# taz.de -- Umstrittenes Projekt Nicaragua-Kanal: Der Albtraum vom Kanal | |
> Ein chinesischer Investor will in Nicaragua einen Kanal vom Pazifik zum | |
> Atlantik bauen. Viele Anwohner hätten keine Lebensgrundlage mehr. | |
Bild: Noch ist der Rio Punta Gorda ein Idyll. Doch bald sollen hier Containerri… | |
LEON/NUEVA GUINEA/POLO taz | Es ist ruhig am Rio Punta Gorda. Ein laues | |
Lüftchen schiebt das Wasser in sanften Wellen Richtung Atlantik, und wer | |
genau hinsieht, kann erkennen, wie ein paar Fische ihre Bahnen durch das | |
klare Wasser ziehen. Nicht einmal eine Brise des großen Sturmes, der sich | |
über Nicaragua anbahnt, lässt sich erahnen. Seit der ersten Pressekonferenz | |
von Präsident Daniel Ortega und dem chinesischen Investor Wang Jing weht | |
ein Wort durch das Land, in dessen Süden nur wenige Kilometer den Pazifik | |
vom Atlantik trennen: El canal – der Kanal. | |
Es war im Juni 2013, als die sandinistische Regierung den Beginn des | |
Kanalbaus verkündete und erste Einzelheiten bekannt gab. So sichert sich | |
die Hongkong Nicaragua Canal Development Group die Rechte, den Kanal für 50 | |
Jahre mit Option auf weitere 50 Jahre zu betreiben. Der Kanal soll 278 | |
Kilometer lang und 530 Meter breit werden. Die Baukosten werden zwischen 50 | |
und 100 Milliarden Dollar geschätzt – in einem Land, dessen | |
Bruttoinlandsprodukt bei 11,3 Milliarden Dollar liegt. | |
Zusätzlich wurde der Bau von zwei Häfen, einem Flughafen, einer Bahnstrecke | |
sowie diverser Autobahnen und Brücken durch chinesische Firmen vereinbart. | |
Ortega glaubt, dass das 1,2 Millionen Arbeitsplätze schaffe. Wang Jing | |
spricht von 50.000, die Hälfte für Nicaraguaner. Für den Bau müssten | |
400.000 Hektar Regenwald gerodet sowie massenhaft Einwohner enteignet und | |
vertrieben werden. Im Falle einer Bauverzögerung durch Widerstände der | |
Bevölkerung haftet der nicaraguanische Staat für die Einbußen gegenüber dem | |
chinesischen Investor ebenso wie für Umweltschäden. | |
Ende 2014 kam der erste Spatenstich. Weitergegraben wurde seitdem nicht, | |
Grund ist die unsichere Finanzierung. Und trotzdem verändert allein die | |
Diskussion über den Kanal das Land. Die politischen Vorgaben kommen dabei | |
aus der Pazifikregion, die die Sandinisten dominieren. Nicht jene | |
Volksbewegung aus den siebziger Jahren, sondern die übriggebliebene | |
politische Klasse, die Ortegas Partei treu geblieben ist. Einige dieser | |
Veteranen betreiben das Revolutionsmuseum in der Stadt Leon. Ältere Männer | |
mit vernarbten Gesichtern zeigen Schwarz-Weiß-Fotos von Straßenkämpfen. Den | |
Kanal finden sie gut: Er bringe Wohlstand, endlich realisiere sich ein | |
Traum. Es sind die Worte des Präsidenten. | |
## Wem nutzt der Kanal? | |
Nur wenige Straßen vom Stadtzentrum entfernt wohnt Vladimir Sanchez. Zu | |
fünft teilt sich seine Familie zwei Zimmer. Im Wohnzimmer betreiben sie | |
einen Kiosk. „Weißt du, warum ich gegen den Kanal bin?“, fragt Sanchez und | |
gibt selbst die Antwort. „Was nutzt mir ein Kanal, der erst in 100 Jahren | |
Geld bringt? Ich werde dann schon tot sein, mein Sohn und meine Enkel | |
auch.“ Zurzeit reichen für die Familie die Einnahmen eines Tages, um für | |
den nächsten einzukaufen. Die Vorstellung, dass sich der Kanal lohnen | |
könnte, ist fremd. Die entscheidende Frage bleibt. Wem nutzt der Kanal? Der | |
Regierung bestimmt, so hat Politik hier immer funktioniert. Aber wem noch? | |
An der Pazifikküste träumen viele vom Aufschwung, doch je tiefer man ins | |
Binnenland vordringt, umso weniger ist davon zu spüren. Diese Linie | |
entspricht dem Pfad der Besiedlung des einst weitgehend bewaldeten Landes. | |
Wer im Westen keine Perspektive sah, zog weiter ins Landesinnere. Bäume | |
wurden gefällt, Fincas gegründet, Dörfer entstanden. | |
Nueva Guinea, sieben Busstunden von der Hauptstadt Managua entfernt, ist | |
mittlerweile eine Kleinstadt. In diesen Tagen feiert der Ort, der einst | |
„Luz en la Selva“ – „Licht im Dschungel“ – hieß, 51-jähriges Jubi… | |
Statt Dschungel gibt es heute einen Supermarkt, drei Bankautomaten und ein | |
Baseballstadion. In der Jubiläumswoche kämpfen beim Rodeo Cowboys in Jeans | |
und mit großen Hüten mit dem Stier um den größeren Testosteronschub. | |
## In der Hauptstadt des Protests | |
In Nueva Guinea nahm der erste große Protestmarsch gegen den Kanal seinen | |
Anfang. 3.000 Bauern zogen nach Managua. Einen solchen Protest hatte es | |
lange nicht gegeben. Über „la politica“ wird nicht gerne geredet. Der | |
Bürgerkrieg gegen die von den USA unterstützten Contras hat seine Spuren | |
hinterlassen, die Korruptionsskandale der letzten Jahrzehnte ebenfalls. | |
Kaum einer traut der Politik zu, die Verhältnisse zu verbessern. Schon im | |
Contrakrieg waren die Sympathien für die Sandinisten auf dem Land gering. | |
Diese konnten ihr Versprechen nicht halten. Dafür die Macht. | |
In Nueva Guinea glauben nur wenige, dass die Bürgermeisterin von den | |
Sandinisten vor zwei Jahren tatsächlich die meisten Stimmen erhielt. Der | |
Kanal ist da nur die Spitze des Eisbergs. Doch selbst hier, im Zentrum des | |
Protests, bekümmert der Kanal längst nicht mehr alle Menschen. Denn die | |
Finanzierung stockt, die Investoren bleiben aus und Hauptgeldgeber Wang | |
Jing hat in den jüngsten chinesischen Börsenturbulenzen einen Großteil | |
seines Vermögens verloren. | |
Am größten bleibt die Sorge bei den 30.000 Menschen, die umgesiedelt werden | |
sollen. Doña Charito ist eine davon: „Ich sage Nein, die Regierung sagt Ja. | |
Was soll ich machen?“ Die 52-Jährige betreibt ein kleines Restaurant in | |
Polo. Das Dorf liegt am Rio Punta Gorda und besteht aus einem Fußballplatz, | |
um den sich ein paar Häuser reihen, Handyempfang gibt es keinen. Ein | |
Maultier trottet an einigen spielenden Hunden vorbei, beladen mit einem | |
Tisch. | |
## Den Preis bestimmt die Regierung | |
Dort wo heute der Rio Punta Gorda verläuft, soll der Kanal gegraben werden. | |
Polo gäbe es dann nicht mehr. Die Regierung hat angekündigt, den Menschen | |
das Land abzukaufen, die Preise bestimmt sie. Wer nichts besitzt oder | |
seinen Besitz nachweisen kann, geht leer aus. Das betrifft hier den | |
Großteil der Menschen. | |
Einer von Polos ersten Bewohnern ist Alfonso Nuñez. Kraftvolle Augen | |
schauen unter seinem Cowboyhut hervor. Er ist dünn, sehr dünn. Doch über | |
seinen Arm laufen die Muskelstriemen aus fast dreißig Jahren Arbeit auf der | |
Finca. Die Nachbarn haben gewechselt, er ist geblieben, seine Vision auch: | |
ökologischer Landbau. Stolz präsentiert er eine Auswahl – Kochbananen, | |
Kartoffeln, Hibiskus, Kakao, das restliche Gemüse hat keinen deutschen | |
Namen. Manches wächst nur hier. Nuñez’ Finca ist ein Dschungel aus Farben | |
über knapp 50 Hektar. Wo sein Land endet, beginnt die Wiese des Nachbarn, | |
über die schmatzende Rinder streifen. | |
Dieses Jahr hat die Trockenzeit einen Monat früher eingesetzt, seit Jahren | |
sinkt der Spiegel des Flusses. Das ließ die Ernte der Bohnen, dem | |
wichtigsten Nahrungsmittel, bedeutend kleiner ausfallen. Als sei sein Kampf | |
um die Erhaltung der Natur nicht schon hart genug, hat Nuñez nun einen | |
weiteren Gegner: den Kanal. Eines Tages landete ein Helikopter mit | |
chinesischen Vermessungsingenieuren auf dem Fußballplatz. | |
## „Mit uns redet keiner“ | |
Bis dahin hatten die Bewohner von Polo nur aus dem Fernsehen vom Kanal | |
gehört. Von der Regierung kam bis heute niemand. „Der Dialog ist wichtig | |
für unser Zusammenleben. Aber mit uns redet keiner“, sagt Nuñez. „Ich | |
hoffe, dass ich Sie noch mal hier empfangen darf“ , verabschiedet sich | |
Nuñez. 2018 soll der Kanal nach offiziellen Plänen fertiggestellt werden. | |
Im selben Jahr würde Nuñez’ Finca 40 Jahre alt. Es wäre ihr Todesjahr. | |
Etwas weiter den Fluss hinab liegt eine andere Finca. Als das Boot anlegt, | |
steigt Vicente Reyes, ein Mann mit festem Händedruck und sicherer Stimme, | |
vom Pferd. Auf den Bäumen beobachten Leguane das Treiben. „Die sind auch | |
weniger geworden“, sagt Reyes. Genauso wie die Affen, die sich früher hier | |
tummelten. „Nun habe ich schon lange keinen mehr gesehen“, sagt der | |
Landwirt und lädt zum Essen. Im Fernsehen schaut sein Sohn einen Trickfilm. | |
Es geht um eine Waldkönigin mit einem bunten Reich voller Leben. Es wird | |
bedroht von Termiten, die den Wald abholzen. Im Haus Fiktion, vor der Tür | |
Realität. | |
„Wenn ein Chinese über den Fluss wollte, hat ihn keiner von uns | |
mitgenommen“, sagt Reyes. Die Selbstorganisation der Bauern geht weiter, | |
mittlerweile sind sie bewaffnet. Sollte einer enteignet werden, kommen alle | |
zu Hilfe. Reyes ist die Wut anzusehen. „Die Regierung sagt, wir hätten hier | |
nichts zu essen. Aber uns geht es gut!“ | |
## Beide Seiten rüsten auf | |
Etwas weiter im Landesinneren, nur wenige Kilometer vom Dorf Polo entfernt, | |
befindet sich eine Sperrzone. Was dort vor sich geht, weiß keiner so genau. | |
Im Dorf wird gemunkelt, Guerillagruppen aus dem Norden des Landes seien in | |
der Gegend, um Anhänger für den Kampf gegen die Regierung zu rekrutieren. | |
Diese habe ihre Militärpräsenz kürzlich noch einmal verstärkt. | |
Der Widerstand verläuft allerdings vorwiegend friedlich. Er wird | |
hauptsächlich von den Ärmeren getragen, die angeblich profitieren sollen. | |
Das ist der sichtbare Konflikt. Es bilden sich derweil weitere Frontlinien. | |
Europäische NGOs starten Petitionen, um den Regenwald zu erhalten. China | |
festigt, mit und ohne Kanal, seine geostrategischen Interessen. Die | |
nicaraguanische Regierung sucht den schnellen Aufschwung. Indigene Gruppen | |
klagen vor internationalen Gerichten gegen die Einschränkung ihrer Rechte | |
und die Beschlagnahme ihres Territoriums. Und in Polo hoffen sie, dass das | |
vereinte Nein stark genug ist. Es geht darum, sich von seiner eigenen Erde | |
zu ernähren, kurz: ums Überleben. | |
5 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Fabian Grieger | |
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