| # taz.de -- Verfassungsrechtler über die AfD: „Unvereinbar mit dem Grundgese… | |
| > Die AfD verstößt in ihrem Grundsatzprogramm gegen die Menschenwürde, sagt | |
| > Jurist Joachim Wieland. Dabei arbeite die Partei absichtlich mit unklaren | |
| > Begriffen. | |
| Bild: Was? Nein, nein, das war gar nicht so gemeint | |
| taz: Herr Wieland, einen Monat nach dem Parteitag in Stuttgart hat die AfD | |
| kürzlich ihr Grundsatzprogramm veröffentlicht. Sie haben im Vorfeld | |
| geäußert, in den verschiedenen Entwürfen seien Zielsetzungen enthalten, die | |
| mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind. Gilt das auch für das | |
| beschlossene Programm? | |
| Joachim Wieland: Ja, das ist weiter der Fall, auch wenn sich die AfD an | |
| vielen kritischen Stellen um vorsichtigere Formulierungen bemüht hat, damit | |
| ihr ein Hintertürchen bleibt. | |
| Was ist aus Ihrer Sicht der deutlichste Verstoß? | |
| Aus juristischer Sicht muss man unterscheiden, was die AfD als Forderung | |
| zur Änderung der Verfassung fordern und auch umsetzen könnte, wenn sie im | |
| Bundestag und im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit hinter sich bringen | |
| würde, und was gegen den Menschenrechtskern des Grundgesetzes verstößt, der | |
| änderungsfest ist. Da sehe ich vor allen Dingen die Diskriminierung des | |
| Islams als Religion und die Religionsausübung. Wenn man sich Ersteres | |
| anschaut, also das, was nach dem jetzt geltenden Grundgesetz nicht mit dem | |
| Programm vereinbar ist, findet man natürlich mehr. Das ist aber ein | |
| schwieriger Maßstab, auch andere Parteien setzen sich für | |
| Verfassungsänderungen ein. | |
| Die AfD bekennt sich in ihrem Programm „uneingeschränkt zur Glaubens-, | |
| Gewissens- und Bekenntnisfreiheit“ und fordert dann, der Religionsausübung | |
| seien durch „unsere Werte“ Schranken zu setzen. | |
| Das ist ein Widerspruch in sich. Man versucht, sich durch die Formulierung | |
| „wir akzeptieren die Religionsfreiheit“ abzusichern, in den Einzelheiten | |
| aber macht man genau das nicht. Die Religionsfreiheit ist im Grundgesetz | |
| uneingeschränkt gewährleistet, auch die Freiheit, diese Religion auszuüben. | |
| Dazu gehören auch die Freiheit, religiöse Gebäude zu bauen, und der | |
| Muezzinruf – solange die allgemeinen Gesetze eingehalten werden. Das | |
| Baurecht gilt für Minarette und Kirchtürme, das Emissionsschutzgesetz für | |
| den Muezzinruf und die Kirchenglocken gleichermaßen. Die Religionsfreiheit | |
| hängt nicht davon ab, dass man eine Überzeugung hat, die den Werten der AfD | |
| entspricht. Das ist eindeutig unvereinbar mit dem Grundgesetz. | |
| Nun ist die Formulierung ja: Die AfD lehnt das Minarett und den Muezzinruf | |
| ab. Ist eine Ablehnung schon verfassungsfeindlich? | |
| Wenn es im Grundsatzprogramm steht, ist es wohl das politische Ziel der | |
| AfD. Und dieses Ziel ist nicht mit der Verfassung vereinbar. | |
| Gilt das auch für den Passus, dass die AfD verfassungsfeindlichen Vereinen | |
| den Bau und Betrieb von Moscheen untersagen will? | |
| Ja, auch das ist von der Religionsausübungsfreiheit geschützt. Natürlich | |
| kann der Staat eingreifen, wenn unter dem Deckmantel der Religion | |
| Straftaten begangen werden. Aber diesseits der Grenze von Straftaten muss | |
| er die Religionsausübungsfreiheit akzeptieren und darf die Inhalte nicht | |
| bewerten. Das genau ist ja die Errungenschaft der Religionsfreiheit. Der | |
| Wert der Grundrechte zeigt sich gerade bei solchen Minderheiten, deren | |
| Auffassung nicht mit der Mehrheit übereinstimmt. | |
| Beim Kopftuchverbot geht die AfD sehr weit. Sie will nicht nur Lehrerinnen | |
| das Tragen untersagen, sondern auch Schülerinnen. | |
| Auch das scheint mir nicht mit der Religionsausübungsfreiheit vereinbar zu | |
| sein, Schülerinnen fallen schließlich unter die Schulpflicht. | |
| Das Schächten, das rituelle Schlachten von Tieren durch Ausblutenlassen, | |
| will die AfD nun grundsätzlich verbieten. | |
| Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht fällt Schächten auch | |
| unter die Religionsausübungsfreiheit. | |
| Lassen Sie uns über andere Bereiche sprechen. Die AfD will nicht | |
| therapierbare alkohol- und drogenabhängige sowie psychisch kranke Täter, | |
| von denen erhebliche Gefahren für die Allgemeinheit ausgehen, nicht mehr in | |
| psychiatrischen Krankenhäusern, sondern in Sicherungsverwahrung | |
| unterbringen. | |
| Das verstößt gegen die Menschenwürde und damit gegen die Verfassung. Wenn | |
| der Staat jemandem die Freiheit nimmt, dann muss er für eine angemessene | |
| Behandlung sorgen. Er kann nicht einfach sagen: Die Krankheit des | |
| Betroffenen interessiert mich nicht. | |
| Die AfD will die EU zu einer „Wirtschafts- und Interessengemeinschaft | |
| souveräner, lose verbundener Einzelstaaten“ zurückführen. Ist das vereinbar | |
| mit dem Grundgesetz? | |
| Das ist nach dem gegenwärtigen Stand des Grundgesetzes auch | |
| verfassungswidrig, weil sowohl in der Präambel als auch in Artikel 23 | |
| steht, dass Deutschland zur Verwirklichung eines vereinten Europas | |
| beitragen wird. Das ließe sich aber mit einer Zweidrittelmehrheit | |
| verändern. Das halte ich für zulässig, weil es hier nicht um den | |
| Menschenrechtskern geht. | |
| Stichwort Asyl: Die AfD will in den Herkunftsregionen der Flüchtlinge | |
| Asylzentren einrichten, Anträge auf Schutz sollen nur noch dort gestellt | |
| und entschieden werden dürfen. | |
| Mit dem jetzigen Grundgesetz ist das nicht vereinbar. Jeder, der es bis | |
| nach Deutschland schafft, hat einen Anspruch auf die Prüfung seines | |
| Asylbegehrens und entsprechenden Rechtsschutz. Das Bundesverfassungsgericht | |
| hat aber gesagt, das Grundrecht auf Asyl könnte auch völlig abgeschafft | |
| werden. Da gilt also wieder, was wir vorhin zu Europa gesagt haben: Wenn | |
| die AfD eine Zweidrittelmehrheit für eine solche Änderung hätte, dann | |
| könnte das Grundrecht auf Asyl entsprechend geändert werden. | |
| Die AfD-Spitze betont gerne, das Grundgesetz sei für die Partei die rote | |
| Linie, die nicht überschritten werden dürfe. Wie bewerten Sie auf der | |
| Grundlage dessen, was wir besprochen haben, die AfD? | |
| Aus meiner Sicht versucht die AfD, die Grenze, die die Verfassung zulässt, | |
| bis ins Äußerste auszutesten. Dabei arbeitet sie mit unklaren Begriffen, | |
| damit sie, wenn sie zur Rede gestellt wird, sagen kann: So war das gar | |
| nicht gemeint. In einigen Punkten sehe ich den Menschenrechtskern des | |
| Grundgesetzes verletzt. Das könnte die AfD, selbst wenn sie entsprechende | |
| Mehrheiten hätte, nicht umsetzen, ohne dass es zu einer eindeutigen | |
| Verfassungsverletzung käme. Man muss also sagen: Die AfD bewegt sich in | |
| vielem an der Grenze zur Verfassungswidrigkeit und in manchem hat sie diese | |
| Grenze bereits überschritten. | |
| Müsste das Konsequenzen haben – zum Beispiel mit der Überwachung durch den | |
| Verfassungsschutz? | |
| Dabei gibt es einen großen Ermessensspielraum, weil die Beobachtung immer | |
| vor dem Hintergrund erfolgt, ob die Partei selber verfassungswidrig ist und | |
| deshalb verboten werden muss. Verboten werden kann bei uns eine politische | |
| Partei aus guten Gründen nur unter sehr strikten Voraussetzungen: Wenn sie | |
| sich aktiv kämpferisch gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung | |
| wendet. Was das heute konkret bedeutet, werden wir bald erfahren, wenn das | |
| Bundesverfassungsgericht sein Urteil im NPD-Verbotsverfahren fällt. Ich | |
| würde aber zögern, der AfD das zu attestieren. | |
| Herr Wieland, warum setzen Sie sich so pointiert mit der AfD auseinander? | |
| Ich habe mich mein ganzes Berufsleben mit der Auslegung des Grundgesetzes | |
| beschäftigt. Ich finde, das Grundgesetz ist eine große Errungenschaft, die | |
| wir nach wechselvoller Geschichte erhalten haben, und ich sehe es als meine | |
| Aufgabe an, mich öffentlich zu äußern, wenn ich Grundwerte bedroht sehe. | |
| 7 Jun 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
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