# taz.de -- Essay Bundespräsidentenwahl: Rote Frau für roten Teppich | |
> Eine linksliberale SPD-Kandidatin könnte in Bellevue ordentlich | |
> durchlüften. Doch die Partei scheut das Bündnis mit Linken und Grünen. | |
Bild: Zeit für etwas Risiko: Jutta Allmendinger und Frank-Walter Steinmeier | |
Die Wahl des Bundespräsidenten ist in der überraschungsarmen deutschen | |
Politik etwas Besonderes. Die Mehrheitsverhältnisse sind oft nicht exakt | |
vorhersehbar. Schon das macht die Bundesversammlung speziell. | |
Der Bundespräsident verfügt über kaum mehr als die Macht des Wortes. Das | |
Amt ist ein fernes Echo des Monarchischen, es hat etwas Schwebendes. Geist, | |
Rhetorik und Gefühl für passende Zeitpunkte sind wichtiger als Kenntnis der | |
Parteilinie. Gerade weil das Amt nicht so recht zählt, können die Parteien | |
freihändig agieren. Sie können eigentlich gefahrlos Tricks probieren, auf | |
taktische Vorteile zielen, experimentieren. Sogar Merkel, die 2012 mit dem | |
Versuch, Gauck zu verhindern, scheiterte, kam mit ein paar Schrammen davon. | |
Wer hier stürzt, fällt weich. | |
Die Wahl von Bundespräsidenten hat schon Machtwechsel symbolisch | |
angekündigt. Das war 2004 so, als Union und FDP mit Horst Köhler einen | |
Neoliberalen ins Amt hievten und die schwarz-gelbe Mehrheit in der | |
Bundesversammlung den Kollaps von Rot-Grün ein Jahr später erahnen ließ. | |
Doch das war die Ausnahme. Joachim Gauck bekam den Job 2012, weil es | |
SPD-Chef Sigmar Gabriel gelang, Schwarz-Gelb zu spalten und Merkel damit | |
genüsslich eine Niederlage zu bereiten. | |
Der Preis für diesen Erfolg war, dass Rot-Grün mit Gauck einen Mann wählte, | |
der neoliberaler als die FDP und in der Gesellschaftspolitik konservativer | |
als die Union war. Ein machtpolitisches Wetterleuchten war auch Gaucks Wahl | |
nicht. | |
## Frischluftzufuhr gegen Durchwursteln | |
Für die Wahl im Februar 2017 sollte die SPD versuchen, eine linksliberale | |
Kandidatin durchzusetzen. Zum Beispiel eine intellektuelle Sozialdemokratin | |
wie Jutta Allmendinger, die Chefin des Wissenschaftszentrums Berlin, oder | |
Gesine Schwan, die gescheite antikommunistische Linke. Eigentlich müsste es | |
schon aus Gründen der Abwechslung reizvoll sein, mal eine SPD-Frau zu | |
nominieren, die nicht nur pro forma antritt, sondern mit der Aussicht, zu | |
gewinnen. | |
Die Sozialdemokraten klagen seit Jahren, dass Angela Merkel die Mitte | |
besetzt hat. Klagen nutzt nie viel. Die Kandidatur einer eigenwilligen | |
Sozialdemokratin wie Allmendinger oder Schwan wäre das Zeichen, dass es ein | |
Jenseits der Merkel-Mitte gibt. Eine Bundespräsidentin, die in der | |
Weihnachtsansprache über alleinerziehende Mütter spricht und über den | |
Missstand, dass Frauen noch immer weniger als Männer verdienen, wäre etwas | |
Neues. | |
Es wäre eine Frischluftzufuhr für die oft von Alternativlosigkeit und | |
pragmatischem Durchwursteln erstickte politische Kultur. Joachim Gauck | |
pflegt in seinen Reden in einer rhetorischen Umarmungsgeste vom Wir zu | |
sprechen. Doch es gibt einiges, was in diesem Wir fehlt, dass ausgeklammert | |
bleibt, weil es auf dem politischen Radar des antitotalitären Konservativen | |
nicht auftaucht. Auf die Marktwirtschaft schaut Gauck mit der staunenden, | |
naiven Erwartungsfreude des Ex-DDR-Bürgers. | |
## Thema: soziale Gerechtigkeit | |
Gerade deshalb ist es naheliegend, von der nächsten Bundespräsidentin zu | |
erwarten, dass sie diese Leerstellen füllt und Merkels | |
Es-geht-uns-allen-gut-Mantra mit ein paar wohlgesetzten Strichen | |
korrigiert. In der Republik grassieren soziale Abstiegsängste, die eher | |
zu- als abnehmen werden. Dass die reichsten zehn Prozent hierzulande zwei | |
Drittel des Vermögens besitzen, die ärmere Hälfte dagegen so gut wie | |
nichts, ist ja kein Naturereignis. | |
Es wäre nicht der Job einer linksliberalen Bundespräsidentin, zu fordern, | |
wie hoch der Hartz-IV-Satz oder die Erbschaftsteuer sein sollen. Aber doch, | |
genau zu beschreiben, dass es eine Gesellschaft zerreißt, wenn sich die | |
Spaltung in Arm und Reich weiter vertieft. Und dass diese Gesellschaft | |
innerlich verödet, wenn die Aufstiegschancen von Kindern weiterhin am | |
Geldbeutel der Eltern hängen und Kinder von Nichtakademikern kaum Chancen | |
haben, eine Universität jemals von innen zu sehen. | |
Günstig wäre es auch, eine Frau an der Staatsspitze zu wissen, die weniger | |
fremd auf die EU schaut als Gauck, dessen Rede zu Europa nicht zufällig | |
eine seiner blasseren war. Angesichts der Krise der EU braucht die Republik | |
eine Frau, die sich im Institutionengeflecht auskennt, den Mangel an | |
Demokratie in der EU hart kritisiert und für die Vision eines solidarischen | |
Europa brennt. Eine Bundespräsidentin müsste die Skepsis zur Sprache | |
bringen, die die deutsche Dominanz in Europa in Paris, Athen und Rom | |
auslöst. In der bundesdeutschen Öffentlichkeit liegt da viel in einem toten | |
Winkel. | |
Die Jobbeschreibung ist klar. Die nächste Bundespräsidentin soll | |
postnational und radikal proeuropäisch sein. Sie soll ein Gespür für das | |
Soziale haben, für den Alltag von Normalverdienern und Teilzeitjobbern. Sie | |
soll nicht vermufft antikapitalistisch, sondern links und weltoffen sein | |
und die Freiheit, die die individualisierte Gesellschaften bietet, | |
schätzen. Und, vor allem, ein origineller Kopf sein, der sich nicht scheut, | |
das eigene Lager zu irritieren. | |
Eine schöne Vorstellung. Allerdings gibt es ein Problem. Dafür muss sich | |
die SPD im Februar 2017 mit Grünen, der Linkspartei und im Beiboot den | |
Piraten verbünden. Diese Zweckgemeinschaft kann im ersten Wahlgang (nicht | |
so wahrscheinlich) siegen oder im dritten (eher wahrscheinlich). | |
Doch die SPD traut sich nicht. Die Grünen, ganz rundgeschliffene neue | |
Mitte-Partei, warten erst mal ab und schweigen. Die SPD-Spitze fürchtet, | |
dass sie sich damit irgendwie auf die Machtoption Rot-Rot-Grün für die | |
Bundestagswahl festlegen könnte. So wie 1969, als auf die Wahl des | |
linksliberalen Gustav Heinemann die Kanzlerschaft von Willy Brandt folgte. | |
Diese Analogie ist naheliegend, aber falsch. Denn es gibt drei Gründe, die | |
eine rot-rot-grüne Bundesregierung im Herbst 2017 äußerst unwahrscheinlich | |
erscheinen lassen: Die SPD. Die Grünen. Und die Linkspartei. | |
Die SPD müsste sich durchringen, Umverteilung nicht bloß in Sonntagsreden | |
zu fordern, sondern auch zu wollen. Ihre Erklärungen zur Vermögensteuer | |
schwanken derzeit zwischen „Ja, unbedingt“, „geht leider nicht“ und „… | |
nicht“. Solange das so ist, regiert die SPD weiter besser an Merkels Seite. | |
## No risk, no fun | |
Die Grünen wollen gerne Schwarz-Grün – sie müssen wohl erst noch erleben, | |
was es heißt, mit der CSU zu regieren. Und wie peinlich es sein kann, von | |
den Kirchen schon wieder gestiegene Waffenexporte unter die Nase gerieben | |
zu bekommen. | |
Die Linkspartei hockt unbeweglich in der Populismusfalle. Sie lebt in der | |
Illusion, eigentlich den Willen den Mehrheit zu vertreten – eine kühne | |
Annahme für eine 8-Prozent-Partei. Und solange auf ihren Parteitage | |
Attacken auf Rot-Grün donnernden Applaus bekommen, sind ihre | |
Koalitionsofferten nur Agitprop. | |
Clever wäre es seitens der SPD, eine rot-rot-grüne | |
Präsidentschaftskandidatin machtpolitisch als das zu verstehen, was sie | |
ist: eine Lockerungsübung in einem verspannten Verhältnis, aber kein | |
Warming-up für eine Mitte-links-Regierung. Denn dazu sind alle drei nicht | |
in der Lage. Im Topf ist ein taktischer Erfolg für Rot-Grün. Und eine | |
Präsidentin, die im Schloss Bellevue mal durchlüftet. | |
Natürlich kann dieser Versuch scheitern, an konservativen Grünen, rechten | |
SPDlern, linken Fundis. Aber einen Versuch ist es wert. No risk, no fun. | |
Wahrscheinlich kommt es anders. Angela Merkel wird einen Kandidaten suchen, | |
der für die CSU gerade noch erträglich und für SPD und Grüne akzeptabel | |
ist. Wenn ihr das gelingt, wird im Februar 2017 eine ganz große Koalition | |
von Horst Seehofer bis Toni Hofreiter den Bundespräsidenten wählen. Kein | |
Streit, nirgends. Man wird gegenseitig die Gemeinsamkeit der Demokraten | |
loben. Die AfD wird einen Kandidaten präsentieren und sich in ihrer | |
Lieblingsrolle inszenieren: einsamer Streiter gegen die Übermacht. | |
Es wäre besser, wenn die Bundesversammlung eine echte Wahl hat. | |
11 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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Februar 2017. |