# taz.de -- Umweltkatastrophe 2012 in Finnland: Nickelgrube soll Geschichte wer… | |
> Der Tagebau Talvivaara sollte mit innovativster Technik arbeiten. Er | |
> kostete Milliarden. Ein Unfall verseuchte die Umgebung. Nun ist Schluss. | |
> Bald. | |
Bild: Wozu braucht man überhaupt Nickel? In Piercings ist es häufiger zu find… | |
Stockholm taz | Der Name Talvivaara steht in Finnland für unverantwortliche | |
und teure rechtswidrige staatliche Entscheidungen sowie eine böse | |
Umweltkatastrophe. Am Mittwoch zog die Regierung in Helsinki die Notbremse: | |
Der Betrieb der Nickelgrube wird endgültig abgewickelt. Das wird vermutlich | |
noch eínmal bis zu 500 Millionen Euro kosten, gilt aber als die billigste | |
Alternative. | |
Talvivaara liegt im nördlichen Finnland in der Nähe von Sotkamo und ist der | |
größte europäische Nickeltagebau. Er galt als ein bahnbrechendes und | |
zukunftsweisendes Industrieprojekt, als 2008 der Betrieb aufgenommen wurde. | |
Das abgebaute Gestein wurde auf Halden getürmt und mit Schwefelsäure | |
besprüht, dadurch bildeten sich Bakterienkulturen, die Nickel und Zink | |
herauslösen. Diese als innovativ gepriesene Technik heißt „Bioleaching“ u… | |
war bis dato nie im konkreten Betrieb erprobt worden. Auch gab es keine | |
Lösung, wie die gewaltigen Mengen der dabei anfallenden schwefel- und | |
schwermetallhaltiger Abwässer entsorgt werden sollten. | |
Wie sich heraustellte, wussten die zuständigen Genehmigungsbehörden mangels | |
entsprechender Kompetenz gar nicht, wozu sie Ja sagten. Sie verließen sich | |
auf die von der Betreibergesellschaft vorgelegten Pläne und verteilten | |
großzügig öffentliche Gelder für die erforderliche Infrastruktur. | |
Schließlich ging es um Hunderte von Arbeitsplätzen in einer | |
strukturschwachen Gegend – und die leuchtende Zukunft Finnlands als Erz- | |
und Mineralienproduzent. „Kaufen!“ empfahlen auch in Deutschland viele | |
Börsenportale, Tausende Anleger vertrauten dem Unternehmen rund eine | |
Milliarde Euro an. | |
## Menschen und Natur als Versuchskaninchen | |
Es dauerte Jahre, bis der Betrieb in die Gänge kam und schon 2012 gab es | |
die Katastrophe. Eines der riesigen offenen Becken, in denen die belasteten | |
Abwässer, die zudem einen hohen Urangehalt haben, aufgefangen wurden, | |
brach. Zu schwach ausgelegt, hielt es dem Druck nicht stand, 800 Millionen | |
Liter Giftbrühe verseuchten in einem Umkreis von 100 Kilometern Böden und | |
Gewässer. Man habe Menschen und Natur dort zu Versuchskaninchen gemacht, | |
bilanzierte der damalige Umweltminister Ville Niinistö. | |
Talvivaara war danach im Prinzip pleite. Doch im Bemühen, die rund 500 | |
Arbeitspätze zu retten, wurde erst das Insolvenzverfahren mit Hilfe | |
mehrerer staatlicher Geldspritzen noch bis 2014 verschleppt. Dann übernahm | |
das Staatsunternehmen, Terrafame – eigentlich als Zwischenlösung, bis ein | |
neuer Interessent gefunden wäre. Den gibt es bis heute nicht. Deshalb die | |
Notbremse. | |
Die Krux: Der Bioleaching-Prozess kann nicht von heute auf morgen | |
abgebrochen, sondern muss über einen Zeitraum von mehreren Jahren hinweg | |
kontrolliert zu Ende gebracht werden. Zu den bereits bis zu 10 Millionen | |
Kubikmetern der uranhaltigen Brühe in den Lagerbecken kommen deshalb stetig | |
neue Abwässer . Die dürfen trotz Anliegerprotesten aufgrund einer | |
kürzlichen Gerichtsentscheidung nun teilweise über Rohrleitungen in den 25 | |
Kilometer entfernten Nuasjärvi-See gepumpt werden. „Sie machen meinen | |
Arbeitsplatz zu einem Abwasserbecken“, klagt Paavo Huusko, einer der beiden | |
dortigen Berufsfischer. | |
Mittlerweile besteht Einigkeit, dass Talvivaara nie hätte genehmigt werden | |
dürfen. Es laufen Gerichtsverfahren wegen Verstößen gegen das Umweltrecht. | |
Über mögliche Korruption, nämlich persönliches wirtschaftliches Interesse | |
politischer Entscheidungsträger, die selbst Anteile an der | |
Grubengesellschaft hielten, wird spekuliert. Antti Lankinen vom finnischen | |
Naturschutzverband hofft, dass der Staat nun wenigstens für eine Sanierung | |
der kontaminierten Gewässer und Böden sorgt. Soweit das überhaupt möglich | |
sein wird. | |
25 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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