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# taz.de -- Kommentar Krise in Brasilien: Ein Land im Rückwärtsgang
> Niemand zweifelt daran, dass Dilma Rousseff per Amtsenthebung entmachtet
> wird. Für den „Putsch“ war nicht einmal mehr Militär nötig.
Bild: Es sieht nicht gut aus für Rousseff – für Brasilien auch nicht
Seit diesem Mittwochmorgen debattiert der brasilianische Senat zum
vorläufig letzten Mal über die Amtsenthebung von Präsidentin Dilma
Rousseff. Niemand zweifelt daran, dass die erste Frau im höchsten Staatsamt
in der folgenden Abstimmung entmachtet wird.
Ist es ein Putsch, wie Rousseff und die ungewohnt einige Linke nun
reklamiert? Oder ein demokratischer Akt zur Rettung des krisengeschüttelten
Landes, wie die rechte Opposition, die abgesprungenen Koalitionspartner und
die in den Massenmedien veröffentlichte Meinung behaupten? Ein
Amtsenthebungsverfahren ist in der Verfassung für den Fall vorgesehen, dass
dem Staatsoberhaupt schwere Verbrechen nachgewiesen werden können.
Vorgeworfen werden Rousseff aber lediglich Haushaltstricks, mit denen sie
die Staatsfinanzen schönte. Nicht korrekt, aber durchaus üblich in
Brasilien. Ein im besten Fall unlauteres, illegitimes Vorgehen und fraglos
eine Verletzung der demokratischen Spielregeln. Und was die Korruption
angeht, sind ihr Widersacher viel tiefer darin verstrickt als sie selbst.
Abgesetzt wird Rousseff aus ganz anderen Gründen: die mächtigen
Seilschaften haben schon lange die Nase voll von der seit 13 Jahren
regierenden Arbeiterpartei, die zwar nur in Ansätzen eine andere,
gerechtere und sozialere Politik verfolgt, aber eben nicht zum Kreis der
Mächtigen und Reichen dazugehört. Die Elite, die in Brasilien in der
rassistischen Tradition der Sklavenhaltergesellschaft und der
Militärdiktatur steht, erträgt es nicht, ihre Macht mit Gewerkschaftern und
Landlosen zu teile. Sie wollen nicht, dass Quoten Armen und Schwarzen den
Zugang zu den Universitäten erleichtert, und es gefällt ihnen auch nicht,
wenn weniger fein gekleidete Herrschaften die Flughäfen frequentieren.
Auf der anderen Seite spiegelt die Amtsenthebung die heutigen
Mehrheitsverhältnisse wider. Auch wenn Rousseff noch im Oktober 2014
wiedergewählt wurde, hat sie heute eindeutig keine Mehrheit mehr: nicht in
der Bevölkerung, nicht im Kongress und auch nicht im Justizapparat, der
keinen Versuch unternommen hat, den Schein der Unparteilichkeit zu wahren.
Die Folgen dieses Verfahrens, mit dem die Rechtsstaatlichkeit in der jungen
Demokratie Brasiliens in Frage gestellt wird, sind nicht zu unterschätzen.
Dabei geht es weniger um den erwarteten Rechtsruck in der Wirtschafts- und
Sozialpolitik. Denn Rousseff hat – sei es aus Überzeugung oder aus
Opportunismus – schon lange keine fortschrittliche Politik mehr betrieben.
Dramatisch aber ist, dass Brasilien als Regionalmacht und fünftgrößtes Land
der Welt zeigt, dass es durchaus möglich ist, Wahlen zu umgehen und
scheinbar legal an die Macht zu gelangen. Es sind nicht einmal mehr
Militärs nötig, um unliebsame Regierungen abzusetzen.
Die Folgen sind deprimierend. Brasilien hat den Rückwärtsgang eingelegt.
Das betrifft den Kampf gegen Rassismus und religiöse Hardliner ebenso wie
die zaghaften Versuche, in Brasilien Pressefreiheit im Sinne von
Meinungsvielfalt und öffentlicher Debatte herzustellen. Der Raum für
soziale und kulturelle Erneuerungen wird wieder eng werden.
11 May 2016
## AUTOREN
Andreas Behn
## TAGS
Dilma Rousseff
Brasilien
Amtsenthebung
Opposition
Putsch
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