# taz.de -- Die Bedeutung von Queer-Clubs: Gemeint waren wir | |
> Der Anschlag in Orlando ist ein Angriff auf einen Schutzraum. In Clubs | |
> der schwul-lesbischen Szene wird die Minderheit zur Mehrheit. | |
Bild: LGBTTIQ*-Bars sind manchmal fast heilige Orte | |
„Am besten geht man nur noch zu Naked-Sex-Parties, da trauen sich die | |
Attentäter nicht rein.“ Ein Witz, so gehört am Tag des Attentats von | |
Orlando in einem Berliner Schwulenclub. Immer noch einen Spruch auf den | |
Lippen, mag auch die Welt aus den Fugen geraten sein – eine typische | |
Eigenart von Minderheiten: Galgenhumor. | |
Das „Pulse“ in Orlando war weder eine herkömmliche Sexkaschemme mit | |
Darkroom noch irgendeine Bar, in der Bier ausgeschenkt wurde, sondern ein | |
zeitgenössischer LGBTTIQ*-Club, also offen für lesbische, schwule, | |
bisexuelle, transgender, transsexuelle, intersexuelle, queere und auch | |
solche Menschen, die noch nicht so recht wissen, was sie nun sind. | |
„Not just another gay bar“, so beschreibt Betreiberin Barbara Poma, deren | |
Bruder an Aids verstorben ist, das Konzept ihres im Jahr 2004 gegründeten | |
Clubs. Es gibt dort regelmäßig queere Performances und Dragshows, aber auch | |
LGBTTIQ*-politische Veranstaltungen. Am Samstag, als das Attentat verübt | |
wurde, bei dem mehr als 50 Menschen starben, war Latino-Nacht. | |
Das „Pulse“ in Orlando ist also keiner jener parallelgesellschaftlichen | |
Orte mehr, die früher typisch waren für das „Homosexuellenmilieu“. Bars in | |
dunklen Gassen an möglichst abseitigen Orten, verborgen hinter verdunkelten | |
Scheiben, Mauern und – ganz wichtig – einer Tür mit Klingel. | |
## Im Keller hinter der Stahltür | |
Noch heute beginnen die meisten Reportagen über schwullesbische Szenen in | |
Ländern mit hohem Unterdrückungsfaktor so: „Im dritten Hinterhof eines | |
heruntergekommen Hauses öffnet sich im Keller eine rostige Stahltür.“ Und | |
dahinter dann das pralle Leben. | |
Solche Bars gibt es selbstverständlich noch immer, nicht nur in Osteuropa. | |
Es sind Schutzbunkeranlagen von Menschen, die jeden Tag ihres Lebens unter | |
dem mal mehr, mal weniger starken Druck stehen, anders zu sein. Einer | |
Minderheit anzugehören. | |
Das bedeutet die Möglichkeit, jederzeit angefeindet zu werden, auch | |
körperlicher Gewalt ausgesetzt zu sein. Aber es bedeutet auch – für die | |
Mehrheit nicht immer leicht zu verstehen –, dass man sich ständig erklären, | |
übersetzen muss. Nur hinter der Eisentür, abgeschottet vom Rest der Welt, | |
tritt ein Gefühl von Sicherheit ein, von Entspannung: Endlich einmal nicht | |
in der Minderheit sein, sondern in der Mehrheit. | |
Also: endlich normal sein, wenn auch nur für ein paar Stunden. Sich langsam | |
drehende Discokugeln, plüschiges Interieur und der Geruch von Alkohol, | |
starkem Parfüm und Zigarettenrauch – dazu angetrashte Konsensmusik vom | |
Schlager bis zum Kirmeshouse, so das Klischee und so auch manchmal noch die | |
Wirklichkeit. Unabhängig von ästhetischen Kategorien sind LGBTTIQ*-Bars für | |
die „Betroffenen“ selbst manchmal fast heilige Orte, jedenfalls zentrale | |
Plätze ihres Lebens. | |
Erstmals hineinzugehen, bedeutet herauszukommen – im Sinne eines | |
Coming-outs. Mag auch das Internet als Kontaktforum immer größere Bedeutung | |
bekommen (ein Segen gerade für Homos in der Provinz), ist doch der queere | |
Club noch immer eine der besten Möglichkeiten, um Sexual- und mögliche | |
Lebenspartner kennenzulernen. Ohne bei einem allzu langen Blick in die | |
Augen einen Schlag auf die Nase zu riskieren. | |
## Freiheit ohne muffige Gardinen | |
Doch je weiter die gesellschaftliche Liberalisierung voranschritt, desto | |
weniger notwendig wurden die Bunker mit ihrer manchmal auch arg muffigen | |
Luft. Das war nicht immer so. Nachdem, auf Deutschland gemünzt, die gesamte | |
(beeindruckend große) schwul-lesbische Infrastruktur durch die Nazis | |
zerstört worden war, dominierten in der Zeit des Paragrafen 175 in der | |
Nazi-Fassung über Jahrzehnte die heimlich-verhuschten Orte. Sein Auto | |
stellte man in den fünfziger und sechziger Jahren lieber zwei Straßen | |
weiter ab, um nicht erkannt zu werden. | |
In den späten siebziger Jahren dann, der Zeit der letzten großen deutschen | |
Schwulenbewegung, eröffneten erstmals queere Lokalitäten, deren Fenster | |
nicht verdunkelt waren: Das „Andere Ufer“ in der Berliner Hauptstraße und | |
das „Spundloch“ in Hamburg – hier saßen nun freie BürgerInnen hinter von | |
muffigen Gardinen befreiten Fensterscheiben. | |
Im Jahr 2016 hat sich die Situation in den westlichen Ländern so weit | |
liberalisiert, dass nicht nur die Fenster offen sind für die | |
Mehrheitsgesellschaft, sondern auch die Türen. Kamen früher nur die „besten | |
Freundinnen“ mit in den Schwulenclub, sieht man heute in den LGBTTIQ*-Clubs | |
immer mehr Heterosexuelle gleich welchen Geschlechts. | |
## Sehnsuchtsorte der Weltoffenheit | |
Je schwächer der gesellschaftliche Druck, desto offener wurden die Szenen. | |
Heteros schätzen die offene, nicht aggressive Partystimmung in den | |
entsprechenden Clubs, können sich womöglich ein wenig vom Druck der | |
Heteronormativität erholen. In Berlin ist dieser Effekt zum Beispiel bei | |
den Tanzveranstaltungen des SchwuZ zu beobachten. | |
Noch weiter greift der Ansatz der lebenden Berliner Clublegende Berghain, | |
das ureigentlich aus schwulen Sexpartys in den neunziger Jahren | |
hervorgegangen ist und heute zu einem der umschwärmtesten Sehnsuchtsorte | |
von freiheitsliebenden Menschen aus der ganzen Welt geworden ist – im Kern | |
geht es in diesem Dom darum, das eigene Selbst ausleben zu können, | |
inklusive des sexuellen Begehrens gleich welcher Natur. | |
Das „Pulse“ in Orlando ist nun nicht mit dem Berghain zu vergleichen, | |
handelte es sich doch explizit um einen LGBTTIQ*-Club. Und doch waren an | |
diesem Samstagabend ganz sicher auch weltoffene, von Akzeptanz geprägte | |
Heterosexuelle dort zu Gast, um mit ihren queeren Freunden zu feiern, zu | |
tanzen und zu trinken. | |
Ja, der Angriff auf das „Pulse“ war auch ein Anschlag auf die offene | |
Gesellschaft, auf Menschen, die Minderheiten Luft zum Atmen geben möchten, | |
sie akzeptieren, anstatt sie bloß zu tolerieren. Wirklich ermordet werden | |
sollten aber LGBTTIQ*-Menschen, weshalb der Attentäter ja auch über hundert | |
Kilometer gefahren ist, um speziell diese zu ermorden. „Gemeint waren wir“, | |
sagte noch jemand im eingangs erwähnten Berliner Schwulenclub am Sonntag. | |
Das „Pulse“ war nicht nur irgendein Club, sondern ein Ort, an dem queere | |
Identität gelebt wurde, ein Ort, an dem Freundschaften gefeiert und Lieben | |
begründet wurden. | |
13 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
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