| # taz.de -- Zensur auf Facebook: Eine Fahne zuviel | |
| > Wer auf Facebook kurdische Symbole postet, läuft Gefahr, gesperrt zu | |
| > werden. Offenbar kursieren dazu interne Handlungsanweisungen. | |
| Bild: Auf Facebook nicht gern gesehen: Öcalan-Fahnen | |
| Eigentlich dachte Florian Wilde, er hätte diesmal besonders aufgepasst. Er | |
| weiß, welche Bilder und Symbole Facebook nicht mag und deswegen löscht: | |
| Gewaltverherrlichendes zum Beispiel oder Terrorpropaganda. | |
| Als Gewerkschaftsreferent bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung war er im | |
| vergangenen November delegiert, die türkischen Parlamentswahlen zu | |
| beobachten und über sie zu berichten. Bei Facebook schreibt er regelmäßig | |
| über die Situation in Kurdistan – auf dem Luxemburg-Account, aber auch | |
| seinem privaten. Immer waren einzelne Beiträge auf seiner Pinnwand zensiert | |
| worden. Meist, weil sie Symbole der kurdischen Arbeiterpartei PKK gezeigt | |
| hatten, die in Deutschland verboten sind. | |
| Aber dass mittlerweile die Fahne einer linken türkischen Kleinstpartei auf | |
| einem Foto ausreicht, um komplett gesperrt zu werden, damit hatte er nicht | |
| gerechnet. Ende März hatte Wilde auf seinem Privataccount drei Fotos von | |
| der Newroz-Feier, dem kurdischen Neujahrsfest in Hannover, geteilt. Sie | |
| zeigten unter anderem die Flagge des Partisanen-Flügels der Kommunistischen | |
| Partei der Türkei. Als sich Wilde am 29. März in sein Konto einloggen will, | |
| bekommt er eine Fehlermeldung: Konto gesperrt. Warum, erfährt er nicht. | |
| Als er sich 24 Stunden später wieder einloggen kann, sind weitere Postings | |
| und Fotos verschwunden. „Wir haben etwas entfernt, was du gepostet hast“, | |
| stand da. Darunter des Bild der Partisanen-Flagge. „Ich wäre nie auf die | |
| Idee gekommen, dass diese Fahne auf Facebook nicht gezeigt werden darf“, | |
| sagt Wilde. Sie sei regelmäßig auf Demonstrationen zu sehen, und die | |
| deutsche Polizei sei, anders als bei PKK-Fahnen, nie gegen sie vorgegangen, | |
| so Wilde. | |
| In den folgenden Wochen wird sein Konto mehrmals für einige Zeit gesperrt, | |
| einmal sogar komplett deaktiviert. Er widerspricht den Sperren jedes Mal | |
| per Mail und erhält wieder Zugang, aber mit dem Zusatz: „Wir gestatten auf | |
| Facebook keine glaubhaften Drohungen, andere zu verletzen, keine | |
| Unterstützung gewaltbereiter Organisationen und keine übertrieben | |
| grafischen Inhalte.“ | |
| ## Undurchsichtige Löschpraxis | |
| Facebook steht für seine undurchsichtige Löschpraxis schon lange in der | |
| Kritik. Einerseits behauptet das Unternehmen, gegen Hasskommentare nichts | |
| tun zu können. So sind zum Beispiel Gewalt- und Mordaufrufe gegen | |
| Flüchtlinge wochen- und monatelang nicht entfernt worden. Andererseits hat | |
| das Unternehmen zum Beispiel die Seiten von russischen Oppositionellen sehr | |
| schnell gelöscht. Während einige Löschungen eindeutig mit einem Verstoß | |
| gegen die Geschäftsbedingungen zu erklären sind, wird es bei politischen | |
| Inhalten schwierig: Sind sie von Regierungen beauftragt, die so versuchen, | |
| ihre Kritiker zum Schweigen zu bringen? | |
| Wilde glaubt das mittlerweile, und er ist nicht der Einzige. Der in München | |
| lebende, deutsch-türkische Journalist Kerem Schamberger schreibt auch | |
| regelmäßig über die kurdischen Gebiete. Seine Posts seien so oft von | |
| Facebook zensiert worden, dass er auf einen Blog ausgewichen ist. Dort | |
| stellt er die These auf, dass Facebook sich zum Handlanger türkischer | |
| Staatsinteressen macht. | |
| Dem stimmt auch der deutsch-kurdische Journalist Bahtiyar Gürbüz zu, der | |
| für die Onlinezeitung Kurdische Nachrichten arbeitet. Seine Facebooksperren | |
| hätten begonnen, nachdem sich im letzten Jahr der Konflikt in Kurdistan | |
| wieder verschärfte, sagt er. Gelöscht worden seien auch Texte und Fotos, | |
| die drei Jahre unbeanstandet geblieben waren. Kürzlich habe er Fotos von | |
| Jugendlichen gepostet, die in den letzten Wochen bei Auseinandersetzungen | |
| mit der türkischen Armee in kurdischen Städten ums Leben gekommen waren. | |
| „Ohne Namen, ohne Kommentar, trotzdem waren sie nach wenigen Stunden weg“, | |
| sagt Gürbüz. | |
| ## Interne Handlungsanweisungen | |
| Beweisen lässt sich die Vermutung, dass der türkische Staat hinter den | |
| Löschungen steckt, nicht. Die US-amerikanische Nachrichtenseite [1][Gawker] | |
| veröffentlichte 2012 jedoch interne Handlungsanweisungen für | |
| Facebook-Mitarbeiter. Unter dem Punkt „IP Blocks and International | |
| Compliance“ heißt es, dass „alle Beleidigungen von Staatsgründer Atatürk | |
| (grafisch und textlich), Karten Nordkurdistans, brennende türkische Fahnen, | |
| jegliche PKK-Unterstützung sowie Beiträge, die Abdullah Öcalan zeigen oder | |
| unterstützen“, zu zensieren sind. Sie stehen damit in einer Reihe mit dem | |
| Leugnen des Holocausts. | |
| In einer neueren Version dieser „Abuse Standards Violations“ ist vermerkt, | |
| dass (süd)kurdische Fahnen sowie Inhalte, die sich klar gegen die PKK und | |
| Öcalan richten, von den ModeratorInnen zu ignorieren, also nicht zu | |
| zensieren sind. Von den Handlungsanweisungen hat Gawker nach eigenen | |
| Angaben von einem Whistleblower aus Marokko namens Derkaoui erfahren. Er | |
| habe zu dem wachsenden Heer schlecht bezahlter Content-ManagerInnen aus | |
| Afrika und Asien gehört, die für die Löschung von inkriminierten Inhalten | |
| auf Facebook verantwortlich sind. Gearbeitet habe er in einer | |
| 4-Stunden-Schicht zu Hause und sei dafür auf einen Stundenlohn von 4 Euro | |
| gekommen. | |
| Gegenüber der taz äußerte sich Facebook nicht zu den Kriterien für die | |
| Sanktionierung. In seinem „Bericht über Regierungsanfragen“ bestätigt | |
| Facebook, dass es „auf berechtigte Anfragen im Zusammenhang mit | |
| strafrechtlichen Fällen“ von Seiten der Türkei reagiere. Demnach habe es | |
| von Januar bis Juni 2015 4.496 Inhaltseinschränkungen gegeben, „die von den | |
| türkischen Gerichten (und dem Verband der Zugangsanbieter) und der | |
| Telekommunikationsbehörde gemäß dem lokalen Gesetz 5651 gemeldet wurden“. | |
| ## Zensur gegen Aktivisten | |
| Verletzung von Persönlichkeitsrechten und Privatsphäre, Diffamierung von | |
| Atatürk. Die internationale Kritik an dieser Praxis wächst. „Facebook ist | |
| in Zensur gegen Aktivisten verwickelt“, schrieb Anfang April 2016 die | |
| Journalistin Sara Spary bei [2][BuzzFeed News]. „Neben der Türkei stellen | |
| auch Großbritannien, die USA und Indien jährlich tausende Anfragen zur | |
| Löschung von politisch Missliebigen. Doch die Türkei scheint besonders | |
| erfolgreich dabei zu sein, ihre Anforderungen in die Tat umzusetzen“, | |
| bilanziert Spary. | |
| Der für Datenschutz und Datenrecht zuständige grüne Bundestagsabgeordnete | |
| Konstantin von Notz sieht die Bundesregierung in der Verantwortung: „Im | |
| Rahmen der Debatte um die Zunahme von hate speech im Netz wird offenkundig, | |
| dass die Bundesregierung sich mit der Argumentation der Anbieter zufrieden | |
| gibt, die auf Allgemeine Nutzungsbedingungen verweist.“ AGBs und | |
| Gemeinschaftsstandards aber dürften geltende Gesetze und Grundrechte nicht | |
| aushebeln, so Notz gegenüber der taz. | |
| Neben dem Grundrechtsargument sieht der betroffene Florian Wilde noch ein | |
| anderes: „Fotodokumentationen zu türkeikritischen Demonstrationen in | |
| Deutschland sind jetzt auf Facebook faktisch unmöglich geworden.“ Wie solle | |
| er weiter über Kurdistan berichten, wenn jedes Symbol, jeglicher Verweis | |
| auf kurdische Gruppen zensiert würde? Facebook sei für ihn auch ein | |
| Tagebuch, sagt Wilde. Und weil er das nicht verlieren möchte, hat er nun | |
| selbst angefangen, Fotos und Posts, über die sich die Türkei womöglich bei | |
| Facebook beschweren könnte, zu löschen. | |
| 19 May 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://gawker.com/ | |
| [2] https://www.buzzfeed.com/news | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Nowak | |
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