| # taz.de -- Gedenkstätte für Terroropfer in München: „Kein Interesse zu he… | |
| > Elf Olympioniken aus Israel starben bei der Geiselnahme durch | |
| > palästinensische Terroristen 1972. Eine Angehörige spricht über die | |
| > Gedenkstätte. | |
| Bild: Der Militärflughafen Fürstenfeldbruck am Morgen nach dem katastrophalen… | |
| taz: Frau Spitzer, [1][45 Jahre nach dem Attentat, bei dem auch Ihr Mann | |
| André starb], wird diese Woche eine Gedenkstätte eröffnet. Schließt sich | |
| damit für Sie ein Kreis? | |
| Ankie Spitzer: Ich bin sehr glücklich darüber. Verrückt ist nur, dass es so | |
| lange dauerte. Ich habe schon 1978 den damaligen Außenminister | |
| Hans-Dietrich Genscher gefragt, ob wir die Wohnung haben könnten, in der | |
| die Athleten gefoltert und zwei von ihnen ermordet wurden, um dort ein | |
| kleines Museum einzurichten. Genscher meinte, das ginge nicht, weil das | |
| Haus Privatbesitz sei. Wir sind immer auf Ablehnung gestoßen. | |
| Weil die Bundesregierung das Haus nicht für Sie enteignet hat? | |
| Die zuständigen Leute hatten nicht das geringste Interesse, etwas für | |
| Israelis zu tun. Sie steckten alle noch fest im Nazismus. Ich musste 20 | |
| Jahre lang um Zugang zum polizeilichen Archiv kämpfen. Ich wollte wissen, | |
| was genau passiert war auf dem Flughafen in Fürstenfeldbruck. Wenn im | |
| Kreuzfeuer ein oder zwei Geiseln getötet werden, das hätte ich verstanden – | |
| aber alle? Die deutschen Beamten waren uns gegenüber sehr feindselig. Auch | |
| Genscher, der vom schwärzesten Tag in seinem Leben sprach, stritt mir | |
| gegenüber ab, dass die Behörden Dokumente archivierten. Das war eine glatte | |
| Lüge. | |
| Welche Erkenntnisse hat Ihnen der Einblick in die Akten vermittelt? | |
| Es sind riesige Mengen Material. Das Archiv der Münchner Polizei war nur | |
| ein Teil. Die kompletten Akten durften wir erst vor fünf Jahren einsehen. | |
| Klar ist inzwischen, dass es nicht nur um acht Terroristen und elf | |
| israelische Sportler ging. Es ist komplizierter. Deutschland wollte die | |
| drei überlebenden Terroristen des Münchner Attentats loswerden. | |
| Warum hat Israel es überhaupt den Deutschen überlassen, die Geiseln zu | |
| befreien? | |
| Am Flughafen in Tel Aviv stand ein Sonderkommando zum Abflug bereit, aber | |
| die Deutschen meinten, sie schaffen das besser allein, und Israel solle | |
| sich raushalten. Es war das reinste Chaos. Die Deutschen waren überhaupt | |
| nicht vorbereitet. Sie hatten fünf Scharfschützen. Fünf! Warum nicht 50? | |
| Johannes Rau, der 30 Jahre später Bundespräsident wurde, war der Erste, der | |
| sich dafür entschuldigte, dass die Befreiungsaktion so schiefgelaufen war. | |
| In den Polizeiarchiven, die sie schon 1992 einsehen durften, gab es auch | |
| Fotos der Opfer von München.. | |
| Die Fotos waren schrecklich. Außer mir und Ilana Romano, die Frau des | |
| Gewichthebers Josef Romano, hat keiner der Familienangehörigen die Bilder | |
| gesehen. Die Athleten waren nicht einfach getötet worden. Die Terroristen | |
| hatten einige von ihnen gefoltert. Josef Romano war kastriert worden. Die | |
| Palästinenser hatten immer behauptet, dass es nur um die Befreiung ihrer | |
| Freunde aus dem Gefängnis ging. Die Fotos beweisen, dass das nicht so war. | |
| Sie wollten die israelischen Sportler töten. | |
| Israels damalige Ministerpräsidentin Golda Meir beauftragte den | |
| israelischen Geheimdienst Mossad nach dem Attentat, die Drahtzieher der | |
| Terrororganisation Schwarzer September ausfindig zu machen und zu | |
| exekutieren. Hat Ihnen das Genugtuung verschafft? | |
| Ich bekam damals von Zeit zu Zeit kurze anonyme Anrufe mit der | |
| Aufforderung, das Radio anzuschalten. Dann hörte ich die Nachricht von der | |
| Ermordung dieses oder jenen Mannes. Die Namen hatte ich nie vorher gehört. | |
| Ich kannte nur die drei Terroristen, die in München dabei waren, und die | |
| noch lebten. Ich dachte, vielleicht werden sie die jagen, aber das | |
| passierte nie. Ob es mir Genugtuung gegeben hätte? Sicher nicht. Ich wollte | |
| die Terroristen vor Gericht sehen. | |
| Wie standen Sie dazu, dass die Olympischen Spiele trotz des Attentats | |
| fortgesetzt wurden? | |
| Es war ein Dilemma. Auf der einen Seite dachte ich: Hätte man den | |
| Terroristen einen solchen Erfolg zugestehen sollen? Sicher nicht. Aber auf | |
| der anderen Seite – wenn es das amerikanische Dreamteam gewesen wäre, dann | |
| hätte man die Olympiade ganz sicher gestoppt. Aber hier ging es nur um elf | |
| weitere Juden. Das war mein Gefühl. Die toten Körper waren noch auf dem | |
| Gelände, da gab schon wieder Cocktailpartys. | |
| Haben Sie von der deutschen Regierung eine Entschädigung erhalten? | |
| Zehn Monate nachdem ich Genscher getroffen hatte, bekam ich einen Anruf vom | |
| israelischen Außenministerium in Jerusalem. Dorthin hatte er seine Antwort | |
| schicken lassen. Deutschland bot den 14 Waisen an, für ein Jahr zum Studium | |
| nach Deutschland zu kommen. Voraussetzung war, dass sie Sozialfälle sind, | |
| also allein für ein Studium nicht aufkommen könnten. Meine Tochter war | |
| damals sechs Jahre alt. Welches unserer Kinder würde nach Deutschland zum | |
| Studium gehen wollen? Es war erniedrigend. | |
| War das alles? | |
| Wir haben 2002 insgesamt 3 Millionen Euro bekommen, die an die 34 | |
| Familienangehörigen verteilt werden sollten. Von dem Geld blieb nach all | |
| den Gerichtsverfahren weniger als eine Million übrig. Mir ging es damals | |
| nicht ums Geld. | |
| Sondern? | |
| Ilana Romano und ich sind zu allen Olympischen Spielen gefahren, um eine | |
| Schweigeminute durchzusetzen, damit alle Athleten aus aller Welt davon | |
| erfahren und etwas tun können, um zu verhindern, dass so etwas wieder | |
| passiert. Schon 1976 in Montreal. Damals gab es die Befürchtung, dass die | |
| 22 arabische Teilnehmerstaaten die Olympiade boykottieren würden. Ich | |
| sagte: Okay, sollen sie. Wir hörten immer denselben Vorwurf: Ihr bringt | |
| Politik in die Spiele. | |
| Was hatten Sie erwartet? | |
| Ich denke wirklich, dass durch Sport Grenzen überwunden werden können und | |
| man sein Gegenüber nicht als Feind betrachtet, sondern als Athleten. Genau | |
| so war es in München. Es war das reizendste olympische Dorf, das man sich | |
| vorstellen kann. Es gab Tanzpartys und Filmvorführungen, Tischtennis und | |
| alle möglichen Spiele. Alle anderen Olympischen Spiele, die danach kamen, | |
| waren nicht mehr so. Dort hat man sich wie in Militärlagern gefühlt. | |
| Wie haben Sie die Münchner Behörden von der Gedenkstätte überzeugt? | |
| Ich denke, es war ein Generationswechsel nötig. Die jungen Politiker haben | |
| uns zugehört und uns verstanden. Ich traf Bayerns Ministerpräsidenten Horst | |
| Seehofer vor fünf Jahren bei der Gedenkveranstaltung in Fürstenfeldbruck. | |
| Er sagte sofort: Okay, das machen wir. Mir war wichtig, dass man dort etwas | |
| über die Athleten erfährt. Sie sollten einen Namen haben, ein Gesicht und | |
| eine Geschichte. Außerdem sollte die Gedenkstätte auf dem Gelände des | |
| Olympiaparks an einer Stelle sein, von der man das Haus in der | |
| Connollystraße sehen kann, in dem die israelischen Sportler untergebracht | |
| waren. | |
| Ist Ihr Kampf um das Gedenken an Ihren Mann und seine Teamfreunde damit zu | |
| Ende? | |
| Wir haben nach 45 Jahren ein Memorial und seit letztem Jahr auch eine | |
| Schweigeminute, die fortan Teil der Olympischen Spiele sein wird. Es gibt | |
| trotzdem noch einen Punkt auf meiner Agenda. Ich war 26, als es passierte, | |
| jetzt bin ich fast 72. Nachdem wir all dieses Material gefunden haben, | |
| würden wir uns eine unabhängige Untersuchung einer deutsch-israelischen | |
| Kommission wünschen, damit es entweder ein Verfahren gibt, was ich nicht | |
| hoffe, oder angemessene Entschädigungszahlungen. | |
| 5 Sep 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Knaul | |
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