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# taz.de -- AfD-Parteitag in Stuttgart: Ein brodelnder Kessel Braunes
> Die Alternative für Deutschland diskutiert in Stuttgart über ihre
> Ausrichtung. Besonders radikale Hassparolen ernteten den meisten Applaus.
Bild: Wegen Protesten mussten AfD-Mitglieder den Weg durchs Gebüsch nehmen. Wa…
Stuttgart taz | Martin Z.* verspürt Wärme, wenn er an sein Land denkt. So
nennt er das. Z., 19 Jahre alt, feinhaariger Schnäuzer, ist neu bei der
AfD. Der Ärger in ihm klingt aber wie der eines langjährigen Mitglieds.
„Scharia und Koran sind nicht unser Gesetz“, sagt er. Oder: Etablierte
Parteien machten nur „leere Versprechungen“. Oder: „Für uns war jahrelang
kein Geld da, für die Flüchtlingen auf einmal schon.“
Deshalb steht er am Einlass zum großen Saal in der Stuttgarter Messe, die
Binde um den linken Arm geschlungen, auf der Ordner steht. Er spricht über
seine neue politische Überzeugung, legt seine Hand mal auf sein Herz oder
ballt sie zur Faust. Die dunklen Augenbrauen zieht er tief ins Gesicht. Er
ist seit fünf Wochen Mitglied der Jugendorganisation der AfD, der jungen
Alternative.
Martin Z.* ist auffällig jung. Die meisten Besucher hier sind grau,
männlich und schütter. Es ist ein Mitgliederparteitag, die AfD möchte sich
ein Grundsatzprogramm geben, und das möglichst basisdemokratisch. Jeder
durfte also kommen, deshalb ist da auch der Mönch in Kutte, die gut
operierte Frau in Lederkleid und der junge Mann, der ordentlich
gescheitelt, mit zugeknöpftem Hemd und Armbinde ein eindeutiges Modevorbild
hat. Ein Redner stellt sich dem Plenum als Urenkel des letzten deutschen
Kaisers vor. Sie alle sind gekommen, um sich zu fragen: Welche Partei soll
die AfD sein?
Bundesvorstandsmitglied Alexander Gauland antwortet darauf: eine
„Graswurzelbewung“. Jörg Meuthen, Sprecher des Vorstands, sagt, die AfD sei
eine Partei, die sich dagegen wende, „dass wir unser eigenes Land schon in
wenigen Jahren nicht mehr wiedererkennen werden“. Frauke Petry sagt, sie
seien diejenigen, die andere Parteien dazu zwängen, „sich neuerdings gegen
die AfD abzugrenzen“. Sie guckt zufrieden, als sie das vor den über 2.000
Mitgliedern in der Stuttgarter Messehalle sagt. Dann formuliert sie, was
die AfD nicht sein soll: eine ewige Oppositionspartei.
## 1.400 Seiten mit Änderungsvorschlägen
Aber was heißt das inhaltlich? Sehen sie in Deutschland ein
Zuwanderungsland? Wer ist Flüchtling, und was heißt das dann für sein
Aufenthaltsrecht? Ist der Islam Teil Deutschlands? Und: Wie weit rechts
außen positioniert sich die Partei selbst? Um das herauszufinden, hatte die
Partei in Arbeitsgruppen auf Landes- und Bundesebene, in einer
Programmkommission, in Onlineabstimmungen und unzähligen Debatten einen
Leitantrag erarbeitet, 74 Seiten. Hinzu kamen mehr als 1.400 Seiten mit
Änderungsvorschlägen und drei vollständige Alternativvorschläge für
Grundsatzprogramme. Zu viel Programm für zu wenige Arbeitsstunden.
Deshalb gibt sich der Parteivorstand auch nur wenig Zeit für Reden. Jörg
Meuthen darf auftreten und spricht vom Ende des „links-rot-grün verseuchten
68er Deutschlands“ und erntet viel Jubel dafür. Die AfD soll freiheitlich,
modern-konservativ, „unverkrampft“ und „natürlich“ patriotisch sein. F…
Petry sagt: „Sie brauchen mich als maßgeblichen Repräsentanten in der
Öffentlichkeit.“
Denn in Stuttgart geht es nicht nur um Inhalte, sondern auch um die
Parteiführung. Und darum, dass sie sich positioniert. Petry erhält
ordentlichen, höflichen Zwischenapplaus. Sie presst dann ihre Lippen
zusammen und starrt auf ihre Redeblätter. Jörg Meuthen spielt sichtlich
amüsiert mit seinem Publikum.
## Ansammlung hohler Phrasen
Zwei Tage, mehr als 2.000 Mitglieder, sodass die Versammlungsleitung hin
und wieder bittet, dass einige doch hin und wieder den Saal verlassen
könnten. Die Versammlung leitet Christoph Basedow, der früher Sprecher der
Deutschen Burschenschaft war, damals, als sie einen Ariernachweis von
Mitgliedern gefordert hatte. Basedow manövriert durch die Debatten, die aus
Anträgen und Gegenanträgen besteht, aus Rede und Gegenrede,
Geschäftsordnungsanträgen und Zwischenrufen. Die Debatte verläuft so:
Frauke Petry beantragt, einen Passus einzufügen: „Kultur ist außerdem die
zentrale Klammer in der sich auch ein neues Politikverständnis sehen muss“.
Ein Mitglied sagt, Frauke Petry dürfe jetzt gar keinen Antrag mehr stellen.
Doch, darf sie, sagt die Versammlungsleitung vom Podium herab. „Was da
steht, ist eine Ansammlung hohler Phrasen“, sagt Hans Thomas Tillschneider
von der Patriotischen Plattform – und bekommt viel Applaus. „Reden wir von
deutscher Kultur oder von welcher Kultur“, fragt ein anderer. „Kann man
auch eine Frage stellen?“, fragt der Nächste. Und so geht es weiter, bis
irgendwann jemand fragt: „Worüber haben wir gerade abgestimmt?“ Er bekommt
keine Antwort.
Am Ende haben sie entschieden: Rückentwicklung der EU in eine
Wirtschaftsgemeinschaft, Pay-TV statt öffentlich-rechtlichem Rundfunk.
Abgeordnete sollen nur vier Amtszeiten lang tätig sein dürfen. Für eine
Untergrenze von Abschiebungen, also eine jährliche Mindestanzahl, können
sie sich nicht entschließen, genauso wenig, wie die Straflosigkeit von
Abtreibungen aufzuheben. Doch wer ist denn nun die AfD?
## Die „deutschnationale“ AfD
Hans-Thomas Tillschneider kommt nun häufig ans Mikrofon. Es geht um den
Islam, und das ist sein Thema. Tillschneider, ein drahtiger Mann mit
Kastenbrille, ist Islamwissenschaftler und sagt: „Der Islam ist uns fremd.“
Er erntet viel Beifall für diese Aussage. Und noch mehr, als er sagt:
„Deshalb kann er sich nicht in gleichem Umfang auf die Religionsfreiheit
berufen wie das Christentum“. Das ist ein Statement, denn Tillschneider ist
auch der Sprecher der Patriotischen Plattform, die für den rechten Rand der
Partei steht. Er ist mit Pegida und Legida vernetzt, mit der Neuen Rechten
– und Abgeordneter im Landtag von Sachsen-Anhalt. So viel Beifall wie er
bekommt kaum ein Redner während des Parteitages.
Dann tritt ein Mann ans Mikrofon und sagt: „Mit solchen Pauschalisierungen
sind wir 2013 nicht an den Start gegangen.“ Er wird ausgebuht. „Geht in den
Dialog mit den muslimischen Verbänden“, ruft er hinterher, unter die
Buhrufe mischen sich nun auch Pfiffe.
Viele Fragen und Anträge bleiben ungeklärt. Doch die Position wird
deutlich. Marcus Pretzell hat verkündet, künftig mit dem Front National und
der FPÖ ein Fraktionsbündnis im Europaparlament bilden zu wollen. Er liest
einen Briefgruß der österreichischen FPÖ-Führung vor. Die Entscheidung des
Bundesvorstands, den saarländischen Landesverband aufzulösen, weil er zu
eng mit rechtsextremen Gruppierungen verflochten sein soll, unterstützen
die Mitglieder – aber nur mit einer knappen Mehrheit von 51,9 Prozent. „Ein
politisches Signal“ nennt das Dirk Driesang aus dem Bundesvorstand. Ein
politisches Signal. Frauke Petry sagt, Medien hätten die AfD als
„deutschnational“ bezeichnet. „Für eine deutsche Partei ist das gar keine
so schlechte Beschreibung“, sagt sie.
Martin Z., das neue Mitglied der Partei, steht draußen im Foyer und sagt,
dass er sich von anderen Parteien nicht ausreichend beteiligt fühlt. Wahlen
reichen ihm nicht, er will mitreden. Das darf er in der AfD. „Auch wenn das
alles Nazis wären, wäre ich immer noch gern hier.“
* Anonymisiert, der Klarname ist der Redaktion bekannt.
1 May 2016
## AUTOREN
Christina Schmidt
## TAGS
Junge Alternative (AfD)
Schwerpunkt AfD
Frauke Petry
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Polizei
Jörg Meuthen
Junge Alternative (AfD)
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einigen.
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