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# taz.de -- Flüchtlinge in Griechenland: Ein Traum zerplatzt wie ein Luftballon
> Weil die Grenzen fast dicht sind, stranden immer mehr Flüchtlinge in
> Athen. Einige von ihnen hoffen trotzdem noch auf Europa.
Bild: Flüchtlinge auf dem Victoria-Platz in Athen.
Athen taz | „Ich weiß nicht, wie es jetzt weitergehen soll“, sagt Yassin,
der seinen Nachnamen lieber nicht nennen will, und nestelt aufgebracht am
Reißverschluss seiner dunkelblauen Regenjacke. Der 21-Jährige ist mit
seiner Frau vor gut einer Woche in Griechenland angekommen.
Ein Bekannter, der auch auf dem Victoriaplatz im Freien kampiert und
ebenfalls seit knapp einer Woche in Griechenland ist, hat ihm eben die
Nachricht überbracht, die schon seit längerem kursiert: Dass die Grenze
komplett dicht sei und dass auch Syrer und Iraker so gut wie gar nicht mehr
nach Mazedonien gelassen würden. Afghanen hätten sowieso keine Chance mehr.
Aus Kabul seien sie geflohen, sagt er und zeigt auf seine Frau, die auf der
Grünfläche des Victoriaplatzes auf einer grauen Decke sitzt. Auf dem Platz
treffen sich die Flüchtlinge, die keine Chance mehr darauf haben, über die
Grenze gelassen zu werden. Es sind hauptsächlich Afghanen, aber auch
zahlreiche Menschen aus Pakistan, dem Iran oder Marokko.
Rund 26.000 Flüchtlinge und Immigranten halten sich aktuell in ganz
Griechenland auf, gab Jannis Mouzalas, Minister für Migration am Donnerstag
auf einer Pressekonferenz bekannt. Die griechische Regierung habe nun eine
Koordinierungszentrale für den weiteren Umgang mit der Flüchtlingskrise
gebildet. Vertreter von sechs Ministerien sprächen sich dort täglich ab, um
ihre Arbeit besser koordinieren zu können. „Denn die Grenzen sind als
geschlossen zu betrachten“, so der Minister. Die wenigen hundert Menschen,
die täglich passieren dürften, fielen bei der enormen Anzahl von
Flüchtlingen und Migranten nicht ins Gewicht.
„Wir haben keine Chance, weiter zu kommen, wird uns jetzt ständig gesagt“,
so Yassin. Doch in Griechenland bleiben will er nicht. „Hier haben die
Menschen doch selbst wirtschaftliche Probleme“, sagt er mit etwas ruhigerer
Stimme. „Da will man uns doch erst recht nicht haben.“
## „Wir mussten so viel laufen“
Der Weg bis hierher führte Yassin und seine Frau über Pakistan, durch die
Türkei übers Mittelmeer bis nach Griechenland. „Wir mussten so viel
laufen“, sagt Yassin lachend. „Unendlich weit war das, und wir hatten weder
genug Nahrung noch Wasser“. Er hält kurz inne, lächelt wieder, legt den
Kopf in den Nacken und blinzelt in die Sonne.
Eiszapfen hätten sie auf ihrem Weg durch die Türkei aufgehoben und mit dem
Atem gewärmt, um sie zum Schmelzen zu bringen. So hätten sie wenigstens
etwas Wasser gehabt, berichtet er. „Meine Frau und ich haben alles
riskiert, denn das ist kein Leben in Afghanistan“, sagt Yassin.
Ja, die Armut. Aber vor allem die Bedrohung durch die Taliban und auch
durch Daesh (IS). Er selbst sei Automechaniker. „Damit kann ich mich doch
auch ohne Sprache überall nützlich machen“, sagt der 21-Jährige. Er wolle
ein aufrichtiger Bürger Europas sein.
Eine Frau Ende 70 kommt mit einem kleinen Ziehwagen langsam auf den Platz
zu. Sie bleibt an einer der Grünflächen stehen, öffnet den Reißverschluss
des Wagens. Sofort bildet sich eine aufgeregte Menschentraube rund um die
Frau. Sie ruft ein paar Worte auf Griechisch, um die Menschen zu beruhigen.
Dann holt sie ein Sandwich nach dem anderen aus dem Wagen und verteilt sie
an die immer näher heran drängende Menschenmasse. Ein paar Minuten später
sind alle Brote verteilt. „Die habe ich heute früh alle selbst geschmiert“,
sagt sie. Das könne sie hier nicht einfach so mit ansehen.
## Einfach nur Menschlichkeit
Sie wohne gleich um die Ecke. Außerdem komme ihre Mutter aus Kleinasien.
Damals, als die kleinasiatische Katastrophe losbrach, sei ihre Mutter auch
nach Griechenland geflüchtet. Dort hätten ihr damals ein paar gute Menschen
geholfen. Es gehe jetzt einfach um Menschlichkeit.
„Ja, Griechenland geht es selbst schlecht, und mir wurde meine Rente stark
gekürzt“, sagt die Frau.“ Aber sie habe wenigstens ein Dach über dem Kopf.
„Ich brauche nicht viel zum Leben, da kann ich ein paar Brote abgeben“,
sagt sie und lacht. Morgen wird sie wieder Sandwiches herbringen.
„Ohne die Hilfe der griechischen Bevölkerung wären wir verloren“, sagt
Mohammad. Er hat eines der Sandwiches ergattert. Auch er möchte seinen
Nachnamen nicht nennen. Mohammed kommt aus Afghanistan und flüchtete mit
seiner Familie vor der Taliban. Er zeigt auf eine Bank, um die sich eine
Traube von Kindern drängt. „Meine kleine Tochter bekommt dort gerade einen
Luftballon“, strahlt der 48-jährige, der in Afghanistan als Kunstlehrer
arbeitete. Die bunten Ballons seien eine großartige Idee, um die Kinder ein
wenig abzulenken.
Zwei junge Griechinnen drehen die länglichen Ballons nach und nach in
unterschiedliche Formen und überreichen sie den Kindern zum Spielen.
Mohammads kleine Tochter hat einen blauen, zum Pudelhund gedrehten Ballon
bekommen. Vater und Tochter strahlen über das ganze Gesicht. „Ich hoffe
sehr, dass sich Europa doch noch bekennt und uns weiterreisen lässt“, sagt
Mohammad. „Wenn nicht für die Frauen und Männer, dann wenigstens für die
Kinder.“
5 Mar 2016
## AUTOREN
Theodora Mavropoulos
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Athen
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