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# taz.de -- Stück „Berlin Alexanderplatz“ am DT: Das Momentum des Scheiter…
> In der Regie von Sebastian Hartmann am Deutschen Theater wird das Leben
> von Franz Biberkopf zur Passionsgeschichte.
Bild: Schön von hinten: Katrin Wichmann und Andreas Döhler
Am Ende ist Bedeutung bloß hinderlich. Gegeben wurde „Berlin
Alexanderplatz“, eine Adaption des Romanklassikers von Alfred Döblin, der
selbst einem eher unbedeutenden kleinen Platz in Kreuzberg seinen Namen
verleiht. Es ist bereits das vierte Mal, dass ein Berliner Theater sich an
einer Bühnenadaption dieses Stücks macht – das Deutsche Theater in Person
des Regisseurs Sebastian Hartmann wollte jetzt auch mal.
Dabei ist es ja nicht so, dass Döblin nicht auch anderes geschrieben hätte,
zum Beispiel auch heute weitgehend vergessene Theaterstücke wie „Die Nonnen
von Kemnade“. Es wäre mutig gewesen, sich eines dieser Stücke anzunehmen!
So ist dieser polyphone Großtext, der bereits verfilmt wurde, man denke an
Fassbinders TV-Serie zur Hochzeit der alten Bundesrepublik, natürlich ein
dankbares Materiallager, aus dem man sich reichlich bedienen kann. Da ist
wirklich für jeden Ansatz etwas dabei. Interessant ist, wie sich Hartmann
für seine Inszenierung entschieden hat.
Sebastian Hartmann hat sich für einen großen Weißraum entschieden. Einen
fast durchgehenden Schwarz-Weiß-Kontrast, der nur mit der Signalfarbe Rot
durchbrochen wird. Kulissen mit kalt leuchtenden Neonröhren, die effektiv
hin und her geschoben werden. Sehr, sehr viel kaltes, blendendes Neonlicht.
Kaum Musik, nur ein-, zweimal etwas Techno, das Gegenwartsbezug anzeigen
sollte, und eine Nummer mit ironisiertem Schlagereinsatz.
## Signalfarbe Rot
Er hat sich entschieden, die Figur des Franz Biberkopf, des reuigen
Mörders, dessen Scheitern im Berliner Moloch der zwanziger Jahre im Roman
geschildert wird, zweizuteilen; Andreas Döhler spielte dabei die
lustig-tragische, stark berlinernde und „authentischer“ wirkende Variante.
Felix Goeser legte im zweiten Teil des logisch dreigeteilten Stücks eine
handfestere, gleichsam einfühlsamere Version des Franz hin; vielleicht
auch, weil ihm die Liebesszenen mit Mieze (Wiebke Mollenhauer) besser
gelingen wollten als Döhler die mit Katrin Wichmann, die spürbar körperlich
miteinander fremdelten, andererseits die lustigere Einstiegsszene hatten.
Döhler war ansonsten der bessere Biberkopf, stellte aber auch das Momentum
des Scheiterns, nicht nur der Liebe wegen, dar: Er stand für das
Kiez-Moloch-Sozialromantik-Berlin, für das Leichtlebige und gleichzeitig
Verzweifelte, Schuld und Sühne, Recht und Übertretung. Sebastian Hartmann
hat sich aber dafür entschieden, diese Seite als boulevardeske Auflockerung
zu verstehen. Hartmann hat sich für die dunkle Seite entschieden. Für das
Pathetische, das Pompöse, das Kathedrale. Und für Sex als Erlösung, Sex wie
in einer surrealistischen Fantasie auf dem Altar, vor dem großen Kreuz.
Kreuz, Altar, Dreifaltigkeit.
Hartmann hat sich entschieden, in „Berlin Alexanderplatz“ eine
Passionsgeschichte zu sehen. Er hat sich entschieden, eine todessüchtige
Geschichte auf die Bühne zu bringen, die nur von kleinen,
hineingeschnittenen Randszenen aufgelockert wurde. Ein mithin katholischer
Exzess im protestantischen Berlin, das hier nur noch eine schattenhafte
Kulisse darstellte. (Und war Döblin nicht eigentlich Jude? Doch, war er.)
## Seltsame Parodie
Bedeutung eben, das Publikum hielt die viereinhalb Stunden mitsamt
besonders zum Ende hin quälend langer Szenen und zwei Pausen zwar aus und
erging sich in Sonderapplaus nach dem Ende des Stücks. Umso mehr Pathos
aufgeführt wurde (besonders Benjamin Lillie musste hier für viel Leid den
dauer-nackten Körper hinhalten), desto mehr fiel leider auch auf, wogegen
sich Hartmann entschieden hatte: gegen das Politische. Das Anarchistische
wurde in einer läppischen Nummer abgehandelt, das „rote Berlin“ fast
überhaupt nicht thematisiert. Die Nazis, die bei Döblin durchaus schon
durch den Roman spuken, kamen seltsamerweise überhaupt nicht vor.
Das Jüdische wurde in einer seltsamen Parodie abgehandelt. Oder sollte die
Todessehnsucht auf den kommenden Untergang der Weimarer Republik und das
Dritte Reich schließen lassen? Irgendwie sehr, sehr ungut, was da für
Assoziationen aufkommen könnten. Denn das Experimentelle, das Populäre: die
Werbung, die Schlager, die Montagen, mit denen Döblin seine Beschreibung
des Zwanzigerjahre-Berlins auf ein Niveau gehoben hat, das mit Joyce’
„Ulysses“ locker mithalten konnte – das wurde entweder reprofanisiert oder
schlicht rausgehalten. Das Politische, das in genau diesem Döblin’schen
Verfahren lag, hat Hartmann bewusst nicht sehen oder zulassen wollen. Oder
für seine prätentiöse Zwecke missbraucht.
17 May 2016
## AUTOREN
René Hamann
## TAGS
Theater Berlin
Theaterstück
Berlin Alexanderplatz
Deutsches Theater
Black Lives Matter
Fotografie
Maxim Gorki Theater
Schwerpunkt Syrien
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