# taz.de -- Äthiopische Dörfer angegriffen: Die Angreifer kamen aus Südsudan | |
> Über 200 Tote gab es bei Angriffen auf Dörfer im Westen Äthiopiens. Dort | |
> leben Anhänger von Südsudans Nuer-Rebellen. | |
Bild: Musste seine Rückkehr aus Äthiopien nach Südsudan absagen: Rebellen… | |
BERLIN taz | Die Mörder kamen im Morgengrauen, sie trugen grüne | |
Militäruniformen und waren mit neuen Sturmgewehren bewaffnet. Es waren | |
mehrere Tausend. Ihre Ziele: eine Gruppe von 15 bis 20 Dörfern in der | |
westäthiopischen Provinz Gambella, rund 20 Kilometer von der | |
südsudanesischen Grenze entfernt. | |
„Die Menschen wurden vom Gewehrfeuer geweckt“, schildert ein auf Facebook | |
kursierender Bericht aus der Region das Geschehen vom vergangenen Freitag. | |
„Die Angreifer waren zu Fuß. Sie hatten die Dörfer umstellt und waren auch | |
schon zwischen den Hütten. […] Sie suchten nach Kindern unter 15 Jahrens | |
und nach Vieh. Sie nahmen alle Tiere aus den Dörfern, an einem Ort bis zu | |
800 Kühe plus Schafe und Ziegen. Frauen, die versuchten, die Entführung | |
ihrer Kinder zu verhindern, wurden getötet.“ | |
Bis Montagfrüh sprach Äthiopiens Regierung von 208 Toten. 108 Kinder und | |
2.000 Rinder seien entführt worden, sagte Regierungssprecher Getachew Reda | |
der Nachrichtenagentur Reuters. Die Armee sei dabei, die Angreifer zu | |
verfolgen. Bereits am Samstag hatte Getachew gesagt, Regierungssoldaten | |
würden die Angreifer in den Südsudan hinein jagen und hätten bereits 60 von | |
ihnen getötet. | |
Gambella, ein tief nach Südsudan hineinragendes Stück Äthiopien westlich | |
des äthiopischen Hochlands, ist traditionell eine unruhige Region. Jenseits | |
der Grenze im Südsudan vermischen sich mehrere blutige Konflikte: der seit | |
Ende 2013 tobende Bürgerkrieg zwischen Südsudans Regierung von Präsident | |
Salva Kiir von der Volksgruppe der Dinka und Rebellen des ehemaligen | |
Vizepräsidenten Riek Machar von der Volksgruppe der Nuer; und noch viel | |
ältere Konflikte zwischen Nuer und Milizen des Murle-Volkes, die immer | |
wieder in brutalen ethnischen Massakern enden und mittlerweile von den | |
Kontrahenten des südsudanesischen Bürgerkrieges wortwörtlich | |
ausgeschlachtet werden. So kämpfen jetzt Murle-Milizen auf Regierungsseite, | |
während Nuer das Gros der Rebellen ausmachen. | |
Ob mit dem jüngsten Massaker Südsudans Krieg auf Äthiopien übergeschwappt | |
ist, bleibt unklar, aber es gibt deutliche Verbindungen. Die Täter waren | |
den Berichten zufolge Murle, vermischt mit einigen Dinka, was auf | |
südsudanesische Regierungssoldaten hindeuten könnte. Die Opfer sind Nuer – | |
vom Volk der Jikany. Zugleich leben in Gambella inzwischen rund 220.000 | |
Flüchtlinge aus dem Südsudan, zumeist Nuer und zu 90 Prozent Frauen und | |
Kinder. | |
Die meisten leben in Lagern, aber Konflikte zwischen bewaffneten | |
Flüchtlingen und lokalen äthiopischen Volksgruppen forderten bereits im | |
Februar Dutzende Tote und führten damals dazu, dass Äthiopiens Regierung | |
die lokal rekrutierte Polizei abzog – mit dem Ergebnis, dass die Leute nun | |
gegen die Angreifer aus Südsudan schutzlos waren. | |
## Den Friedensprozess sabotiert | |
Der Angriff ging nach lokalen Berichten in der Dimension und der Brutalität | |
weit über die in dieser Region üblichen Viehdiebstahl-Überfälle hinaus und | |
zielte auf die Nuer-Bevölkerungen der Region als Ganzes. Er erfolgte genau | |
rechtzeitig, um einen wichtigen Schritt zur Überwindung des Bürgerkrieges | |
im Südsudan zu sabotieren: die Rückkehr des Rebellenchefs Riek Machar aus | |
dem äthiopischen Exil nach Südsudan, um in der Hauptstadt Juba am Montag | |
wieder feierlich als Vizepräsident vereidigt zu werden. | |
Die Umsetzung dieser Vereinbarung, ein zentraler Schritt des 2015 in | |
Äthiopien ausgehandelten Friedensabkommens für Südsudan, wurde immer wieder | |
verzögert, weil mit Machars Rückkehr nach Juba noch lange nicht klar wäre, | |
dass dort jetzt auch Nuer sicher sind. Die Rebellen verlangen dafür eine | |
Entmilitarisierung von Juba, die Regierung sieht das nicht ein. | |
Nun hat Machar aus „logistischen“ Gründen am Montag seine Heimkehr erneut | |
verschoben. Die „logistischen“ Gründe hängen direkt mit dem neuen Massaker | |
zusammen. Machar hielt sich in Gambella auf, als der blutige Angriff vom | |
Freitag erfolgte, und wartete da auf seine Anhänger, die aus der Grenzstadt | |
Pagak im Rebellengebiet Südsudans zu ihm stoßen sollten, um gemeinsam mit | |
ihm nach Juba zu fliegen. Wegen der Kämpfe konnten sie jetzt nicht kommen. | |
Ob Machars Heimkehr am Dienstag klappt, blieb am Montagnachmittag offen. | |
Falls das Massaker von Gambella tatsächlich gezielt den Nuer als Anhänger | |
Riek Machars galt, und falls die Täter nicht nur südsudanesische | |
Militäruniformen trugen, sondern auch südsudanesische Militärangehörige | |
waren, wäre es als gezielte Sabotage des Friedensprozesses durch Südsudans | |
Regierung zu werten. Aber angesichts der Unübersichtlichkeit dieses Krieges | |
sind solche Schlüsse nur mit großer Vorsicht zu treffen. | |
Korrektur: In einer früheren Version dieses Beitrags wurde in der | |
Überschrift der Sudan als Herkunft der Täter genannt, statt des Südsudan. | |
18 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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