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# taz.de -- Gender für Kinder: Wann ist der Mann eine Frau?
> Die neue Ausstellung „All Included“ im Jugendmuseum Tempelhof-Schöneberg
> fragt nach Geschlecht und Identität. Dabei gibt's auch rosa Ü-Eier zum
> Verkosten.
Bild: Nur was für Mädchen? Die Spielwarenindustrie hätte das gerne so.
Klar kennen wir auch Leute, die schwul oder lesbisch sind, hatten die
SechstklässlerInnen der Betreuerin zu Anfang erzählt. Alles kein Problem,
alles cool. „Aber dann“, erzählt Christine Matt, „sollten sie eine
Theaterszene umsetzen, in der es darum geht, mit welchen Therapien man
früher Lesben behandelt hat, weil man sie für krank hielt.“ Niemand,
berichtet Matt, wollte die lesbischen Frauen spielen. „Intellektuell hatten
die Jugendlichen das Thema für sich vermessen – aber die Berührungsangst,
wenn es konkret wird, war enorm.“
Dabei verstecken sich hinter der Scheu der SchülerInnen vor allem viele
Fragen. Matt steht in den Ausstellungsräumen des Jugendmuseums
Tempelhof-Schöneberg, hinter ihr an der Wand kleben Sprechblasen. Sie
gehören zu der neuen Ausstellung zu Geschlecht und Identität, die
MuseumspädagogInnen gemeinsam mit sechs Grund- und Sekundarschulen aus dem
Bezirk erarbeitet haben. Es sind Fragen, die SchülerInnen transsexuellen
InterviewpartnerInnen gestellt haben: „Kann ein transsexueller Mann Kinder
bekommen?“ Oder: „Seit wann fühlst du dich als Junge?“ Konkrete Fragen
also.
Direktheit, Offenheit, darum geht es bei „All Included“, wie die
„Werkschau“ der SchülerInnen betitelt ist. Denn Sexualität, Homophobie,
Rollenbilder für Mann und Frau, sagt Museumsleiterin Petra Zwaka, das seien
Themen, „die einerseits allgegenwärtig sind und andererseits sehr wenig
offen diskutiert werden“. Natürlich hätte es da anfangs auch viel
Sprücheklopfereien unter den beteiligten Jugendlichen gegeben. „Aber wenn
man ein bisschen an der Oberfläche kratzt, dann merkt man: Da ist eine
große Irritation bei diesem Thema. Da gibt es eigentlich sehr viele
Fragen“, sagt Zwaka.
## Wen soll man lieben dürfen?
Also fragten die MuseumsmacherInnen ganz konkret: Was ist ein Junge, was
macht eurer Meinung nach ein Mädchen aus? Gibt es so etwas wie Frauen- und
Männerberufe? Und sollte jede und jeder die Person lieben können, die er
oder sie will?
Sechs Wochen lang tourte ein Team aus Theater- und MuseumspädagogInnen im
vergangenen Sommer über die Schöneberger Schulhöfe. Jeweils eine Woche lang
parkten sie ihren regenbogenbunt gestreiften Bauwagen an einer Schule,
klappten die kleine, rosafarbene Trittleiter aus, und diskutierten mit
SchülerInnen über Spielzeug für Mädchen und Jungs, über fußballspielende
Mädchen und bauchtanzende Männer – und über die Farbe Rosa.
Die Farbe Rosa. „Das hat die meisten wirklich beeindruckt“, sagt
Theaterpädagoge Lars Gossing. Er klappt ein kleines Hängeschränkchen an der
Innenwand des Bauwagens auf, das er zusammen mit den Kindern gezimmert hat:
Es ist das Ergebnis der Rosa-Diskussion. Hinter dem pinken Türchen verbirgt
sich ein Ausschnitt aus einer Frauenzeitung von 1918, die Müttern ein
„kräftiges Rosa“ als „die geeignetste Farbe“ für ihre kleinen Jungs
empfiehlt. „Das gab einen großen Aha-Effekt, als die Kinder gemerkt haben:
Diese Zuschreibungen, die werden ja von der Gesellschaft gemacht, die sind
ja nicht einfach da – man kann sie also hinterfragen.“
Von den Antworten, die die Dritt- bis ZehntklässlerInnen im vergangenen
Sommer auf ihre Fragen gefunden haben, sollen jetzt andere profitieren.
Seit November bastelt man gemeinsam mit den SchülerInnen an der Werkschau.
Die sieht zwar eine Woche vor Ausstellungsbeginn noch ziemlich nach
Baustelle aus – aber der Aufbau ist für das Team von Museumschefin Zawka
noch die leichteste Übung. Als sie am Anfang mit queeren Initiativen und
Vereinen über ihre Pläne gesprochen haben, seien sie auf viel Skepsis
gestoßen. „So nach dem Motto: Was sucht ihr hier in unserem Revier?“, sagt
Zawka.
Auch sie sei sich am Anfang nicht sicher gewesen, meint die
Fachbereichsleiterin Kunst, Kultur und Museen im Bezirk, ob das Thema
überhaupt in ein regionalgeschichtliches Museum gehört. „Aber dann haben
wir gesagt: Natürlich gehört das hierher, gerade in diesen Bezirk, der ja
auch eine ausgesprochen schwul-lesbische Vergangenheit hat.“
## Ein T(ransgender)-Shirt
Das Ergebnis ist eine Ausstellung, bei der man vor allem viel selbst
ausprobieren kann. Kleine Stationen verteilen sich wie Inseln in den drei
Ausstellungsräumen. Da ist ein Film einer zehnten Klasse, die eine queere
Modenschau veranstaltet hat. Wer will, kann sich danach selbst ein
T(ransgender)-Shirt designen. Oder mit verbundenen Augen dunkle
„Herrenschokolade“ und rosa Überraschungseier verkosten – und vielleicht,
wie die SchülerInnen, feststellen: Ohne die Zuschreibungen auf der
Verpackung schmeckt Schokolade weder männlich noch weiblich.
Die Theaterszene über die „Lesbentherapie“, die Christine Matt mit ihren
SechstklässlerInnen vorhatte, habe am Ende übrigens doch noch geklappt. Für
die Mädchen sei das wie eine Befreiung gewesen, sagt die Pädagogin. „Als
hätten sie sich über ein inneres Verbot hinweggesetzt.“ Matt hatte da
offenbar etwas angekratzt – mit Erfolg.
„All Included – Die Werkschau“ ist vom 14. April bis 31. Juli im
Jugendmuseum Tempelhof-Schöneberg, Hauptstraße 40/42, zu sehen.
Öffnungszeiten und ein Begleitprogramm für Erwachsene: www.jugendmuseum.de.
Eintritt frei.
14 Apr 2016
## AUTOREN
Anna Klöpper
## TAGS
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Geschlechter
Werkschau
Spielzeug
Transgender
Sexualität
Kinder
Luft und Liebe
Feminismus
Geschlechterrollen
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