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# taz.de -- Kommentar Griechland inmitten der Krise: Zynismus hat keine Zukunft
> Der Deal mit der Türkei soll die Festung Europa sichern. Doch es gibt
> auch ein anderes, ein solidarisches Europa, das Hoffnung macht.
Bild: Geflüchtete stehen in Idomeni an für Essen. Am Ende der Schlange erwart…
Seit Montag ist jetzt also der EU-Türkei Flüchtlingsdeal in Kraft. Und? Ist
damit eine nachhaltige Lösung in Sicht? Es sieht nicht danach aus: Vom 19.
März bis zum 6. April kamen 8.010 Menschen über die Ägäis aus der Türkei
nach Griechenland. 53.042 sind insgesamt im Lande.
Letzten Montag wurden erstmals 202 Menschen von den Inseln Lesbos und Chios
in die Türkei abgeschoben. Bei ihnen handelt es sich um Geflüchtete aus
Pakistan, Afghanistan, dem Irak, dem Iran, aus Indien und Nordafrika, die
bis dato keinen Asylantrag gestellt hatten. Zwei Syrer haben aus familiären
Gründen selbst darum ersucht, zurück in die Türkei geschickt zu werden. Am
selben Tag kamen 339 Flüchtlinge aus der Türkei nach Griechenland.
All das geschieht trotz der Präsenz der Nato und trotz der Pflicht der
Türkei, den Flüchtlingszustrom zu drosseln. Allein diese Bilanz zeigt, wie
zynisch die neue Vereinbarung ist.
Griechenland soll mit diesem Deal dazu gebracht werden, die Türkei de facto
zum „sicherem Drittland“ zu erklären, was die EU selber nicht machen kann.
Doch wie sicher und menschenrechtskonform die Türkei ist, das weiß ich
nicht nur aus Zeitungsberichten. Vor einigen Wochen war ich in Diyarbakır
im Südosten. Dort werden aufgrund einer sinnlosen Ausgangssperre täglich
Kurden und Kurdinnen von Erdoğans Regime ermordet – vorwiegend Frauen und
Jugendliche. Wie die „TIHV-Human Rights Foundation of Turkey“ und die
türkische Partei HDP bestätigen, wurden von August 2015 bis Februar 2016 in
Cizre, Silopi, İdil und Sur mehr als 492 Zivilisten ermordet, 87 davon sind
Kinder.
Ich habe dort Mütter und Väter getroffen, denen es verboten wird, die
Leichen ihrer Kinder, die wochenlang auf der Straße liegen, zu begraben.
Erdoğans Regime liefert den Zündstoff für einen dauerhaften Bürgerkrieg in
der Region, dessen Folge unter anderem neue Flüchtlingsströme sein werden.
## Die EU handelt rein ideologisch
Die EU hat mit diesem Pakt eine „Lösung“ vorgezogen, die mit der Bekämpfu…
der Ursachen nichts zu tun hat. Genauso wie die Beweggründe für den Pakt
nur wenig mit den Werten Europas zu tun haben. Vielmehr handelt die
neoliberale Europäische Union jetzt wieder rein ideologisch. Genau wie
schon während der Eurokrise, die instrumentalisiert wurde, um die
Austeritätspolitik EU-weit zu etablieren.
Die Flüchtlingsfrage dient als Vorwand dafür, die „Festung Europa“
auszubauen. Eine Festung, in der Kapital und Waren keine Grenzen kennen,
während Menschen, die vor Krieg, Hunger und Umweltkatastrophen fliehen, auf
Kriegsflotten und Stacheldrahtzäune stoßen. Errungenschaften wie die Genfer
Menschenrechtskonvention sollen genauso wie der Sozialstaat,
Kollektivverträge oder soziale Gerechtigkeit und Umverteilung als lästige
Hindernisse aus dem Weg geräumt werden.
Es gibt aber ein anderes Europa – das solidarische und hoffnungsvolle. Es
zeigt sich im Gesicht der griechischen Regierung, die mit minimalen Mitteln
versucht, menschenwürdige Lebensbedingungen für die Flüchtlinge zu
schaffen. Im Gesicht einer kaputt gesparten griechischen Bevölkerung, die
in den letzten 15 Monaten mehr als eine Million Menschen gerettet,
unterstützt und aufgenommen hat. Im Gesicht der Tausende Freiwilligen aus
ganz Europa, die in Lesbos oder Idomeni Menschen helfen. In den Gesichtern
von Ada Colau, Bürgermeisterin von Barcelona, und Bodo Ramelow,
Ministerpräsident von Thüringen, die freiwillig Geflüchtete aus
Griechenland aufnehmen wollen.
Merkel meinte am 18. März nach dem EU-Türkei-Gipfel, dass „Europa es
schaffen wird …“. Ich stimme ihr zu. Allerdings wird das nicht in ihrem
Sinne passieren, sondern in unserem. Europa wird solidarisch und sozial –
oder es wird nicht sein!
8 Apr 2016
## AUTOREN
Giorgos Chondros
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Idomeni
Griechenland
EU-Flüchtlingspolitik
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