# taz.de -- Debatte Umgang mit Rechtspopulisten: Schweigen hilft nicht weiter | |
> In einer Demokratie ist nicht alles verhandelbar – aber eben sehr viel. | |
> Was in der Auseinandersetzung mit Pegida, AfD und Co. falsch läuft. | |
Bild: Die AfD sorgt für versteinerte Mienen – doch das ist keine Lösung | |
„Mit den Rechtspopulisten ist weder eine Debatte noch ein Dialog möglich“, | |
hat EU-Kommissionspräsident Juncker neulich gesagt. Diese Stellungnahme ist | |
charakteristisch für die Einstellung des politischen Mainstreams zu Pegida, | |
AfD, FPÖ und ähnlichen Parteien und Bewegungen: Was sich da neuerdings | |
vermehrt rechts am Rand breitmacht, liege nicht nur politisch falsch, | |
sondern sei schon des Gesprächs gar nicht fähig oder würdig. Es bewege sich | |
sozusagen außerhalb des politischen Koordinatensystems, das den Raum der | |
öffentlichen Diskussion definiert. | |
Dementsprechend fallen die Reaktionen der Rechtspopulisten aus, die nicht | |
nur die konkrete Politik, etwa in der Flüchtlingsfrage, kritisieren, | |
sondern dem politischen und medialen Establishment ein viel fundamentaleres | |
Versagen vorwerfen: Es sei elitär und abgehoben, es höre nicht mehr die | |
Stimme des Volkes und der „einfachen Leute“, deren Ansichten tabuisiert | |
oder lächerlich gemacht würden. | |
Wie diese ganze verquere Diskussionslage zustande kommt, versteht man | |
vielleicht besser, wenn man sich klarmacht, dass sie mit einem Grundproblem | |
demokratischer Ordnungen zusammenhängt. Die Demokratie ist zunächst dadurch | |
gekennzeichnet, dass unterschiedlichste Meinungen und Überzeugungen in | |
einen argumentativen Wettbewerb treten, in dem keine der streitenden | |
Parteien die Wahrheit gepachtet hat. Manche Theoretiker, wie etwa der | |
österreichische Rechtswissenschaftler Hans Kelsen, hat das zu einem | |
relativistischen Konzept geführt: Die Plausibilität der demokratischen | |
Ordnung hänge davon ab, dass man nicht an ewige und objektive Werte glaube, | |
sondern alles für verhandelbar halte. | |
Psychologisch mag das gar nicht so falsch sein, aber logisch handelt man | |
sich ein offensichtliches Problem ein: Wenn alles relativ ist, warum dann | |
nicht auch die Demokratie selbst mitsamt ihren grund- und | |
menschenrechtlichen Voraussetzungen? Eine totalrelativistische | |
Rechtfertigung bleibt immer widersprüchlich. | |
Die demokratischen Ordnungen reagieren auf dieses Problem, indem sie | |
bestimmte Fragen der tagespolitischen Diskussion entziehen. Dies geschieht | |
insbesondere in Verfassungen, die nur unter erheblich erschwerten | |
Voraussetzungen geändert werden können und manchmal fundamentale Gehalte – | |
etwa die Menschenwürde und die Staatsgrundsätze wie das Demokratieprinzip | |
im deutschen Grundgesetz – sogar für im Kern unveränderlich erklären. | |
## Diskursive No-go-Areas | |
Die Geschäftsgrundlage für die demokratische Auseinandersetzung wird | |
freilich nicht nur in Rechtstexten definiert. Auch die öffentliche | |
Gesprächskultur kennt bestimmte No-go-Areas: Ansichten und Argumente, die | |
nicht oder nicht mehr vorgebracht werden dürfen und deren Verwendung mit | |
politischer Ausgrenzung sanktioniert wird. | |
In stark juristisch geprägten politischen Kulturen wie der deutschen | |
vermischen sich diese Ebenen auch gern: das Grundgesetz gilt als „objektive | |
Wertordnung“, die für alles und jeden verbindlich sein soll. | |
Nun kann diese Abgrenzung von Geschäftsgrundlage und Geschäftsbetrieb, von | |
Unverfügbarem und Verhandelbarem und von verbotenen und zugelassenen | |
Ansichten und Argumenten ihrerseits in Frage gestellt werden. Und | |
vermutlich ist es genau das, was die rechtspopulistischen Strömungen tun – | |
und warum das Establishment so allergisch auf sie reagiert. | |
Der Skandal ist aus Mainstream-Sicht nicht, dass die AfD in einer ethnisch | |
und religiös homogenen Gesellschaft leben möchte – das wäre vielleicht | |
sogar auch manchen Vertretern des politischen Mainstreams lieber, von denen | |
viele ja selbst oft auch nicht dazu neigen, ihren Wohnsitz in den | |
Hochburgen des multikulturellen Zusammenlebens zu nehmen. Der Skandal | |
besteht vielmehr darin, dass ethnische und religiöse Zugehörigkeiten und | |
Homogenitätsvorstellungen überhaupt wieder in das öffentliche Gespräch | |
eingeführt werden. | |
Dass derartige Überlegungen tabuisiert werden sollen, ist umgekehrt genau | |
der Umstand, den die Rechtspopulisten beklagen – und zwar bekanntlich recht | |
unabhängig davon, wie es sich mit der realen ethnischen und religiösen | |
Zusammensetzung vor Ort überhaupt verhält. Es wird hier eben nicht (nur) | |
über konkrete Handlungsnotwendigkeiten und -optionen diskutiert, sondern | |
(auch) auf einer Metaebene über die prinzipielle Frage, welche Argumente in | |
diesen Diskussionen überhaupt zugelassen sind. | |
## Dinge jenseits des Diskutierbaren | |
Jedenfalls wird man der Idee, den Angriff auf bisherige diskursive | |
Selbstverständlichkeiten dadurch abzuwehren, dass man deren Geltung durch | |
Gesprächsverweigerung zu bekräftigen versucht, eher skeptisch | |
gegenüberstehen müssen. Natürlich gibt es Dinge, die jenseits des | |
Diskutierbaren liegen; Brandanschläge auf Flüchtlingsheime und offener | |
Rassismus („einen Boateng wollen sie nicht als Nachbarn haben“) gehören | |
fraglos dazu. | |
Aber wer für Zuzugsbegrenzungen, für Obergrenzen oder für die Wahrung der – | |
was immer das sein soll – kulturellen Identität eintritt, ruft damit nicht | |
zur Gewalt gegen die Flüchtlinge auf, die schon hier sind. Dies zu | |
unterstellen ist der untaugliche Versuch, unangenehme Fragen loszuwerden, | |
indem man sie in den Bereich des völlig Inakzeptablen drängt. | |
Die Rechtspopulisten wollen ethnische, religiöse und nationale | |
Homogenitätsvorstellungen wieder auf die Tagesordnung setzen, die wir schon | |
hinter uns gelassen glaubten. Dabei sind die Befürchtungen, dass | |
Deutschland islamisiert wird oder es hier in großen Teilen demnächst | |
aussieht wie in Berlin-Neukölln, sicherlich grotesk übertrieben. Das ändert | |
aber nichts daran, dass die Frage gestellt wird, ob das Gemeinwesen nicht | |
doch einmal etwa diskutieren muss, wie viel öffentliche Präsenz des Islam | |
wir eigentlich wollen. Vielleicht kann und soll man das in einer | |
freiheitlichen Gesellschaft gar nicht beeinflussen, aber dann muss man das | |
auch sagen. Durch peinlich berührtes Beschweigen wird man das Problem nicht | |
los. | |
Was in der Demokratie noch verhandelbar ist, ist eben legitimerweise selbst | |
eine verhandelbare Angelegenheit. | |
5 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Stefan Huster | |
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