# taz.de -- Temporäre Spielstraße in Prenzlauer Berg: Das ist längst kein Sp… | |
> Eine Nebenstraße soll ab und zu zum Spielplatz werden: Mit dieser Idee | |
> ist der Bezirk Pankow letztes Jahr vor Gericht gescheitert. Am Dienstag | |
> soll der zweite Versuch starten. | |
Bild: Hier dürfen jeden zweiten Dienstag nur noch Kinder vorbeifahren und einp… | |
Wer den Glaube an das Gute im Menschen behalten möchte, sollte keine | |
Bürgerversammlungen in Prenzlauer Berg besuchen. Bei einer solchen | |
demonstrierten vor Kurzem etwa 40 Nachbarn das Repertoire, das Menschen zum | |
Ausdruck ihrer offenen Verachtung zur Verfügung steht: Da wurde hämisch | |
verlacht, aufbrausend ins Wort gefallen, sich gegenseitig der Lüge | |
beschimpft und die eigene Gewissheit mit Lautstärke untermalt. | |
Der Heftigkeit der Emotionen nach hätte der Streit sich um den | |
bevorstehenden Bau eines Atomkraftwerks drehen können. Doch es ging um die | |
Nutzung von 100 Metern Gudvanger Straße als Spielstraße, die die Nachbarn | |
auf die Palme und sich gegenseitig an die Gurgel treibt. | |
Die Geschichte beginnt im Februar 2015, als die Pankower | |
Bezirksverordnetenversammlung (BVV) einstimmig beschloss, einen Sommer lang | |
eine zeitlich befristete Umwidmung in eine Spielstraße auszuprobieren. Die | |
Lokalpolitiker nahmen damit die Idee einer Bürgerinitiative auf, die dem | |
aus ihrer Sicht an Spielmöglichkeiten armen Kiez aus der Patsche helfen | |
wollte. | |
Im April startete das Pilotprojekt und lief einmal die Woche. Doch schon im | |
Juli wurde es vom Verwaltungsgericht gestoppt: wegen Verfahrensfehlern. | |
Damit kam eine Gruppe Anwohner zu ihrem Recht, die eine Umwidmung der | |
Straße nicht als Bereicherung, sondern Belästigung empfindet. | |
## Recht auf Spiel | |
Doch der Bezirk und die unterlegenen Nachbarn wollten nicht aufgeben. | |
Nachdem sie am Konzept gefeilt haben, soll ab 10. Mai ein zweiter Anlauf | |
folgen. „Kinder haben ein Recht auf Spielen. Das sichern ihnen die | |
UN-Kinderrechtskonvention sowie unser Bundesrecht zu“, sagt Jeanette Münch | |
vom Pankower Jugendamt. Das Amt hat die temporäre Spielstraße als | |
Veranstaltung zur Förderung dieses Anspruchs angemeldet. | |
Bis Oktober sollen nun 100 Meter Straße, von denen die Hälfte vor der | |
Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule nur einspurig verläuft, jeden | |
zweiten Dienstag von 10 bis 18 Uhr gesperrt werden. Damit dürfen an neun | |
Terminen im Jahr in diesem Abschnitt Autos weder fahren noch parken. | |
Stattdessen ist der Platz Kindern vorbehalten, die sich auf dem Asphalt mit | |
Bobbycar, Kreide und Longboard austoben können. Zudem sind politische | |
Diskussionen, etwa über Kinderrechte, angekündigt. | |
Damit soll der Kritik des Gerichts begegnet werden, dem die Begründung für | |
die Sperrung der Straße zu lasch war. Eine wissenschaftliche Untersuchung | |
soll das Projekt begleiten und ermitteln, ob es auch darüber hinaus eine | |
Zukunft hat. | |
Die Befürworter der Spielstraße sehen das als großen Gewinn für den Kiez. | |
Bei der Bürgerversammlung Mitte April klagten sie über den überfüllten | |
Spielplatz am Humannplatz, die schwindenden Freiräume für Kinder generell | |
und motorische Mängel, die diese sich zulegten, wenn sie das Rad- und | |
Rollerfahren nirgendwo üben könnten. | |
Unterstützung bekamen sie von Pankows Ordnungsstadtrat Torsten Kühne (CDU). | |
Er erklärte, dass laut Berliner Kinderspielplatzgesetz ein Quadratmeter | |
Spielfläche pro Einwohner vorgesehen sei. „In der Realität stehen | |
berlinweit jedoch nur 0,6, in diesem Kiez sogar nur 0,3 Quadratmeter zur | |
Verfügung.“ | |
Ganz anders nehmen hingegen die Gegner der Spielstraße ihren Kiez war. Aus | |
ihrer Sicht ist der Humannplatz groß genug, der Spielplatz dort nicht | |
ausgelastet, und warum die Spielstraße ausgerechnet in direkter | |
Nachbarschaft dazu eingerichtet werden muss, verstehen sie schon gar nicht. | |
Zudem habe der Testlauf im vergangenen Jahr kaum Anklang gefunden, | |
argumentierte eine Anwohnerin, die zum Beweis eine komplette | |
Fotodokumentation mitgebracht hatte. „Wir brauchen das nicht – und das sage | |
ich als Mutter eines spielplatzfähigen Kindes.“ | |
So stehen sich an der Gudvanger Straße zwei konträre Wünsche gegenüber. In | |
einer Demokratie ist das der Punkt, an dem man einen Kompromiss sucht. Doch | |
aus Sicht der Befürworter bieten die aktuellen Pläne diesen schon. | |
Schließlich war die Spielstraße 2015 wöchentlich eingerichtet worden – nun | |
soll es nur noch jede zweite Woche sein. | |
Die andere Seite hingegen bleibt bei ihrer Maximalforderung: keine | |
Spielstraße, zumindest nicht vor ihrer Haustür. Dafür werden die Nachbarn | |
schon mal lautstark beschimpft: „Sie haben die falschen Zahlen!“ „Die | |
Mehrheit der Anwohner will das nicht!“ „Sie wohnen hier doch gar nicht!“, | |
lauteten Anschuldigungen bei dem Nachbarschaftstreffen. | |
Dass sie die Spielstraße nicht wollen, wurde so klar. Doch beim Aufzählen | |
der Gründe dafür tun sich die Gegner schwer. „Um die wegfallenden | |
Parkplätze geht es uns nicht“, erklärte eine Frau. Ein Schichtarbeiter | |
berichtete, dass schon der Schulbetrieb in der Straße und vor allem die | |
Elterntaxis am Morgen seinen Schlaf störten. Und ein weiterer Anwohner | |
erklärte, dass für die Rentner die angekündigten Bobbycarrennen eine | |
unerträgliche Belastung wären. | |
## Der Kinderkrach stört | |
Aber den wirklich wunden Punkt mochte niemand ansprechen: dass sie | |
Kinderlärm als störender empfinden als das Geräusch durchfahrender und | |
einparkender Autos. Dabei könnte eine eingestandene Lärmempfindlichkeit | |
sogar Verständnis wecken. Schließlich leben die Anwohner dort seit Jahren | |
mit Baustellen. Erst wurde der Humannplatz instandgesetzt, die Sanierung | |
der Humboldt-Gemeinschaftsschule läuft noch, auch die Straßen wurden | |
umgestaltet. Das zehrt an den Nerven. | |
Zugeben möchten die Betroffenen das aber nicht. Stattdessen schimpfen sie | |
lieber auf ihre Nachbarn und die falschen Vorstellungen von einer | |
Großstadt, die diese hätten. | |
Normalerweise müsste nun der Bezirk den Vermittler geben. Doch mit dem | |
einstimmigen BVV-Beschluss haben sich die Lokalpolitiker bereits vor | |
Monaten auf die Seite der Befürworter gestellt. Der Antrag des Jugendamtes | |
ist nur die Umsetzung ihres politischen Willens. | |
Die Gegner hingegen sehen das Recht nach dem Beschluss des | |
Verwaltungsgerichtes weiterhin auf ihrer Seite – auch wenn sich der Bezirk | |
für seinen zweiten Anlauf bemüht hat, die Kritikpunkte des Gerichtes | |
aufzugreifen. Ob das ausreicht, wird wohl ebenfalls vor Gericht geklärt | |
werden. | |
Zunächst ist jedoch das Pankower Ordnungsamt gefragt, das den Antrag auf | |
Sondernutzung noch prüft. Deswegen ist laut Stadtrat Kühne offen, ob die | |
Gudvanger Straße bereits am 10. Mai das erste Mal in diesem Jahr zur | |
Spielstraße wird. | |
5 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Juliane Wiedemeier | |
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