# taz.de -- Anschlag auf Lokal La Belle vor 30 Jahren: Ein echter Geheimdienstk… | |
> Drei Tote, über 200 Verletzte: Der Anschlag an 5. April 1986 auf die | |
> Disko La Belle in Friedenau galt den USA. Libyen hatte seine Finger im | |
> Spiel – unter den Augen der Stasi. | |
Bild: Anschlagsziel Friedenau: 3 Menschen starben nach der Bombe auf die Disko … | |
Ein Freitagabend Anfang April 1986. Die überwiegend von schwarzen | |
US-Soldaten besuchte Tanzbar La Belle in der Hauptstraße 78 in Friedenau | |
war wie so häufig proppenvoll, als in der Nacht zum Samstag gegen 1.30 Uhr | |
am Rand der Tanzfläche ein Sprengsatz detonierte. Die beiden in Berlin | |
stationierten GIs Terrance Ford (21) und James Goins (25) kamen bei der | |
Explosion ums Leben, in den Trümmern starb auch die 28-jährige Nermin | |
Hannay. Mehr als 200 der Gäste wurden zum Teil schwer verletzt. | |
Der Bombenanschlag am 5. April 1986 war einer der schwersten, der jemals | |
gegen amerikanische Staatsangehörige in Deutschland verübt wurde. Nur | |
steckten dieses Mal keine deutschen Guerilleros dahinter. | |
Unmittelbar nach der Explosion machte die Regierung in Washington Libyen | |
für das Attentat verantwortlich. Zehn Tage später befahl US-Präsident | |
Ronald Reagan einen massiven Vergeltungsschlag gegen den damaligen | |
Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi. In den Morgenstunden des 15. April | |
1986 stiegen in Großbritannien und auf Flugzeugträgern im Mittelmeer 33 | |
Kampfjets auf – neben der libyschen Hauptstadt Tripolis wurde auch die | |
Hafenstadt Bengasi bombardiert. | |
Der Angriff dauerte 15 Minuten, dann lagen Flughäfen, Kasernen, aber auch | |
zivile Gebäude in Schutt und Asche. 36 Zivilisten wurden getötet. | |
Dass Libyen für den Anschlag in Berlin verantwortlich zeichnete, war lange | |
umstritten. Der einzige Hinweis, den Reagans Mitarbeiter der Öffentlichkeit | |
unmittelbar nach dem Attentat präsentierten, waren vom US-Geheimdienst NSA | |
aufgefangene Funksprüche, in denen dem libyschen Volksbüro in Ostberlin zur | |
erfolgreichen Durchführung des Attentates gratuliert worden sein soll – in | |
„naiver Verschlüsselung“, wie die Geheimdienstexperten behaupteten. Die | |
Beweise für die libysche Urheberschaft, erklärte Reagan in einer | |
Fernsehansprache, seien „unwiderlegbar“. Überzeugende Belege dafür blieb | |
der Präsident aber schuldig. | |
## Die DDR wusste mehr | |
Das sahen auch die Ermittler in Berlin so. Über Jahre favorisierten sie die | |
These, Syrien könne als Auftraggeber in Frage kommen, schlüssige Indizien | |
dafür fanden sie aber nicht. Erst die Öffnung der Stasi-Archive nach dem | |
Fall der Mauer brachte neue Ermittlungsansätze. Diese führten schließlich | |
1997 zum Prozess vor dem Berliner Landgericht. | |
Den Aufzeichnungen des DDR-Geheimdienstes zufolge ist das Attentat von | |
Mitarbeitern des libyschen Volksbüros geplant und koordiniert worden. Es | |
wurde unter den Augen der DDR-Staatssicherheit durchgeführt. Bis kurz vor | |
der Tat war die SED-Parteispitze über geplante Attentate im damaligen | |
Westberlin informiert – verhindert hat sie sie nicht. | |
Zweieinhalb Jahre nach Prozessbeginn und 14 Jahre nach dem Attentat gestand | |
überraschend der Angeklagte Ali Chanaa, der im palästinensischen | |
Flüchtlingslager Ain al-Helweh in der Nähe von Beirut aufwuchs, dass die | |
Bombe für den Anschlag in seiner Gegenwart von zwei seiner Mitangeklagten | |
zusammengebaut wurde: vom staatenlosen Palästinenser Yasser Chraidi, der | |
den Sprengstoff besorgt habe, und vom in Ostberlin akkreditierten libyschen | |
Botschaftsmitarbeiter Musbah Abulgasem Eter, der den Zeitzünder | |
beigesteuert haben soll. | |
Der damals 43-jährige Eter, der in einem früheren, aber später widerrufenen | |
Geständnis auch schon einmal den libyschen Geheimdienst als Auftraggeber | |
bezeichnet hatte, soll beim Zusammenbau des Sprengsatzes pathetisch erklärt | |
haben: „Dies ist die Antwort für die Amerikaner, ein Geschenk von Gaddafi | |
an Reagan.“ | |
Die beiden mitangeklagten Frauen, Verena Chanaa und Andrea H., sollen die | |
Bombe in die Diskothek gebracht haben. Allerdings soll nur Ali Chanaas | |
damalige Ehefrau Verena vom geplanten Attentat gewusst haben. Sie habe auch | |
den Zeitzünder aktiviert. | |
## Die Rolle der Geheimdienste | |
Wie ein dunkler Schatten lastete die Frage nach der Rolle der diversen | |
Geheimdienste auf dem Gerichtsverfahren. Ob Chraidi, Eter oder Chanaa – | |
alle hatten sie Kontakte zu diversen verfeindeten Diensten in Ost und West. | |
Ali Chanaa war im Ostteil der Mauerstadt vom Staatssicherheitsdienst als | |
Inoffizieller Mitarbeiter mit dem Decknamen „Alba“ angeworben worden. In | |
seiner zweieinhalbstündigen Aussage behauptete Chanaa, er habe die Stasi | |
etwa drei Stunden vor dem Attentat über den Bombenplan unterrichtet. Zeit | |
genug wäre also gewesen, den Westbehörden anonym einen Tipp zukommen zu | |
lassen. | |
Diese Aussage ließ sich allerdings nicht erhärten. Zum einen brach die | |
Berichterstattung des IM „Alba“ ausweislich der überlieferten Stasiakten | |
wenige Tage vor dem Anschlag abrupt ab. Zum anderen behauptete Chanaa, | |
nicht seinen Führungsoffizier, sondern den Geheimdienst über eine | |
„Notfallnummer“ verständigt zu haben – Gesprächspartner unbekannt. | |
Weitgehend ungeklärt blieb aber die Rolle westlicher Geheimdienste. Im Juli | |
1990 fand das Magazin Der Spiegel in einem Stasi-Dossier den Hinweis, | |
wonach die CIA durch einen Doppelagenten über die Anschlagsvorbereitungen | |
informiert gewesen sein könnte: durch eben den IM „Alba“. | |
Die Staatssicherheit hatte schon vor dem Anschlag den Verdacht, „Alba“ | |
könne auch auf einer anderen als der eigenen Gehaltsliste stehen. Als die | |
Gruppe um Chraidi Ende März 1986 einen ersten Anlauf für einen Anschlag auf | |
eine Diskothek machte, stieß sie zu ihrer Überraschung auf eine auffällig | |
hohe Polizeipräsenz im Umfeld des Tanzlokals. Das Vorhaben wurde deshalb | |
verschoben. Die Stasi vermutete den Akten zufolge, die Informationen | |
könnten von „Alba“ „abgeflossen“ sein. | |
Im November 2001 verurteilte das Landgericht schließlich vier der | |
Angeklagten. Verena Chanaa erhielt als Hauptschuldige wegen dreifachen | |
Mordes sowie versuchten Mordes 14 Jahren Haft. Sie hatte die Bombe gelegt, | |
nach Auffassung der Richter jedoch im Glauben, es handele sich bei dem | |
Sprengkörper lediglich um eine Rauchbombe. (Zitat: „Ich dachte nur, dabei | |
zu helfen, den Amerikanern einen Schrecken einzujagen.“) Ihr Tatmotiv dem | |
Gericht zufolge: Sie soll gehofft haben, dadurch die Gunst von Ali Chanaa, | |
mit dem sie seit 1984 in Scheidung lebte, zurückzugewinnen. | |
Wegen Beihilfe zu den Morden wurden Yasser Chraidi, Musbah Eter und Ali | |
Chanaa zu 14 und 12 Jahren Gefängnis verurteilt. Die fünfte Angeklagte | |
Andrea H. (die Schwester von Verena Chanaa) wurde freigesprochen. | |
Die Staatsanwaltschaft ging gegen das Urteil in Revision, um eine | |
lebenslängliche Gefängnisstrafe zu erreichen. Ende Juni 2004 bestätigte | |
jedoch der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes die Urteile; sie wurden | |
damit rechtskräftig. | |
## Libyen trägt Mitschuld | |
Die Karlsruher Richter gaben dem Staat Libyen eine Mitverantwortung an dem | |
Attentat. In der Urteilsbegründung hieß es, beim Strafmaß sei zu | |
berücksichtigen, „dass nicht die eigentlichen Haupttäter – libysche | |
Drahtzieher und Hintermänner – vor Gericht standen“. Nach Überzeugung des | |
Gerichts hatten Beamte Libyens den Anschlag geplant und den Sprengstoff | |
nach Berlin geschafft. | |
Am 17. August 2003 signalisierte Libyen, dass es bereit sei, in | |
Verhandlungen für Kompensationszahlungen für die nicht-amerikanischen Opfer | |
einzutreten. Ein Jahr später, am 10. August 2004, willigte Libyen | |
schließlich ein, 35 Millionen US-Dollar über eine Stiftung an die Opfer zu | |
zahlen, es gab damit indirekt 18 Jahre nach der Attentat die Täterschaft | |
zu. | |
Ohne den Fall der Mauer und dem damit einhergehenden Ende der | |
Blockkonfrontation und der Offenlegung ostdeutscher Geheimdienstakten wäre | |
es so weit kaum gekommen. | |
3 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Wolfgang Gast | |
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