Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Regierungskrise in Brasilien: Putschplan zum Mithören
> Ein Audiomitschnitt zeigt, dass die Absetzung Rousseffs geplant wurde, um
> Korruptionsermittlungen zu stoppen. Halfen Militär und Justiz beim
> Umsturz?
Bild: Plant nicht mehr: Romero Jucá
Rio de Janeiro taz | Um die Korruptionsermittlungen zu stoppen, sei ein
„nationaler Pakt“ notwendig. „Samt Oberstem Gerichtshof, alle zusammen. D…
Michel an die Spitze setzen, dann ist es endlich vorbei, basta.“ Romero
Jucá spricht frei von der Leber weg, er ahnt nicht, dass sein Gegenüber
alles mitschneidet. Dann bringt er es noch einmal auf den Punkt: „Die
Regierung muss wechseln, um das Ausbluten zu stoppen“, sagt Jucá mit Blick
auf die vielen Politiker, die in Brasilien der Korruption verdächtigt
werden.
Das Gespräch mit dem früheren Petrobras-Manager Sergio Machado fand im März
statt, zwei Monate bevor die Präsidentin Dilma Rousseff in einem
umstrittenen Amtsenthebungsverfahren vorläufig vom Amt suspendiert wurde.
Jetzt ist Michel Temer Übergangspräsident, und er ernannte seinen
Parteifreund und engen Vertrauten Jucá zum Planungsminister. Nachdem die
Zeitung Folha de São Paulo am Montag den Mitschnitt veröffentlichte,
erklärte Jucá zuerst noch, er habe mit „Ausbluten“ die schwere
Wirtschaftskrise gemeint. Stunden später stellte er sein Amt zur Verfügung.
Vieles, das die Gegner einer Amtsenthebung von Rousseff immer behaupteten,
steht nun schwarz auf weiß: Sie wurde nicht wegen Verfehlungen oder
Korruption geschasst, sondern im Gegenteil – um die Korruptionsermittlungen
zu stoppen, die die ganze politische Klasse und jetzt vor allem die neue
Regierung bedrohen. Jucá und Machado sind beide bis zum Hals in den
Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras verstrickt.
Jucá sagte damals voraus, dass Rousseffs Amtsenthebung dazu führen werde,
dass „der Druck der Presse und anderer Sektoren zur Fortsetzung der
Korruptionsermittlungen aufhört“. Unverblümt berichtet der frühere Senator
sogar von Unterredungen mit einzelnen Richtern und erläutert: „Nur wenige
waren nicht zugänglich.“ Auch mit einigen Generälen habe er gesprochen.
„Alles gebongt, sie halten zu uns.“ Dann erzählt Jucá noch, dass die
Militärs die Landlosenbewegung MST beobachten würden, er wisse aber nicht,
warum.
An diesem Punkt wird sogar Verschwörungstheoretikern mulmig. Sollte es
wirklich stimmen, dass das Militär und Teile des Obersten Gerichts dabei
halfen, eine ungeliebte Präsidentin aus dem Amt zu kicken? Mehrere
Mitglieder des Obersten Gerichtshofes reagierten prompt und erklärten
kategorisch, dass diese Behauptung von Jucá völlig aus der Luft gegriffen
sei.
## Endlich Beweise
Die bis vor kurzem regierende Arbeiterpartei sieht sich darin bestätigt,
von einem „Staatsstreich“ zu sprechen. Afonso Florence, PT-Fraktionschef im
Parlament, bezeichnete den Mitschnitt als nicht überraschend, aber endlich
gebe es ein Geständnis. „Die Rede ist von Verbrechen wie Behinderung der
Justiz und Angriffe auf die Demokratie.“ Endlich sei bewiesen, dass sie
(die Gegner der PT) den Angriff auf Petrobras gestartet hätten. „Die Maske
der Putsch-Regierung von Temer ist gefallen“, erklärte Florence.
Die Opposition fordert die sofortige Entlassung von Jucá und
strafrechtliche Ermittlungen. Er gehört wie Temer der PMDB an, die im März
die Rousseff-Regierung verließ. Kaum zwei Wochen im Amt, nimmt der Druck
auf Temers Übergangsregierung zu. Bereits am Sonntag machte er den ersten
großen Rückzieher und die vehement kritisierte Abschaffung der
Kulturministeriums rückgängig. Sein Kabinett war von Anfang an kritisiert
und verspottet worden: keine einzige Frau und kein einziger Afrobrasilianer
ist unter den 23 Ministern. Dafür aber sieben Herren, gegen die der Oberste
Gerichtshof bereits wegen des Petrobras-Skandals ermittelt.
Der Ausfall von Jucá schwächt Temers Wirtschaftsteam, das gerade dabei ist,
Brasilien ein striktes Sparprogramm aufzuerlegen. Umfragen zufolge ist
Temer ähnlich unbeliebt wie Rousseff, die für die schwere Wirtschaftskrise
verantwortlich gemacht wird. Täglich kommt es in vielen Städten zu
Protesten gegen die umstrittene Übergangsregierung, am Sonntag konnte die
Politei eine Demonstration erst kurz vor Temers Wohnhaus in Sao Paulo mit
Gewalt stoppen. Am Montagabend gab es nach Veröffentlichung des Jucá-Audios
erneut spontane Kundgebungen.
Schon jetzt ist abzusehen, dass der Fall Jucá nicht das letzte Problem der
Temer-Regierung sein wird. Der frühere Oppositionsführer und jetzige
Koalitionspartner Aécio Neves von der konservativen PSDB, der Rousseff 2014
in der Stichwahl knapp unterlag, wird immer wieder mit dem Skandal in
Verbindung gebracht. Jucá bezeichnet ihn im Licht der Ermittlungen schlicht
als „hoffnungslosen Fall“. Und laut Presseberichten soll Jucás
Gesprächspartner Machado nicht nur diese sondern auch eine Unterredung mit
dem Senatspräsidenten Renan Calheiros mitgeschnitten haben. Ein weiterer
PMDB-Kazike, gegen den auch schon ermittelt wird.
24 May 2016
## AUTOREN
Andreas Behn
## TAGS
Brasilien
Dilma Rousseff
Schwerpunkt Korruption
Aktivismus
Brasilien
Michel Temer
Brasilien
Dumme weiße Männer
Dilma Rousseff
Brasilien
Brasilien
Dilma Rousseff
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gewalt gegen Aktivisten in Brasilien: Straffreies Morden
Gewalt gegen Menschenrechtsaktivisten und Umweltschützer nimmt in
Lateinamerika zu. Vor allem in Brasilien enden Angriffe oft tödlich.
Forderung nach Militärputsch in Brasilien: Rechte stürmen Parlament
Demonstranten dringen in einen Sitzungssaal ein und verlangen die
Machtübernahme durch das Militär. Abgeordnete warnen vor einer „Ära der
Extreme“.
Übergangsregierung in Brasilien: Weiterer Minister tritt zurück
Der Tourismusminister der Übergangsregierung ist zurück getrteten. Grund
sind Korruptionsvorwürfe. Ähnliche Vorwürfe gibt es auch gegen Präsident
Temer.
Korruption in Brasilien: Der nächste Minister tritt zurück
Der für Transparenz und interne Kontrolle zuständige Fabiano Silveira muss
zurücktreten. Ihm selbst wird die Verstrickung in Korruption vorgeworfen.
Kolumne Dumme weiße Männer: Viel Testosteron, wenig Pigmente
In Brasilien haben korrupte weiße Männer alle Frauen und Nicht-Weißen aus
der Regierung getrieben. Nun leben alte Hierarchien wieder auf.
Kommentar Rousseffs Suspendierung: Den Rechtsstaat ausgeblendet
Die Elite in Brasilien erträgt es nicht, ihre Macht mit Gewerkschaftern und
Landlosen zu teilen. Deswegen musste Rousseff gehen.
Regierungskrise in Brasilien: Machtwechsel ohne Wahl
Der Senat beschließt das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma
Rousseff. An ihre Stelle rückt nun der bisherige Vize Michel Temer.
Krise in Brasilien: Brasilien wird neoliberal
Das südamerikanische Land steht vor einer Zeitenwende. Die Amtsenthebung
von Präsidentin Rousseff kommt, der Neue will Renten und Löhne kürzen.
Kommentar Krise in Brasilien: Ein Land im Rückwärtsgang
Niemand zweifelt daran, dass Dilma Rousseff per Amtsenthebung entmachtet
wird. Für den „Putsch“ war nicht einmal mehr Militär nötig.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.