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# taz.de -- Politik der Geschlechter: Der Zwang, Gernot-Peter zu sein
> Sie wurde als Mann geboren. Bremen verweigert ihr die Anerkennung als
> Frau – wegen eines umstrittenen Gutachtens
Bild: Sybill Constance de Buer ist eine Frau und lebt das seit 2013, obwohl es …
BREMEN taz | Gernot-Peter ist jetzt Sybill Constance. Also soll das auch im
Ausweis stehen. In Hamburg wäre das kein Problem. In Bremen schon. Hier
kämpft Frau de Buer seit Jahren vergeblich – um eine förmliche Anerkennung
als Frau. Und eine Heilbehandlung, die ihr biologisches an das wirkliche
Geschlecht angleicht.
Über drei Jahre schon lebt Sybill Constance de Buer, 54, als Frau. Rein
rechtlich ist sie aber immer noch ein Mann, und auch die Uni Bremen, an der
sie heute Jura studiert, führt sie als Mann. Denn einen unpassenden
Vornamen wird man hierzulande so leicht nicht los. Darüber entscheiden
Amtsrichter. Vor allem aber zwei Gutachter, die einem bescheinigen müssen,
dass man „seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang steht“, seinen
„Vorstellungen entsprechend zu leben“. So steht es im
[1][Transsexuellengesetz.]
De Buer war bei zwei Gutachtern. Der eine ist Gynäkologe – er bescheinigt
ihr eine „transsexuelle Entwicklung, die sich bis in die Pubertät
zurückverfolgen lässt“. Der andere ist ein Psychiater, Psychotherapeut und
Nervenheilkundler. Er will nicht ausschließen, dass de Buer transsexuell
ist. Mindestens genauso wahrscheinlich findet er, dass sie ein Transvestit
und die Sache mit den Frauenklamotten doch eher nur so ein Fetisch ist. Ihm
fehlt ihr „Missbehagen“ gegenüber den männlichen Geschlechtssteilen, ihn
stört, dass de Buer früher eine „befriedigende genitale Sexualität“ mit
Frauen hatte – und obendrein Vater einer Tochter ist.
Es ist das, was Laura Adamietz, die Bremer Anwältin von Frau de Buer, ein
„verheerendes Fehlgutachten“ nennt. Sie hält das Gesetz ohnehin für
„verfassungswidrig“. Und den Fall von de Buer für eine Art „Worst
practice“-Beispiel, der verdeutlicht, „wie problematisch die
Begutachtungspflicht ist“.
Dabei war Deutschland, sagt Adamietz, mal ganz vorne dran, was
Transsexuelle angeht, zusammen mit Schweden. In den Siebzigerjahren war
das. Heute seien Länder wie Malta, Irland oder Spanien deutlich weiter: Sie
haben den entwürdigenden Gutachterzwang abgeschafft. „Die Zeichen stehen
auf Selbstbestimmung“, sagt Adamietz. In Deutschland aber geht man
weiterhin davon aus, dass Ärzte und Psychiater besser über die eigene
Geschlechtsidentität befinden können als man selbst.
Adamietz hat über das „Geschlecht als Erwartung“ promoviert und ist Teil
eines Forscherteams an der Berliner Humboldt-Universität, das an einem
[2][Gutachten] arbeitet, im Auftrag des Bundesfamilienministeriums. Das
Thema: der Reformbedarf des Transsexuellengesetzes. „Es ist zu erwarten,
dass die Begutachtungspflicht abgeschafft wird“, sagt Adamietz.
Wie so ein Gutachten genau auszusehen hat, ist nicht geregelt, im Gesetz
steht nur, dass der Verfasser mit den „besonderen Problemen des
Transsexualismus ausreichend vertraut“ sein muss. Bezahlen muss es meist
der transsexuelle Mensch selbst – Adamietz schätzt die Kosten um
Durchschnitt auf jeweils 3.000 Euro. Dass es vorgeschrieben ist, samt
„Seelenstrip“, wie Adamietz das nennt, sei ein „Eingriff in die
Grundrechte“, sagt die Anwältin. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht das
Transsexuellengesetz schon mehrfach reformiert. Für „verfassungswidrig“
befunden haben die RichterInnen gleich mehrere der früheren Voraussetzungen
dafür, dass jemand einen neuen Vornamen im Pass eingetragen bekommt. Heute
muss man also kein Mindestalter mehr haben, nicht mehr sterilisiert sein
und geschieden, auch die geschlechtsangleichende Operation ist nicht mehr
Pflicht. Adamietz spricht von einem „Paradigmenwechsel“.
Dabei hat die Frage, was genau im Pass steht, große Folgen. Denn die
Krankenkasse von de Buer will die Operationen zur Geschlechtsangleichung
nur bezahlen, wenn im Pass auch Sybill Constance steht. Und nicht mehr
Gernot-Peter.
Genau das aber hat das Amtsgericht 2014 verweigert, und später auch das
Oberlandesgericht. Inzwischen hat de Buer mit ihrer Anwältin ein neues
Verfahren vor dem Amtsgericht angestrengt, diesmal mit zwei Gutachtern aus
Hamburg. Sie haben die Frage, ob sie Mann ist oder Frau eindeutig
beantwortet. Denn solange das Transsexuellengesetz noch nicht reformiert
ist, gibt es unter den Hamburger Gutachtern eine Vereinbarung,
Transsexuellen keine Ablehnungen zu schreiben, sagt Adamietz. Die seine
ohnedies selten: In einer Analyse von 670 Gutachten aus zehn Jahren hätten
sich gerade zwei Ablehnungen gefunden, so Adamietz. Schließlich lebe ja
auch nicht wieder als Mann, wer von einem Psychiater bescheinigt bekam,
vielleicht Transvestit zu sein.
Über ihre Anwältin sagt De Buer: „Wenn ich sie nicht hätte, gäbe es mich
heute nicht mehr.“ Und die sagt: Frau de Buer sei „in vielerlei Hinsicht
ein Sonderfall“. Weil sie nicht, wie manch andere, depressiv wurde, nicht
arbeitsunfähig, nicht suizidal. Sondern „in den Widerstand ging“, wie
Adamietz sagt. De Buer klagt, mal mit, mal ohne Anwältin, für den neuen
Namen im Pass, gegen die Krankenkasse, die die künstliche Vagina, die neue
Brust, die Bartepilation nicht bezahlen will.
Oder wegen Altersdiskriminierung, gegen eine Kneipe, in der de Buer,
gelernter Koch, im Service arbeiten wollte. Den ersten von drei Prozessen
verlor sie allerdings. Die Jura-Studentin verbucht das jetzt als
Lerneffekt.
9 May 2016
## LINKS
[1] https://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/tsg/gesamt.pdf
[2] http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/gleichstellung,did=215952.html
## AUTOREN
Jan Zier
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