# taz.de -- 30.000 Stimmen für Volksbegehren: Tegels Zukunft liegt in den Wolk… | |
> Das Volksbegehren der FDP-lastigen Initiative „Berlin braucht Tegel“ kann | |
> kommen. Und so rechtssicher, wie der Senat vorgibt, ist die Schließung | |
> des Airports nicht. | |
Bild: Nicht alle lieben Tegel – einige aber schon | |
Ganz hinten in der Alt-Berliner Kneipe „Zur letzten Instanz“ an der | |
Parochialkirche in Mitte führt eine Wendeltreppe in einen engen Gastraum im | |
ersten Stock. Hier sitzen am Mittwochvormittag zwischen viel dunklem Holz | |
und Stofftapeten drei Männer mit dynamischer Frisur und offenem Hemdkragen | |
unterm Sakko, vor sich auf dem Tisch drei Aktenordner. Die enthalten | |
Unterschriften für den Antrag auf ein Volksbegehren der Initiative „Berlin | |
braucht Tegel“ und die sollen anschließend bei der Senatsinnenverwaltung um | |
die Ecke abgegeben werden. | |
Das Ziel, um das es hier geht: Der Flughafen Tegel darf nicht schließen, | |
selbst wenn der BER in Schönefeld irgendwann in Betrieb gehen sollte. | |
Das Setting wirkt etwas halbseiden, aber die Männer haben die Zahlen auf | |
ihrer Seite. „Wir haben 30.000 Unterschriften in vier Monaten gesammelt“, | |
erklärt Sebastian Czaja, Generalsekretär der Berliner FDP und Bruder von | |
Sozialsenator Mario Czaja (CDU), „das macht uns stolz.“ In einer möglichen | |
Offenhaltung von Tegel sieht er eine „Riesenchance in einer wachsenden | |
Stadt“. | |
Sein Parteifreund Marcel Luthe sekundiert: „Die Berliner haben verstanden, | |
dass Tegel gebraucht wird.“ Er glaubt, dass das eigentliche Volksbegehren, | |
bei dem 174.000 Unterschriften zusammenkommen müssen, ebenfalls erfolgreich | |
verlaufen würde: „Da bin ich sehr positiv.“ | |
## Dahinter steckt die FDP | |
Warum die von Freidemokraten dominierte Initiative will, dass in Tegel auch | |
weiterhin die Turbinen dröhnen, erklärt sie auf ihrer Website: Der BER mit | |
einer maximalen Kapazität von 27 Millionen Passagieren im Jahr werde schon | |
bei seiner Eröffnung zu klein sein. Außerdem würden zwei Flughäfen den | |
Zubringerverkehr besser über die Stadt verteilen, ein Zweitflughafen biete | |
einer Metropole mehr Sicherheit „in Notfällen“, und im Übrigen blieben die | |
Berliner Taxifahrer konkurrenzfähig – weil die in Schönefeld gegenüber den | |
Brandenburger Unternehmern mit einer geringeren Gewerbesteuer im Nachteil | |
sind. | |
Alles längst kalter Kaffee, könnte man meinen, die Schließung von Tegel ist | |
ja gar nicht mehr umkehrbar – und so argumentiert auch der Senat. | |
Bei näherer Betrachtung ist die Rechtslage dann aber gar nicht so | |
eindeutig. Die Tegel-Initiative beruft sich auf ein Gutachten, das 2013 von | |
den Wissenschaftlichen Diensten des Bundestags vorgelegt wurde und nach dem | |
die entscheidenden Verwaltungsakte – der Widerruf der Betriebsgenehmigung | |
und die Aufhebung der Planfeststellung – von der Verwaltung im Prinzip | |
wieder kassiert werden könnten. Jedenfalls wenn die Situation es erfordere. | |
Stimmt nicht, heißt es aus dem Haus von Stadtentwicklungssenator Andreas | |
Geisel (SPD), allerdings klingt die Stellungnahme an entscheidender Stelle | |
merkwürdig vage: „Für eine – vom Senat nicht gewünschte – | |
Wiederinbetriebnahme Tegels brauchte man u. E. einen | |
Planfeststellungsbeschluss.“ U. E., „unseres Erachtens“, so eine | |
Formulierung spricht schon mal nicht für juristische Eindeutigkeit. | |
Auch den Verweis auf die „gültigen gesetzlichen Vorgaben der | |
Landesplanung“, in denen sich Berlin und Brandenburg „auf das Konzept des | |
Single Airports“ festgelegt hätten, kontert die Tegel-Initiative locker. | |
Sie verweist darauf, dass im gemeinsamen Landesentwicklungsprogramm | |
lediglich davon die Rede ist, den Luftverkehr „möglichst auf einen | |
Flughafen“ zu konzentrieren, wenn damit die nötigen Luftverkehrskapazitäten | |
in der Hauptstadtregion abgedeckt seien. | |
## Trotzige Antwort des Senats | |
Die Sachlage ist also kompliziert. Die Antwort, die Staatssekretär | |
Engelbert Lütke Daldrup im Februar auf eine entsprechende Anfrage des | |
CDU-Abgeordneten Stefan Evers gab, klingt schon fast trotzig: Ein | |
Volksentscheid über Tegel, sollte er denn jemals stattfinden, stelle für | |
den Senat nur eine Empfehlung dar. „Er wäre nicht bindend.“ Das mag auf den | |
jetzigen Appellcharakter des Antrags zutreffen, die drei Männer mit den | |
offenen Hemdkragen deuten aber am Mittwoch schon an, man könne durchaus | |
auch noch einen Gesetzentwurf nachlegen. | |
Dass die hypothetische Offenhaltung von Tegel wirtschaftlich überhaupt | |
nicht darstellbar wäre, zumal Tegel einen extrem hohen Sanierungsbedarf | |
angestaut hat, sieht man bei der Initiative nicht – oder jedenfalls nicht | |
auf lange Sicht. | |
Kurzfristig, das räumt Sebastian Czaja ein, ließen sich zwei parallele | |
Flughäfen sicherlich nicht gewinnbringend betreiben. Aber Berlin wachse nun | |
mal, und mehr offene Slots für Flieger zögen ja auch wieder Airlines an, | |
und die Branche könne weiter boomen. | |
A propos Wachstum: Ist das Ganze nicht bloß eine Frischzellenkur für die | |
FDP, die in diesem Herbst nach einer Wahlperiode parlamentarischer | |
Abstinenz endlich wieder ins Abgeordnetenhaus einziehen will? Nein, findet | |
Czaja, das könne man auf keinen Fall so sagen: „Wir sind nicht die | |
Flughafenpartei.“ Auch wenn „nicht auszuschließen“ sei, dass die Aktion … | |
FDP ein „ein wenig Öffentlichkeit“ verschaffe. | |
Für den Fall, dass die Tegel-Nummer zündet, steht er jedenfalls bereit: „Um | |
das Thema im Abgeordnetenhaus voranzutreiben, ziehe ich mir gern die Jacke | |
an.“ | |
Update 01.04.2016: | |
Johannes Hauenstein, Flughafenkritiker und langjähriger Sprecher der | |
Bürgerinitiative gegen das Luftkreuz auf Stadtflughäfen, wirft „Berlin | |
braucht Tegel“ mangelnde Rechenkenntnisse vor. Wenn die | |
Pro-Tegel-Initiative mit der zu geringen Kapazität des BER argumentiere, | |
ignoriere sie die Tatsache, dass der ursprünglich für 5,5 Millionen | |
Passagiere pro Jahr geplante Airport Tegel nach mehreren behelfsmäßigen | |
Erweiterungen eine Nennkapazität von ca. 8 Millionen Passagieren habe – im | |
Jahr 2015 seien jedoch mehr als 20 Millionen abgefertigt worden. Analog | |
lasse sich die Kapazität des BER noch deutlich steigern, Tegel als | |
Zweitflughafen sei überflüssig. | |
30 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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