemand“, skandierten Ton Steine Scherben, „Deutschland muss sterben“ | |
| kam von Slime. Aber das hier? „Jeder Moment Leben, der dir aus der | |
| Gegenwart geklaut wird, ist einer, der verloren sein wird für immer“ stand | |
| ab 2007 über mehrere Häuserwände gesprüht an der Reichenberger Straße in | |
| Berlin-Kreuzberg. Später wurde es übermalt. Der Satz stammt aus dem Lied | |
| „Brennen“ der Berliner Band „Früchte des Zorns“. | |
| „Ja ich will leben – will nicht nur atmen / Nein ich will brennen, und es | |
| gibt nichts zu verlieren / Lieber drei Jahre Abenteuer / Als dreißig Jahre | |
| lang am Leben zu erfriern“ heißt es darin weiter. Der Song ruft nicht zu | |
| politischen Aktionen auf, sondern erzählt eine persönliche Geschichte. Er | |
| lädt ein zum Nachdenken und Mitfühlen. Und fragt danach, was wesentlich | |
| ist, im Leben: „Sechs Euro für eine Stunde auf der Arbeit – was würdest du | |
| zahlen für eine Stunde an einem sonnigen Tag im Park?“ | |
| Diese auf sich selbst bezogene Nachdenklichkeit unterscheidet die Früchte | |
| des Zorns von anderen politischen Bands oder Musiker_innen. In den 20ern | |
| rief Agitprop zur Revolution auf, in den 70ern prangerten Franz Josef | |
| Degenhardt, Hannes Wader oder Konstantin Wecker mit Geschichten die | |
| Verhältnisse an. Der Punk der 80er brüllte für Veränderung. Die Früchte des | |
| Zorns dagegen thematisieren in ihren Texten Zweifel und Schwäche, sie | |
| formulieren Leid an herrschenden Verhältnissen und massive Kritik daran. Es | |
| gibt keine einfachen Parolen, sondern komplexe und selbstkritische | |
| Aussagen, die Widersprüche mitdenken. | |
| Wer die Band nicht kennt, erwartet beim Namen „Früchte des Zorns“ | |
| vielleicht Lautes – Zorniges eben: Metal, Hardcore oder Punk, zumindest | |
| verzerrte Gitarren und Knüppel-Schlagzeug. Doch das Kreuzberger Trio spielt | |
| am liebsten unverstärkt, mit gedämpften Drums. „Es ist eine besondere Form | |
| der Intensität“, erklärt Hannah, die Drummerin. „Oft geht es heutzutage um | |
| Event und Spektakel, man braucht immer mehr Reize, um sich zu spüren. Wir | |
| fahren da etwas runter.“ Es sind Lieder, die sich leicht nachspielen | |
| lassen, am Lagerfeuer oder im WG-Wohnzimmer. Die Band fördert das: Auf | |
| ihrer Website veröffentlichen sie neben der Musik als MP3 auch Texte, | |
| Akkorde und Geigennoten. | |
| ## Kollektiv mit Do-It-Yourself-Prinzip | |
| Das erreicht viele, die sich als irgendwie links oder linksradikal verorten | |
| – aber auch vermeintlich unpolitische Menschen: all jene, die Zweifel an | |
| dieser Gesellschaft haben und sich darin nicht immer zu Hause fühlen. „Wir | |
| wollen uns nicht mit den Verhältnissen arrangieren. Wir wollen das Schöne | |
| und Lebendige, jetzt, sofort und ohne Kompromisse“, schreibt die Band auf | |
| ihrer Website. Ihre Konzerte sind regelmäßig ausverkauft, das Trio | |
| inspiriert andere Musiker_innen, zum Beispiel Feine Sahne Fischfilet, die | |
| mittlerweile auf großen Festivals spielen und oft eine Coverversion von | |
| „Brennen“ im Programm haben. | |
| Im April haben die Früchte des Zorns ihr fünftes Album „fallen oder | |
| fliegen“ herausgebracht: Elf Songs mit Titeln wie „Steckt euch gegenseitig | |
| an“, „Mein Manifest“ und „Du bist größer als du bist“. | |
| Zum Interview lädt die Band in eine Privatwohnung in Kreuzberg: | |
| Seitenflügel, 4. Stock, Einraumwohnung, Dusche in der Küche, Klo auf halber | |
| Treppe. Im Flur ein Rennrad, durchs Fenster lärmen Vögel. Die Wand ist gold | |
| gestrichen, im Regal Schallplatten, ein Zylinder, eine Federboa, ein | |
| Grammofon. Sänger und Gitarrist Mogli reicht Leitungswasser und Tee, fläzt | |
| dann auf seinem durchgesessenen Chippendale-Sofa. Anke (Geige, Posane, | |
| Gesang) und Hannah (Drums, Gesang) sitzen auf dem Boden. Ihre Nachnamen | |
| wollen die drei nicht nennen. | |
| „Als Band benutzen wir sie gar nicht, sondern nur unsere Vornamen“, sagt | |
| Mogli. Auf die Interview-Fragen antworten sie langsam und überlegt. Sie | |
| lassen sich gegenseitig ausreden, nicken meist zu den Sätzen der anderen. | |
| Sie haben schon viel gemeinsam erlebt, viel diskutiert, viel gestritten. | |
| Nicht nur, weil sie seit 18 Jahren zusammen Musik machen. Sondern auch, | |
| weil sie als Kollektiv organisiert sind und dem Do-it-yourself-Prinzip | |
| folgen: möglichst viel selbst machen, kein Label zwischenschalten. Das ist | |
| politisch gedacht: „Wir möchten so weit wie möglich vorleben, wie eine | |
| bessere Welt aussehen könnte“, sagt Anke. | |
| ## Realpolitik reicht nicht | |
| „Ich bin nicht linksradikal geworden, weil ich ein Flugblatt gelesen habe. | |
| Sondern weil ich Musik dazu gehört habe und mich darin wiedererkannte. Ich | |
| fühlte mich gesehen, angenommen und bestärkt“, erzählt Mogli. Alle drei | |
| bezeichnen sich als linksradikal und als Anarchist_innen – obwohl sie | |
| identitäre Politik kritisch sehen. „Ich habe als Fokus ein | |
| herrschaftsfreies Leben, ein gutes Miteinander, ein solidarisches Leben“, | |
| fasst Hannah zusammen. Mogli zitiert Marx: „Es geht darum, alle | |
| Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein | |
| geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ | |
| Dass das Utopien sind, ist ihnen bewusst, doch Kompromisse wollen sie keine | |
| machen. „Radikalität bedeutet auch, die Grenze des Möglichen auszuweiten, | |
| auszutesten. Sonst ist keine Entwicklung möglich“, sagt Anke. „Vermeintlich | |
| realistische, vermittelbare Politik geht mir nicht weit genug.“ | |
| Das Trio spielt bewusst an Orten, die sich als politisch verstehen, gern | |
| klein, damit sie das Publikum auch sehen können. Dabei schaffen sie mit | |
| ihrer Musik einen Raum in den Köpfen der Zuhörenden: für Utopien, für | |
| Wünsche, für Verletzlichkeit. Etwa im Song „Mein schönstes Kleid“ vom Al… | |
| „Wie Antennen in den Himmel“ (2007), gesungen von Mogli, also mit einer | |
| deutlich tiefen, „männlichen“ Stimme: „Eines Tages werde ich aus dem Haus | |
| gehen / Und ich trage mein schönstes Kleid / Ich werde durch die Straßen | |
| streifen / Und ich lass mir dabei Zeit“. Mogli erzählt, wie er immer wieder | |
| bedroht und angemacht wird, weil er als bärtiger Mann manchmal gern ein | |
| Kleid anzieht. „Manchmal habe ich einfach nicht mehr den Mut, mich in der | |
| Öffentlichkeit so zu bewegen, wie ich mich wohl und schön fühle.“ | |
| Doch er tut es. Und er singt darüber. „Wer sich verletzlich macht, hat eine | |
| größere Chance, gesehen und wahrgenommen zu werden“, sagt Mogli. „Ich wü… | |
| mir wünschen, dass alle Menschen riskieren, sich verletzlicher zu machen.“ | |
| Das gilt für das Leben, aber auch die Songs der Früchte des Zorns, die | |
| Verletzlichkeit transportieren. | |
| ## Kitschig, uncool – na und? | |
| „In unserer Gesellschaft gibt es viel Platz für Fröhlichkeit, für Feiern, | |
| für leichte Emotionen“, sagt Mogli. „Aber für Schweres, für eigene | |
| Deformation, Unzulänglichkeit, Traurigkeit, da fehlt der Platz.“ In „Teil | |
| von mir“ auf dem aktuellen Album singt er: „Ich bin manchmal ohnmächtig und | |
| ausgeliefert (…) Dann verlier ich alles und ich will die ganze Zeit, dass | |
| jemand kommt und sagt / Alles ist in Ordnung / Meine Schmerzen, meine | |
| Ängste sind ein Teil von mir“. | |
| Kitschig könnte man diese Lieder nennen, pathetisch, zu ernst, uncool. | |
| Kritik dieser Art juckt die Band nicht. „Unsere Botschaft ist, auch den Mut | |
| zu haben, nicht hip oder cool zu sein“, sagt Mogli. „Unsere Musik ist etwas | |
| Zerbrechliches, man macht sich verletzlich.“ Natürlich ist das nichts für | |
| die Beschallung einer Demo. „Es gehen ja auch nicht die Massen auf die | |
| Straße, um zu sagen: Schaut her, wie zerbrechlich wir sind!“, juxt Mogli. | |
| „Auf Demos muss die Musik nach vorne gehen, das tut unsere nicht“, sagt | |
| Hannah. | |
| Die Lieder von Früchte des Zorns putschen nicht auf. Aber sie bauen auf. | |
| Und sind deshalb trotz der melancholischen Songs auch auf Demos präsent, | |
| etwa 2011 in Dresden bei einer gegen Polizeirazzien. Auf einem Transparent | |
| steht groß „Passt aufeinander auf!“, der Name eines Songs vom Album „Wie | |
| Antennen in den Himmel“ (2007). Können Früchte des Zorns also doch kurze | |
| Parolen? Ein bisschen. Und auch wieder nicht: Um die drei großen Worte | |
| stehen viele kleine: alle 12 Strophen des Liedes. | |
| „Wenn der Morgen dich mit Angst begrüßt / Und du weißt weder ein noch aus / | |
| Wenn die Unruhe dich nicht schlafen lässt / Passt aufeinander auf (…) Wenn | |
| die Steine sprechen, weil der Zorn groß ist / Und auf den Straßen hängt | |
| dichter Rauch / Verliert nicht den Kopf, bleibt zusammen / Passt | |
| aufeinander auf“. | |
| 20 Jun 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Malte Göbel | |
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