# taz.de -- SPD-Generalsekretärin Katarina Barley: „Die immer gleichen Phras… | |
> Katarina Barley, SPD-Generalsekretärin, wundert sich über Machos in | |
> Talkshows. Und ärgert sich, dass die AfD ausschließlich zu | |
> Flüchtlingsthemen eingeladen wird. | |
Bild: „Meine Mitarbeiter erklären mich für verrückt, weil ich mir in meine… | |
taz: Frau Barley, Sie sind jetzt seit vier Monaten Generalsekretärin der | |
SPD. Was hat Sie überrascht in dem Job? | |
Katarina Barley: Mich hat irritiert, wie seltsam man angeschaut wird, wenn | |
man nicht die ritualisierte Politiksprache benutzt. Ich habe ja 40 Jahre | |
lang ein normales Leben geführt, mit Familie, Beruf, Ehrenamt, ohne | |
Kameras. Die Art, wie in Talkshows geredet wird, hat mit dem Alltag nichts | |
mehr zu tun. | |
Warum? | |
Weil es eigentlich nicht um einen richtigen Austausch geht. Stattdessen | |
spulen die Teilnehmer Erklärungen ab. Markus Söder hat neulich in einer | |
Runde eine Frage nicht beantwortet und irgendetwas Vorbereitetes | |
eingestreut. Darüber wundert sich unter Politikern keiner. Mein Stil ist | |
ein anderer. | |
Nämlich? | |
Ich will ein offener Mensch bleiben. Auf Leute zugehen und zuhören können. | |
Ich möchte mich von dem Amt nicht deformieren lassen. | |
Selbstinszenierung gehört zu dem Handwerk, das Sie beherrschen müssen. | |
Das sehen viele so. Aber das Resultat dieser Inszenierungen sind immer | |
gleiche Phrasen in immer gleichen Ritualen. Eine Zeit lang sagten viele | |
Politiker ständig: „Da bin ich ganz bei Ihnen.“ Ich habe mich gefragt: | |
Gehen die alle zu dem gleichen Coach? | |
Kennen Sie die Erfahrung, als Politikerin nicht ernst genommen zu werden? | |
So etwas ist mir in der SPD noch nicht passiert. Aber in der | |
Auseinandersetzung mit der Konkurrenz, ja, da schon. | |
Wie? | |
Ebendieser Typus Markus Söder. Wenn Frauen reden, rollt der schnell mit den | |
Augen. Und er fällt Frauen öfter ins Wort als Männern. | |
Was machen Sie dann? | |
Ich bin ein höflicher Mensch. Es fällt mir nicht leicht, auf offene | |
Respektlosigkeiten mit den gleichen Mitteln zu antworten, also auch | |
abfällig zu werden. Außerdem kommt das bei Frauen schnell als Zickigkeit | |
rüber. | |
Die SPD ist eine überalterte Partei. Die Mitglieder sind im Schnitt 59 | |
Jahre alt, zwei Drittel sind Männer … | |
… Moment, Moment. Wir haben viele starke Frauen. Malu Dreyer oder Hannelore | |
Kraft, Andrea Nahles und Manuela Schwesig, eine Generalsekretärin … | |
Aber im Ortsverein dominiert der Typus des 60-Jährigen, der seit zwanzig | |
Jahren die Sitzung leitet. | |
Sicher, das ist in manchen Ortsvereinen so. Ich bin für Doppelspitzen in | |
der SPD – nicht beim Parteivorsitz, aber als Option für die Gliederungen. | |
Die Doppelspitze kann in Ortsvereinen oder Kreisverbänden ein Anreiz für | |
Frauen sein, Verantwortung zu übernehmen. | |
Der Antrag für Doppelspitzen wurde auf dem letzten Parteitag eingestampft. | |
Der Ablauf war ungünstig. Ich bin gespannt, wie die Abstimmung bei der | |
nächsten Gelegenheit ausfällt. | |
Die SPD ist für die individualisierte Gesellschaft schlecht gerüstet. Sie | |
ist unattraktiv für Jüngere, Migranten und Frauen. Wie wollen Sie das | |
ändern? | |
Durch wirkungsvolle Politik. Wer macht denn moderne Familienpolitik, wenn | |
nicht wir? Das Elterngeld plus schafft den Anreiz, dass sich Väter und | |
Mütter um die Kinder kümmern können. Unterhaltsvorschuss und | |
Kita-Randzeiten ausbauen kommt vor allem Alleinerziehenden zugute. Die | |
Konservativen wollen, dass es bleibt, wie es ist. Die Grünen haben Ideen, | |
wie es sein sollte. Die SPD sorgt für realistische, machbare Politik. | |
Aber Jüngere wählen trotz Ihrer Familienpolitik lieber Merkel oder die | |
Grünen … | |
Umfragen zeigen, dass die Wähler schätzen, was wir machen. Das schlägt sich | |
nur noch nicht so in Zustimmung für die SPD nieder, wie wir uns das | |
wünschen würden. | |
Weil die SPD als bräsig gilt und weil sie, trotz der Parteireform 2011, | |
nicht anziehend für Jüngere wirkt. | |
Das stimmt so nicht. Derzeit treten pro Monat über 1.000 Leute in die SPD | |
ein, vor allem jüngere. Die Basis hat in der SPD mehr Macht als früher. Das | |
Wahlprogramm erstellen wir zusammen mit der Basis. Sieben Arbeitsgruppen | |
machen einen Aufschlag, der im Sommer in Regionalkonferenzen diskutiert | |
wird. Danach gibt es Dialoge mit Verbänden und Bürgern, über die Partei | |
hinaus. Es wird auch Mitgliederbefragungen zu einzelnen Punkten geben. Das | |
ist ein aufwendiger Prozess, um möglichst viele zu beteiligen. | |
In Baden-Württemberg sind 90.000 SPD-Wähler zur AfD gegangen. Was tun Sie | |
dagegen? | |
CDU und Linke verlieren stärker an die AfD, aber auch von uns gibt es | |
Abgänge dorthin. Wir nehmen das sehr ernst. Die meisten Leute haben die AfD | |
wegen der Flüchtlinge gewählt, ein paar auch wegen sozialer Gerechtigkeit. | |
Da müssen wir aufklären. Denn die AfD vertritt ein Familienbild aus den | |
50er Jahren und will Arbeitnehmerrechte aufweichen. Ich bin Juristin. Bei | |
den rechtspolitischen Ideen der AfD stehen mir die Haare zu Berge. | |
Warum? | |
Die AfD will zum Beispiel bei der Untersuchungshaft die Haftgründe | |
abschaffen. Ein Richter darf diese Haft bisher nur anordnen bei | |
Verdunklungsgefahr, Fluchtgefahr oder Wiederholungsgefahr. Die AfD will sie | |
einfach so verhängen. Psychisch Kranke sollen auch ins Gefängnis. | |
Videoüberwachung wollen sie möglichst flächendeckend einführen. Nur bei | |
Steuern soll der Staat auf Kontrollen verzichten. Die AfD vertritt überall | |
das Recht des Stärkeren. | |
Nutzt Aufklärung wirklich? Vielleicht geht es gar nicht so sehr um Inhalte. | |
Doch. Die AfD wurde in TV-Talkshows ausschließlich zu Flüchtlingen | |
eingeladen. Das hat mich geärgert. Was wäre, wenn Frauke Petry mal zu | |
Frauenförderung argumentieren müsste? Ich glaube, dass Leute aus unseren | |
Milieus schnell merken würden, dass die AfD nicht ihre Interessen vertritt. | |
Ich setze mich auch intensiv in sozialen Netzwerken mit Leuten auseinander, | |
die die AfD attraktiv finden. Wenn von Leuten AfD-nahe Postings kamen, habe | |
ich auf Facebook immer reagiert. | |
Mit Erfolg? | |
Wie misst man Erfolg? Mein Lieblingsbeispiel aus dieser Woche. Eine Userin, | |
deren Logo das Wappen von Sachsen-Anhalt ist, hat mir diese Story | |
geschrieben: Sie arbeite in einer Rettungswache. Wenn sie dort Migranten | |
nach einer Prügelei Wunden nähe, werde sie dafür als „deutsche Hure“ | |
beschimpft. Ich habe spontan geantwortet: Sie sind keine Frau, Sie sind ein | |
frustrierter Mann, der Angst und Hass verbreiten will. | |
Wie war die Reaktion? | |
Er hat das nicht geleugnet. Das gibt es oft im Netz. Alte Männer, die mit | |
der Wirklichkeit nicht mehr klarkommen und sich als mitfühlende Frauen | |
ausgeben. Meine Mitarbeiter erklären mich für verrückt, weil ich mir in | |
meiner Freizeit mit Trollen auf Facebook verbalen Schlagabtausch liefere. | |
Aber ich finde es wichtig. | |
Warum tun Sie das? | |
Das ist eine Parallelwelt, ein in sich geschlossener Kosmos. Diese Menschen | |
sind kaum mehr ansprechbar. Dort kursieren oft Nachrichten von | |
Vergewaltigungen und Einbrüchen durch Flüchtlinge, keiner weiß, ob erfunden | |
oder nicht. Jedenfalls total einseitig und überzeichnet. Wir müssen | |
zumindest wissen, wie dieser Kosmos funktioniert und ihn nach Möglichkeit | |
aufbrechen. | |
2 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
Ulrich Schulte | |
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