| # taz.de -- Kolumne Heult doch!: Zum Glück sind wir alle gut erzogen | |
| > Mit Kindern im Ruhebereich des ICE: Das Unverständnis zwischen Eltern und | |
| > Nicht-Eltern entlädt sich mitunter in erstaunlichen | |
| > Rücksichtslosigkeiten. | |
| Bild: Zug fahren mit Kindern kann ganz schön lustig sein | |
| Kürzlich unterhielt die Nachricht über einen prügelnden Vater im | |
| Regionalexpress irgendwo kurz vor Berlin die geneigte Leserschaft: Ein | |
| Fahrgast hatte die Eltern von zwei lärmenden Kleinkindern um ein wenig mehr | |
| Ruhe beim Reisen angefleht. Daraufhin verpasste der Vater dem Mann eine | |
| gehörige Tracht Prügel – seine Frau half, indem sie das Opfer festhielt. | |
| Der Mann kam ins Krankenhaus, die fürsorglichen Eltern bekamen eine Anzeige | |
| wegen gefährlicher Körperverletzung. | |
| Ein Extrembeispiel, und doch: Das Unverständnis zwischen Eltern und | |
| Nicht-Eltern entlädt sich mitunter in Rücksichtslosigkeiten, die mich | |
| manchmal ratlos zurücklassen. Warum eigentlich diese Wut aufeinander? Warum | |
| der Wunsch, dem jeweils anderen unbedingt das Leben etwas schwerer machen | |
| zu wollen? | |
| Neulich saß ich mit dem großen und dem kleinen Sohn im Zug, auf der | |
| Rückfahrt von den Großeltern. Das Reservierungssystem der Bahn hatte uns | |
| ausgerechnet drei Plätze im Ruhebereich zugeteilt – aber ich fand, wir | |
| machten unsere Sache gut. Das große Kind hatte sich Kopfhörer auf die Ohren | |
| gestöpselt, der kleine Sohn schob seit Hannover, leise vor sich hin | |
| brummelnd Motorengeräusche imitierend, seine Spielzeugautos über den Tisch. | |
| Eine Stunde vor Berlin erhob sich ein Mann in der benachbarten | |
| Zweiersitzgruppe und tippte auf das Symbol für den Ruhebereich: „Das ist | |
| ein Ruhebereich.“ Trotz Gesundheitslatschen an den Füßen und Yoga-Hose sah | |
| er leider nicht sonderlich entspannt aus. Da sei heute sein Glückstag, | |
| sagte ich mit zivilisiertem Lächeln, so leise wie die Kinder seien. Zum | |
| Glück war der vollbesetzte Waggon auf meiner Seite: vor mir und hinter mir | |
| leises Kichern. Der Mann widmete sich wieder seinen Tupperdosen, aus denen | |
| es nach Leberwurst stank. | |
| ## Ha, geschieht ihm recht! | |
| Der Rest der Fahrt war anstrengend, weil der kleine Sohn kapiert hatte, | |
| dass er eigentlich leise sein sollte – und natürlich alles dransetzte, es | |
| nicht zu sein. Blöd für den ruhesuchenden Mitreisenden, und ich fühlte mich | |
| auch blöd, weil ich dachte: Ha, geschieht ihm recht! | |
| Dabei ärgere ich mich gerade über die Eltern, die aus den Mühen des | |
| Elterndaseins heraus einen Freibrief für eigene Rücksichtslosigkeiten | |
| ableiten. | |
| Letzten Samstag wollte ich Pizza backen, dafür musste ich in den | |
| Supermarkt. Samstagnachmittags liegt dort der Altersdurchschnitt knapp | |
| unter der Volljährigkeitsgrenze: Wer nicht ein bis zwei renitente | |
| Kleinkinder durch die Gemüseabteilung schleift, fällt auf. Die Kinder | |
| fahren den Erwachsenen die Einkaufswagen, die sie unbedingt selbst schieben | |
| wollen und sollen, in die Hacken, und die Erwachsenen lügen: | |
| „Entschuldigung!“ – „Kein Problem!“ | |
| Vor dem Regal mit den Tomatensoßen steht ein Vater, das Gesicht schon | |
| leicht gerötet, weil der etwa einjährige Sohn im Einkaufswagenkindersitz | |
| ständig versucht, die Gläser aus den Regalen zu wischen, sobald der Vater | |
| etwas zu nah heranschiebt. Er ist also gezwungen, seinen Wagen immer genau | |
| in der Mitte des Ganges zu halten, und steht deshalb immer allen im Weg. | |
| Ich versuche, ihn vor dem Regal mit dem Tomatenmark zu umzirkeln. | |
| ## Mit Mordlust in den Augen | |
| „Wollen Sie dahin?“, fragt er betont fröhlich. Ich sage, ebenfalls betont | |
| fröhlich, dass ich genau das Tomatenmark gerne hätte, vor dem er gerade | |
| parkt. „Wie gut, dass wir miteinander reden können!“, sagt er noch | |
| fröhlicher. Ich sage, dass ich das auch ganz wunderbar finde, miteinander | |
| zu reden. Wir wünschen uns mit zivilisiertem Lächeln und Mordlust in den | |
| Augen einen wunderbaren Abend. | |
| Eltern untereinander sind sich überhaupt oft die schlimmsten Feinde. Ich | |
| vermute, weil es so anstrengend ist, ständig den Spiegel vorgehalten zu | |
| bekommen: Wir müssen gut erzogen sein, und unsere Kinder auch, und dabei | |
| noch immer schön die Contenance behalten. Wir dürfen gerne gestresst sein, | |
| darüber reden wir ja auch die ganze Zeit beim Smalltalk in der | |
| Kita-Garderobe, aber anmerken soll man uns das bitte nicht. | |
| „Unentspannt“ ist wohl die schlimmste Beleidigung für engagierte Eltern. | |
| Wahrscheinlich, weil sie trifft. | |
| 28 Feb 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Klöpper | |
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