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# taz.de -- Polizei-Kessel in Schwerin: „Ohne Rechtsgrundlage festgesetzt“
> Acht Stunden lang kesselte die Polizei am 1. Mai die Gegner eines
> NPD-Aufmarsches ein. Es gab kein Trinkwasser – dafür Begleitung beim
> Toilettenbesuch.
Bild: Von hinten links marschiert der Neonazi heran, vorne rechts hat die Poliz…
HAMBURG taz | „Wir stehen hier seit 10 Uhr“, ruft einer der
Schwarzgekleideten, über Polizeibeamte hinweg und mehrere von deren
Einsatzfahrzeugen. Es ist der 1. Mai, kurz vor 14 Uhr und die rund 120
Menschen, die eigentlich gegen einen Aufzug der rechtsextremen NPD
demonstrieren wollen, werden noch weitere vier Stunden lang auf dem Gehweg
ausharren müssen, im prallen Sonnenschein: Das ist Teil der
Polizeistrategie, um an diesem Sonntag hier in Schwerin Neonazis und Gegner
zu trennen.
„Acht Stunden wurde mein Sohn ohne Rechtsgrundlage von der Polizei
festgesetzt“, sagt Herr V., der Vater eines Betroffenen, der taz.
„Jugendliche müssen spätestens nach einer Stunde aus dem Kessel
herausgeholt werden“, fährt der Akademiker fort, der seinen Namen nicht in
der Zeitung sehen möchte. Also habe die Polizei das Jugendgerichtgesetz
verletzt, das Teile des Jugendstrafrechts regelt: „Wir werden Strafanzeige
stellen.“
## Prominentes Personal
Für die NPD war der Aufmarsch am „Tag der Arbeit“ der Auftakt zum
Landtagswahlkampf. Angeführt von Bundesparteichef Frank Franz und dem
Vorsitzenden der Schweriner Landtagsfraktion, Udo Pastörs, zogen rund 400
Anhänger durch die Straßen der mecklenburg-vorpommerschen Landeshauptstadt.
Etwaigen hör- oder sichtbaren Protest entlang der NPD-Route unterband
weitgehend die Polizei. Schon bevor der Marsch vom Platz der Freiheit
loszog, hieß es, Demonstranten, die zu einer angemeldeten
Gegendemonstration wollten, seien von der Polizei eingekesselt worden. In
der Straße Obotritenring, Ecke Demmler Straße setzte die Polizei laut einer
eigenen Pressemitteilung eine „aus der Region Hamburg anreisende
Personengruppe“ fest – darunter der V.s Sohn, 17 Jahre alt und
Schülervertreter an einem Gymnasium in Bad Segeberg. Zusammen mit einem
weiteren Schülervertreter war er mit dem Zug nach Swerin gereist. Es sollte
für beide die erste Demonstration sein.
An jenem Tag selbst sei ihm die „ganze Dimension“ noch nicht gleich klar
gewesen, sagt der Vater. Nachdem die Polizei die Gruppe festgesetzt hatte,
soll sie angeboten haben, dass wieder gehen könne, wer sich ausweise. V.
zufolge taten das sein Sohn und dessen Begleiter sowie mehrere andere
Jugendliche – aber gehen gelassen hätten die Beamten sie nicht: „Sie sind
schlicht und einfach von der Polizei belogen wurden.“
Nicht nur das: Offenbar wurde der Kessel sogar noch enger gezogen: Im
Rücken hatten die Demonstranten eine Häuserfront, vor sich, zur NPD-Route
hin, Polizeibeamte und deren Fahrzeuge, Stoßstange an Stoßstange
abgestellt. Der Bitte um Wasser kamen die Beamten nicht nach, sollen
vielmehr gespottet haben. Vater V. zufolge durften sich die Eingekesselten
nicht mal in den Schatten der Polizei-Kleinbusse stellen – „die hatten wohl
Angst um ihre Fahrzeuge.“
## Nur bei offener Klotür
Eine Demonstrantin sei wegen Kreislaufproblemen zusammen gebrochen,
berichtet Arne Zillmer, Landesvorstandsmitglied der niedersächsischen
Jusos, die Polizei aber habe einfach weitergemacht. Als nach Stunden die
ersten Demonstranten darum baten, eine Toilette aufsuchen zu können,
begleiteten sie jeweils zwei Beamte zur mobilen Kabine auf einer nahen
Baustelle. „Ein Beamter sagte meinem Sohn, er könne die Tür anlehnen, der
andere widersprach“, sagt V. Auch eine Demonstrantin habe bei geöffneter
Kabinentür ihre Notdurft verrichten müssen. Entsprechendes wird auch von
Frauen berichtet, die zuvor sogar durch die Polizei durchsucht worden
waren: Beamte hielten die Toilettentür auf. „Das grenzt an sexuelle
Nötigung“, sagt V.
Die Grünen wollen im Innenausschuss des Schweriner Landtags nachfassen.
Neben der „Quasi-Inhaftnahme von Minderjährigen“, auch wegen eines etwaigen
Vorfalls am Schweriner Pfaffenteich: Am Sonntag hieß es, die Polizei habe
einen Demonstranten bewusstlos geschlagen. Die Polizei spricht von einem
Kreislaufkollaps. Die „vorübergehende Ingewahrsamnahme“ der Demonstranten
begründete sie damit, dass die „sich vermummt und uniformiert polizeilichen
Anweisungen widersetzt“ hätten. Zuvor soll die Gruppe „im Zug nach Schwerin
Straftaten begangen“ haben.
Am Freitag vergangener Woche dann gab die Polizei sich vorsichtiger: Ein
Sprecher möchte zum Nachgang der Maßnahmen nichts sagen. „Wir sind davon
ausgegangen das diese Gruppe schwere Straftaten ausüben wollte.“ Der
empörte V. dagegen hat sogar schon mit dem stellvertretenden
Polizeidirektor telefoniert: Man gehe der Sache nach und werde die
beteiligten Beamten ausfindig machen, habe der gesagt – aber erst nach
Pfingsten. „Jedem unterlaufen Fehler“, sagt V., „aber hier wurde gleich
mehrfach Recht gebrochen.“ Die NPD zeigte sich im Internet höchst zufrieden
über das Vorgehen der Polizei.
9 May 2016
## AUTOREN
Andreas Speit
## TAGS
Polizei
Schwerpunkt Neonazis
Schwerpunkt Antifa
Junge Alternative (AfD)
Bier
Hutu
Blockupy
Nazis
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