| # taz.de -- Debatte Kontrolle der Geheimdienste: Reformieren statt auslagern | |
| > Das Parlament muss die Dienste besser kontrollieren. Doch die Figur eines | |
| > Geheimdienstbeauftragten ist dafür nicht geeignet. | |
| Bild: Wer überwacht die Überwacher? Symbolbild Geheimdienst | |
| Die überraschende Abberufung von BND-Chef Schindler am vergangenen Dienstag | |
| hat den Ruf nach Reformen bei den Nachrichtendiensten wieder lauter werden | |
| lassen. Dringend reformbedürftig ist insbesondere die parlamentarische | |
| Kontrolle, die nur als ein Witz bezeichnet werden kann. Als „Deus ex | |
| machina“ bringen viele jetzt die Institution eines Geheimdienstbeauftragten | |
| ins Spiel. Auf so eine Figur haben sich auch die Koalitionspartner in einem | |
| Grundsatzpapier geeinigt. | |
| Ein vom Parlament bestellter hauptberuflicher Beauftragter könne – ähnlich | |
| wie der Datenschutzbeauftragte oder der Wehrbeauftragte mit einem | |
| entsprechenden Mitarbeiterstab und effizienten Kontrollbefugnissen | |
| ausgestattet – den Geheimdienst deutlich besser kontrollieren als das | |
| gegenwärtig zuständige parlamentarische Gremium. | |
| Der Vorschlag klingt verführerisch insbesondere für Parlamentarier: Die | |
| Tätigkeit der Nachrichtendienste verantwortungsvoll und ernsthaft zu | |
| kontrollieren, das erfordert einen gewaltigen Arbeitseinsatz, der zudem | |
| wenig öffentliches Lob verspricht. Schließlich gibt es eine strenge | |
| Geheimhaltungspflicht. Viel Arbeit, ohne darüber reden zu dürfen – für | |
| Politiker ist das die Höchststrafe. | |
| Das Amt eines Geheimdienstbeauftragten mag verlockend klingen. Es sollte | |
| aber nicht eingeführt werden – damit sich das Parlament nicht seiner | |
| besonderen Verantwortung entziehen kann. Geheimdienst und Haushalt sind | |
| Kernbereiche parlamentarischer Kontrolle. Bei der Geheimdienstkontrolle | |
| folgt das daraus, dass das Parlament in diesem Bereich praktisch und | |
| rechtlich die Justiz ersetzt. Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in | |
| seinen Rechten verletzt, so steht ihm nach dem Grundgesetz der Rechtsweg | |
| offen. | |
| Er oder sie kann die Gerichte beanspruchen. Wenn Geheimdienste verdeckt | |
| erhobene personenbezogene Daten sammeln, greifen sie in den Schutzbereich | |
| des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ein. Der Gang zum | |
| Gericht kommt für die Betroffenen jedoch meist aus praktischen Gründen | |
| nicht in Betracht – sie erfahren erst gar nichts von ihrer Beobachtung. | |
| Der Schutz der bürgerlichen Grundrechte liegt somit in den Händen des | |
| Parlaments. Wenn die Parlamentarier nicht willens oder in der Lage sind, | |
| ihre Kontrolltätigkeit gewissenhaft auszuüben, sind die Bürgerinnen und | |
| Bürger dem Überwachungseifer der Nachrichtendienste schutzlos preisgegeben. | |
| Diese wichtige Funktion ist vielen Abgeordneten offensichtlich nicht | |
| bewusst. Sie übersehen, dass ihnen mit ihrer parlamentarischen | |
| Kontrollfunktion auch der millionenfache Grundrechtsschutz im Bereich der | |
| Geheimdienstkontrolle anvertraut ist. Für den Schutzbereich des in Artikel | |
| 10 des Grundgesetzes geregelten Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses ist | |
| die Justiz ersetzende Funktion des Parlaments sogar offenkundig. Das | |
| Grundgesetz bestimmt dort ausdrücklich, dass das Parlament statt der | |
| Gerichte für die „Nachprüfung“ zuständig ist. | |
| Deshalb käme es einer Arbeitsverweigerung gleich, wenn das Parlament | |
| beschließen würde, seine „Hausaufgaben“ an einen unabhängigen | |
| Geheimdienstbeauftragten zu delegieren. So wie bislang niemand gefordert | |
| hat, die im Haushaltsausschuss vorgenommene parlamentarische Kontrolle | |
| durch einen „Haushaltskontrollbeauftragten“ zu ersetzen, sollte auch dieser | |
| Kernbereich parlamentarischen Wirkens nicht outgesourct werden. | |
| Gegen einen Geheimdienstbeauftragten spricht auch, dass seine | |
| Möglichkeiten, in seinem Aufgabenbereich entscheidenden Einfluss zu nehmen, | |
| äußerst gering wären. Als Außenstehender könnte er – das zeigen alle | |
| bisherigen Erfahrungen im parlamentarischen Alltag – niemals allein mit der | |
| Kraft guter Argumente gegen die Regierung und die sie tragenden | |
| Parlamentsfraktionen gesetzgeberische Veränderungen erreichen. Nur wenn | |
| Parlamentarier am eigenen Leib im Kontrollgremium erleben, wie demütigend | |
| es sein kann, von den Nachrichtendiensten vorgeführt zu werden, können sie | |
| Restelemente parlamentarischen Selbstverständnisses entdecken. Und bereit | |
| sein, gesetzgeberische Veränderungen, auch gegen die Regierung, umzusetzen. | |
| Diese Einschätzung belegen die Erfahrungen in der 16. Legislaturperiode: | |
| 2009 setzten die Gremiumsmitglieder Röttgen und Scholz Verschärfungen des | |
| Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle durch – gegen den erklärten | |
| Willen der Regierung. Damals hatten sich, was höchst ungewöhnlich war, die | |
| betroffenen Minister Steinmeier, Schäuble und Jung in einem Brief an die | |
| Regierungsfraktionen gewandt. Und vergeblich darum gebeten, den | |
| Gesetzentwurf so nicht zu verabschieden. | |
| ## Persönliche Empörung | |
| Dieser galt schon deshalb als ungewöhnlich, weil er ohne Unterstützung der | |
| betroffenen Ministerien aus der Mitte des Parlaments eingereicht wurde. | |
| Ohne persönliche Empörung der Gremiumsmitglieder Rötttgen und Scholz über | |
| das Verhalten der Nachrichtendienste wäre ein solcher Affront gegenüber der | |
| Regierung nicht möglich gewesen. | |
| Die Möglichkeiten eines Geheimdienstbeauftragten wären auch nicht mit denen | |
| des Datenschutz- oder Wehrbeauftragten vergleichbar. Deren Wirkungskraft | |
| erschöpft sich in erster Linie darin, als kritische Mahner in die | |
| öffentliche Diskussion einzugreifen und dabei auf Schwachpunkte und | |
| Missstände in ihrem Fachbereich hinzuweisen. Das aber könnte ein | |
| Geheimdienstbeauftragter gar nicht, der strengen Geheimhaltungspflicht in | |
| seinem Bereich wegen. | |
| Gegen die Schaffung eines neuen Amts spricht zudem die Erfahrung, dass | |
| bislang bei der Besetzung der Ämter von Beauftragten häufig nicht fachliche | |
| Eignung und öffentliche Überzeugungskraft bestimmend waren, sondern | |
| vornehmlich Versorgungsmotive. Eine Reform der parlamentarischen Kontrolle | |
| ist bitter nötig, darüber besteht offenbar parteiübergreifend Konsens. Über | |
| die Wege, diese Reform zu erreichen, gibt es unterschiedliche Auffassungen. | |
| Der Weg des Geheimdienstbeauftragten ist, ganz klar, ein Irrweg. | |
| 2 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Wolfgang Neskovic | |
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