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# taz.de -- Kanalbau in Mittelamerika: Damoklesschwert über Nicaragua
> Von der Karibikküste bis zur Mündung des des Río Brito auf der
> Pazifikseite soll „El Gran Canal“ gehen. Er stößt auf Kritik, auch bei
> Ernesto Cardenal.
Bild: Protest gegen den Kanal im Juli 2017 auf Insle Ometepe im Nicaraguasee
Der Nicaragua-Kanal ist bislang so etwas wie ein Phantom. Die richtigen
Ausbaggerungen haben noch nicht eingesetzt, geplant sind sie zunächst an
der Pazifikküste in der Gemeinde Brito. Regierungstreuen Quellen zufolge
könnten die Arbeiten im zweiten Halbjahr dieses Jahres beginnen. Das
Jahrhundertprojekt hat zwar offiziell den ersten Spatenstich an der
Pazifikküste erlebt ist aber wegen mutmaßlicher Finanzierungsprobleme ins
Stocken geraten ist.
Vom Tisch ist es damit nicht, sondern hängt als latente Bedrohung über der
Natur und vielen Menschen, die von Enteignungen und Zwangsumsiedlungen
betroffen wären. Für viele schwebt dieses Monsterprojekt wie ein
Damoklesschwert über dem Land. Die Streckenführung des „El Gran Canal“ so…
von der Mündung des Río Punta Gorda an der Karibikküste zur Mündung des Río
Brito auf der Pazifikseite gehen mit einer Länge von 278 Kilometern. Die
Strecke führt mitten durch den Nicaraguasee.
Experten sprechen von einem „ökologischen Desaster“. Es würden 400.000
Hektar Regenwald und Feuchtgebiete zerstört, die den Lebensraum von bereits
gefährdeten Tierarten wie dem Mittelamerikanischen Tapir, dem
Geoffroy-Klammeraffen oder dem Jaguar bilden. Bedroht sind auch die Rechte
einer Vielzahl autonomer indigener Bevölkerungsgruppen.
## Kritik am Clan
Einer, der sich in Nicaragua stets getraut hat, mit klaren Worten seine
Meinung zu vertreten, ist der hochbetagte Ernesto Cardenal (92). Weltweit
bekannt wurde er als Dichter, Befreiungstheologe und als Kulturminister der
sandinistischen Regierung von 1979–87, was ihm letztlich die Suspendierung
als katholischer Priester einbrachte. Um Cardenal ist es recht still
geworden, vor allem aus Altersgründen.
Doch wenn man ihn auf die Politik in seinem Heimatland anspricht, wie noch
zu Jahresbeginn in einem Interview für die Katholische Nachrichten-Agentur,
dann regt er sich über „diese Diktatur“ des Clans um den langjährigen
Staatspräsidenten Daniel Ortega auf. Auch über das größenwahnsinnige
Bauvorhaben des Nicaragua-Kanals zwischen Atlantik und Pazifik hat er sich
geäußert.
Unter dem Titel „Die Monstrosität des Kanals“ prangerte Ernesto Cardenal
das Jahrhundertprojekt an. „Wir müssen an die Öffentlichkeit bringen, was
in Nicaragua passiert“, begann Cardenal seinen Essay und wetterte, dass
Staatschef Ortega das Gesetz zum Bau eines interozeanischen Kanals
„innerhalb eines einzigen Tages“ durch den Nationalkongress schleuste und
tags darauf die Konzession „mit einer Schwindel erregenden Schnelligkeit“
an ein chinesisches Unternehmen und einen Investor namens Wang Jing vergab.
Abgesehen davon, dass die Bevölkerung bei dem Gesetz ohnehin nicht gefragt
worden und es „in vielen Aspekten“ gegen die Verfassung sei, beinhalte die
Konzession nur Rechte, aber keine Pflichten. Und sie sei „ohne irgendeine
vorherige Untersuchung“ und „ohne irgendeine Ausschreibung“ erfolgt, so
Cardenal. Zudem habe es nicht die geringste Transparenz gegeben, was das
Projekt bis heute so nebulös macht, denn die Konzession besage, „dass alle
Information über den Bau des Kanals vertraulich sein wird“.
## Ökologisches Desaster
Obgleich das Projekt einen Flughafen, zwei Häfen, ein großes
Tourismuszentrum, Freihandelszonen und weitere Projekte beinhalte, steht zu
befürchten, dass der Löwenanteil der Gelder an Nicaragua vorbeifließt.
Klar, dass das Vorhaben eine gewisse Zahl an Arbeitsplätzen schafft, aber
durch die Werke an sich, so Cardenal, würde der Staat Nicaragua durch
Steuern und Abgaben „nicht einen Cent“ abbekommen.
Laut Abkommen, das unterschrieben wurde, steht das chinesische Unternehmen
„außerhalb der nationalen gesetzlichen Regelung.“ Außerdem könne der
Investor schalten und walten, wie er wolle: „Er wird jedwede Lizenz,
Erlaubnis oder Bevollmächtigung erhalten, nach der er verlangt.“
Ökologisch wäre der Kanalbau auch ein Desaster, etwa für den Nicaraguasee:
„Mit jedem Schiff, das vorbeizieht, würde eine große Menge an Süßwasser i…
Meer gehen. Der große See hätte nur noch einen Zweck: die Schifffahrt. Wir
können keine Nahrung mehr durch Bewässerung produzieren, wir werden nur
noch Schiffe vorbeifahren sehen. Man wird das Wasser des Sees auch nicht
mehr trinken können. Man muss auch beachten, dass es viele sind, die vom
Fischfang im See leben und es nicht mehr können werden. All unsere Wasser,
ober- und unterirdisch, werden in Händen eines Chinesen liegen. Den
Besitzern der Ländereien, die enteignet werden, wird dieser Chinese den
Kataster- und nicht den Marktwert zahlen.“
Von der Auslöschung bedroht sah Cardenal den Archipel Solentiname und die
vor der Kolonialstadt Granada gelegene Inselwelt der Isletas de Granada.
Die Isletas de Granada würden verschwinden, da die Schleusen den Spiegel
des Sees um zwei Meter anheben würden.
„Mit diesem Kanal würde sich der Nicaraguasee, der für uns ein Segen Gottes
ist, in einen Fluch verwandeln“, schreibt Cardenal. „Den Nicaraguasee zu
zerstören, wäre das größte Verbrechen der Geschichte unseres Landes.“
5 Aug 2017
## AUTOREN
Andreas Drouve
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