# taz.de -- Olympia-Terrorangriff 1972 in München: Eine Fülle von belastenden… | |
> Palästinenser überfielen das israelische Team. Zuvor hatten Schweizer | |
> Politiker mit der PLO ein Stillhalteabkommen getroffen. | |
Bild: Ein Mitglied des „Schwarzen September“ im Olympischen Dorf in Münche… | |
Obwohl es schon zwei Generationen zurückliegt, erschüttert es die Schweiz | |
bis auf den heutigen Tag: Am 21. Februar 1970 wurde ein Sprengstoffanschlag | |
auf eine Maschine der Swissairverübt. Sie befand sich auf dem Flug nach Tel | |
Aviv und stürzte im Kanton Aargau nahe der Gemeinde Würenlingen in einen | |
Wald. Niemand überlebte. | |
Mit 47 Todesopfern war es das größte in der Schweiz nach 1945 begangene | |
Verbrechen. | |
Als am 1. Dezember 1970 zu dem Terrorakt der 165 Seiten umfassende | |
Ermittlungsbericht der Kantonspolizei Zürich von Bezirksanwalt Robert | |
Akeret in Bern persönlich an Bundesanwalt Hans Walder übergeben wurde, | |
schien es nicht mehr weit bis zur Anklageerhebung zu sein. Als mutmaßliche | |
Haupttäter wurden darin mit Sufian Radi Kaddoumi und Badawi Mousa Jawher | |
zwei Palästinenser benannt. | |
Doch danach geschah offenbar nichts mehr. | |
Jedenfalls kaum noch etwas, was an die Öffentlichkeit drang. Später | |
erklärte Bezirksanwalt Akeret nur noch resigniert: „Wir hörten nie mehr | |
etwas von der Strafverfolgung. Mich beschlich ein seltsames Gefühl. Alle an | |
der akribischen Untersuchung Beteiligten wurden über den Verbleib der Akten | |
im Dunkeln gelassen. In Bern breitete man einen Mantel des Schweigens aus.“ | |
In dem Augenblick, als sich die Schweizer Bundesanwaltschaft der Sache | |
angenommen hatte, schien also die Aufklärung dieses Makroverbrechens | |
endgültig zum Erliegen gekommen zu sein. | |
## Kaddoumi, Graber, Ziegler | |
Seitdem nun im Januar dieses Jahres der [1][NZZ-Reporter Marcel Gyr sein | |
Buch „Schweizer Terrorjahre“ veröffentlicht hat], dürfte der oft zitierte | |
„Mantel des Schweigens“ gelüftet worden sein. Vielleicht nicht ganz, aber | |
doch in einem nicht unerheblichen Maße. | |
Denn es soll, so Gyr, ein Geheimabkommen zwischen dem damaligen Schweizer | |
Außenminister Pierre Graber und Farouk Kaddoumi, einem führenden PLO-Mann, | |
möglicherweise dem Bruder, zumindest aber einem Verwandten des | |
Hauptattentäters, gegeben haben. Journalist Gyr hat zu den Vorkommnissen in | |
den 70er Jahren mehrere Zeitzeugen befragt. Darunter auch den prominenten | |
sozialdemokratischen Politiker und damaligen Gesprächsvermittler Jean | |
Ziegler sowie Farouk Kaddoumi selbst. | |
Beide bestätigen das Zustandekommen des Gesprächs in Genf im September | |
1970, können oder wollen aber nicht mit Sicherheit sagen, ob Graber direkt | |
daran beteiligt war. Auch über den Inhalt der damaligen Vereinbarungen | |
herrscht bis heute keine völlige Klarheit. Insbesondere die Frage, ob | |
hinsichtlich der Attentäter dabei eine Aussetzung der Strafverfolgung | |
vereinbart wurde, konnte nicht geklärt werden. | |
An der Tatsache jedoch, dass es ein solches Gespräch mit einer | |
entsprechenden Verabredung gegeben hat, scheint kaum ein ernsthafter | |
Zweifel mehr zu bestehen. Kaddoumi selbst hat eingeräumt, seinen Schweizer | |
Partnern damals in Genf im Namen der PLO zugesichert zu haben, dass von | |
palästinensischer Seite keine weiteren Anschläge mehr auf Schweizer Objekte | |
verübt würden. Während die Schweizer Vertreter wiederum sich im Gegenzug | |
bereit erklärt hätten, sich für die Eröffnung eines Büros der PLO bei den | |
Vereinten Nationen in Genf einzusetzen. | |
## Wortmeldung „Carlos“ | |
Nach den Veröffentlichungen Anfang dieses Jahres ist aber mittlerweile noch | |
etwas Gewichtiges hinzugekommen. Ein weiterer „Zeitzeuge“ hat sich zu Wort | |
gemeldet. | |
Und das ist kein Geringerer als der seit 1994 in französischen Gefängnissen | |
einsitzende Ilich Ramírez Sánchez, besser unter seinem Spitznamen „Carlos“ | |
bekannt. Als dieser war er seit 1975 fast zwei Jahrzehnte lang der | |
international gesuchte Topterrorist. | |
Und als dieser konnte er demnach offenbar nach Belieben in die Schweiz | |
einreisen und auch wieder ausreisen. „Carlos“ bestätigte aus dem Gefängnis | |
heraus nun ebenfalls die 1970 zwischen Palästinensern und Schweizern | |
getroffene geheime Vereinbarung. In einem Telefoninterview spricht er gar | |
von einem „Nichtangriffspakt“ zwischen der Schweiz und den Organisationen | |
der PLO. | |
Die gegenwärtige Schweizer Debatte dürfte jedoch noch an ganz anderen | |
gewichtigen Problemen kranken. Zum Beispiel daran, dass sie um eine aller | |
Gewichtigkeit zum Trotz letztlich nur sekundäre Frage kreist – das | |
Ausbleiben einer angemessenen Verfolgung der mutmaßlichen Straftäter. Die | |
primäre Frage jedoch, warum es zum Anschlag und Flugzeugabsturz nahe | |
Würenlingen überhaupt kam, wurde politisch noch nicht einmal gestreift. | |
## München 1972 | |
Kaddoumis Doppelrolle und die seines Adlatus Daoud Barakat, der bis 1983 | |
das dann tatsächlich eingerichtete PLO-Büro in Genf geleitet hat, wurde | |
bislang nicht annähernd angemessen untersucht. Will man in diesem | |
Zusammenhang eine Hypothese formulieren, dann würde es wohl darum gehen – | |
und das macht die Angelegenheit gewiss noch um einiges brisanter –, ob die | |
Schweiz bei ihrem durchaus nachvollziehbaren Versuch, Schutz vor weiteren | |
terroristischen Übergriffen zu erlangen, in Wirklichkeit zum unfreiwilligen | |
Steigbügelhalter einer der gefährlichsten palästinensischen Terrorgruppen | |
in Europa wurde. | |
Sowohl im Falle Kaddoumis als auch dem Barakats geht es um jene | |
geheimnisvolle Organisation namens Schwarzer September, die spätestens mit | |
ihrem blutigen Überfall auf die israelische Mannschaft während der | |
Olympischen Spiele 1972 in München ins Rampenlicht der internationalen | |
Öffentlichkeit getreten war. | |
Während NZZ-Journalist Gyr eine Vielzahl von Indizien zusammenträgt, wonach | |
es sich bei dem angeblichen Diplomaten Barakat in Wirklichkeit um den | |
westeuropäischen Kopf des Schwarzen September gehandelt haben könnte, | |
reduziert er bei seiner Recherche Kaddoumis Rolle auf die eines | |
PLO-Funktionärs, dessen Stärke nicht in der Waffenanwendung, sondern in | |
seinem Verhandlungsgeschick gelegen habe. | |
Kaddoumi war aber nicht nur der designierte Außenminister der PLO. Er war | |
auch Gründungsmitglied der Guerillaorganisation Fatah sowie Gründungschef | |
ihrer Spionageabwehrabteilung Dschihas al-Rasd, also des palästinensischen | |
Geheimdienstes. Kaddoumi dürfte vielleicht sogar die eigentliche | |
Schlüsselfigur des Überfalls auf die israelische Olympiamannschaft in | |
München 1972 gewesen sein. | |
Am 25. September 1972 wartete das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz | |
mit einer Nachricht über Struktur und Führung des Schwarzen September auf. | |
Es meldete dem Bundesinnenministerium in Bonn: „1. Die Organisation | |
‚Schwarzer September, untersteht der El Fatah. Der Leiter der Organisation | |
ist Farouk Kaddoumi. Seine Identität wird sehr geheimgehalten. […] Die ND- | |
und Sabotage-Tätigkeit der El Fatah und als weitere Folge der Organisation | |
‚Schwarzer September`wird von ihm geplant. Er steht jedoch hinter den | |
Kulissen und tritt nicht selbst in Erscheinung.“ Allem Anschein nach, so | |
hieß es weiter, plane Kaddoumi die Operationen und instruiere die für den | |
Sabotageakt jeweils ausgewählte Kommandogruppe entsprechend. | |
## Bekannter der Stadtguerilla | |
Kaddoumi wie Barakat waren in der Bundesrepublik in den Kreisen jener | |
linksradikalen Aktivisten, die sich damals den Schritt in den Untergrund | |
überlegten, alles andere als Unbekannte. Als die ersten Kleingruppen des | |
Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) im Juli 1969 von Frankfurt | |
aus über das ägyptische Kairo weiter ins jordanische Amman flogen, um sich | |
in einem Trainingslager der Fatah militärisch ausbilden zu lassen, wurden | |
sie von Barakat begleitet. | |
Und als im Oktober desselben Jahres in Amman die erste Stadtguerillagruppe | |
um die Kommunarden Dieter Kunzelmann und Georg von Rauch landete, war es | |
wiederum Kaddoumi, der sie in Empfang nahm. | |
Dass sich in Deutschland linksterroristische Gruppen in den 1970er Jahren | |
etablieren konnten, hing nicht zuletzt auch mit jenen beiden | |
palästinensischen „Diplomaten“ zusammen, die sich bald darauf als führende | |
Strippenzieher des Schwarzen September in München betätigt haben dürften. | |
Auch vonseiten der Schweizer Behörden wurde man gegen einen der beiden in | |
ihrem Genfer Büro residierenden „Diplomaten“ aktiv. Eine Woche nach dem | |
Desaster auf dem Militärflugplatz Fürstenfeldbruck, wo bei der | |
gescheiterten Befreiungsaktion in der Nacht vom 5. auf den 6. September | |
1972 alle israelischen Geiseln und bis auf drei alle palästinensischen | |
Geiselnehmer umkamen, eröffnete die Schweizer Bundespolizei wegen | |
Spionageverdachts ein Ermittlungsverfahren gegen Barakat. In der Folge | |
wurde sein Telefonanschluss offenbar lückenlos überwacht. Obwohl dabei eine | |
Fülle von belastenden Indizien zutage trat, wurde nie gegen ihn Anklage | |
erhoben. | |
## Bekenntnis eines Punkers | |
Wie wenig Barakats Genfer Job mit den sonst üblichen diplomatischen | |
Gepflogenheiten unter ein Dach zu bringen war, wird auch in einem Interview | |
deutlich, das dessen 1965 in Frankfurt geborener Sohn Ghazi im Jahr 2009 | |
dem Punkrock-Magazin Ox gab. | |
Ghazi Barakat schildert darin freimütig, wie selbstverständlich es für ihn | |
schon als Kind gewesen war, eine Schusswaffe in seinem Zimmer zu haben. Als | |
15-Jähriger hätte er eine Guerillaausbildung absolvieren sollen. Daraus sei | |
nur deshalb nichts geworden, weil just an dem Tag, an dem sie hätte | |
beginnen sollen, ihr Trainingscamp durch ein gezieltes Bombardement der | |
israelischen Luftwaffe zerstört wurde. | |
Barakat junior hatte das Glück, genau in diesen Minuten ein paar hundert | |
Meter entfernt am Strand zu sein, Reggae-Musik zu hören und ein Eis zu | |
schlecken. | |
Auch in der Folge habe er mehrfach mitbekommen, wie Kampfgenossen seines | |
Vaters „abgeknallt worden oder deren Autos in die Luft“ geflogen sind. | |
Für ihn sei zwar klar gewesen, dass das auch seine Leute waren, mit denen | |
er sympathisiert habe; letztlich sei er aber „einfach zu verwöhnt“ gewesen, | |
um für eine Sache zu sterben, die nicht die seine gewesen sei. | |
Auch die in der PLO herrschende Korruption habe ihn zunehmend abgestoßen. | |
Schließlich entschied er sich für die Musik und begann damit, für | |
verschiedene Punkbands zu spielen. | |
## Karosserie und Motor | |
Der später über lange Zeit hinweg als „Generaldelegierter“ der PLO in Bonn | |
und Berlin tätige Abdallah Frangi hat in seinen Erinnerungen die PLO | |
sinnigerweise als die „Karosserie“ und die Fatah als den eigentlichen | |
„Motor“ der palästinensischen Unabhängigkeitsbewegung bezeichnet. | |
Dieses Verhältnis ließe sich aber auch als die Beziehung zwischen | |
„Diplomatie“ und „Guerilla“ beziehungsweise „Terrorismus“ begreifen… | |
man die vom Schwarzen September im olympischen Dorf in München | |
hinterlassenen Spuren auswertete, stießen die Ermittler auch auf eine | |
Telefonnummer in Langen bei Frankfurt. | |
Es handelte sich um Frangis Privatnummer, die die Geiselnehmer anzurufen | |
versucht hatten. Frangi wurde daraufhin umgehend ausgewiesen. Er flog nach | |
Beirut und tauchte dort an der Seite eines PLO-Hardliners auf, keinem | |
anderen als ebenjenem Farouk Kaddoumi. | |
Als Gyr im Jahr 2015 Farouk Kaddoumi in Tunis um ein Interview bat, sprang | |
ihm in dessen Büro eine Karte des Nahen Ostens ins Auge. Auf dieser gab es | |
viele arabische Staaten, aber keinen jüdischen namens Israel. | |
10 Apr 2016 | |
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[1] http://www.nzz-libro.ch/schweizer-terrorjahre-abkommen-plo.html | |
## AUTOREN | |
Wolfgang Kraushaar | |
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Wolfgang Kraushaar | |
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