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# taz.de -- Flüchtlinge in Griechenland: Mutterseelenallein in Athen
> Manche Familien werden bei der Flucht auseinandergerissen. Zahlreiche
> Jugendliche landen dann in Athen und sitzen dort fest.
Bild: 3. März 2016: Auf dem Victoriaplatz in Athen versammeln sich täglich hu…
Athen taz | Wenn Ebrahim Hosseinpour zum Victoriaplatz geht, ist er stets
in Begleitung einer Kollegin. Täglich versammeln sich hier Hunderte von
Flüchtlingen, die meisten davon aus Afghanistan, Syrien und Irak. „Damit
ich nicht für einen Schleuser gehalten werde“, sagt Hosseinpour und lacht
bitter auf. Von denen gäbe es jede Menge hier. Genau studiert Hosseinpour
die Gesichter, schätzt das Alter der Flüchtlinge ab. Nach einer Weile geht
er auf zwei junge Männer im Teenageralter zu, die auf einer der Bänke
sitzen.
Ebrahim Hosseinpour arbeitet für die dänische Organisation Faros – das Wort
bedeutet im Griechischen Leuchtturm. Die NGO kümmert sich um
Flüchtlingskinder und -jugendliche, die in Athen gestrandet sind.
Finanziert wird Faros aus privaten Spenden, von der evangelischen Kirche
und seit Kurzem auch von der Stavros-Niarchos-Stiftung.
Hosseinpour ist vor 17 Jahren aus dem Iran nach Griechenland gekommen. „Ich
habe mich zunehmend für den christlichen Glauben interessiert“, sagt der
Mitte 40-Jährige. „Das konnte ich im Iran nicht ausleben.“ Muslime, die zum
Christentum konvertieren, gelten in der islamischen Republik Iran als
rechtlos und werden bedroht. Und so beschloss Hosseinpour, seine Heimat zu
verlassen. „Eigentlich wollte ich weiter nach Nordeuropa“, sagt er und
lächelt. Doch dann hat er sich in eine Griechin verliebt. Die beiden
heirateten und haben heute einen zwölfjährigen Sohn. Hosseinpours Gesicht
verdunkelt sich. „Um so schlimmer ist es für mich, wenn ich die Kinder hier
sehe, die allein unterwegs sind – die sind kaum älter als mein Junge.“
Hosseinpour hat schon früher nebenbei als Streetworker für andere
Organisationen gearbeitet, unentgeltlich. „Ich wollte unbedingt etwas von
der Hilfe weitergeben, die ich damals erfahren habe, als ich hier ganz
alleine ankam.“ Jetzt wird er als Streetworker bezahlt.
## Zusammen kochen und Tischtennis spielen
Kinder und Jugendliche, die er anspricht wie nun die beiden Jungen auf der
Bank, können täglich ins Faros-Haus nahe des Victoriaplatzes kommen. Sie
kochen dort zusammen, es gibt eine Tischtennisplatte und Sitzecken zum
Verweilen. „Ich selbst gebe Nähstunden“, sagt Hosseinpour. „Wir haben vi…
professionelle Nähmaschinen im Haus.“ Vor ein paar Jahren hatte er selbst
eine Schneiderei. „Doch die Fabrikklamotten wurden immer billiger. Sodass
kaum noch jemand zu mir kam“, seufzt er. Er musste sein Geschäft schließen.
Umso mehr freut ihn, dass er bei Faros einen Nähkurs anbieten kann. So
können die Minderjährigen hier etwas lernen, was sie überall auf der Welt
anwenden können.
„Viele bleiben den ganzen Tag und suchen einfach das Gespräch mit uns. Dann
erzählen sie uns ihre Geschichte“, sagt Hosseinpour. Bei schwer
traumatisierten Jugendlichen arbeitet Faros mit Psychologen zusammen.
Endlich sei jemand da, der in Ruhe zuhöre. Das sei wichtig, denn die
meisten von ihnen hätten Schlimmes erlebt – in ihrer Heimat, wo Krieg,
Terror, Ausgrenzung und Armut herrschen. Oder aber auf der Flucht: Einige
haben die Eltern bei der Überfahrt übers Mittelmeer verloren. So werden
viele Familien auseinandergerissen, weil der Schleuser plötzlich „Stop“
ruft und das Boot für voll erklärt. Die Kinder und Jugendlichen, viele
zwischen 14 und 16, warten dann in Athen auf die Ankunft ihrer Angehörigen.
## Pass verschwunden
Hosseinpour bleibt vor der Sitzbank auf dem Victoriaplatz stehen und fragt
die beiden Teenager, fragt auf Farsi, woher sie kommen und wie alt sie
sind. Aus Afghanistan. 16 und 17, antworten sie. Ja, sie seien allein
unterwegs, ihre Familien noch in Afghanistan. Hosseinpour überreicht den
beiden einen Flyer mit einer Wegbeschreibung zum Haus von Faros. Sie kämen
nachher sehr gerne vorbei, sagen die beiden. Sie warteten bloß noch auf
einen Freund.
Hosseinpour geht auf die andere Seite des Platzes, spricht wieder einen
jungen Mann an. Reza* ist schon 18. Trotzdem bietet Hosseinpour an, ihn zum
Haus Faros zu begleiten. Denn der junge Mann sieht unendlich müde aus. Seit
seit zwei Monaten sitzt der Afghane in Athen fest. „Ich bin bis zur
mazedonischen Grenze gekommen“, erzählt er leise. „Sogar über die Grenze
kam ich.“ Dort wollten Grenzsoldaten ihn und zehn andere Flüchtlinge
nochmals kontrollieren. „Wir mussten ihnen unsere Papiere geben und lange
warten“, erinnert sich der junge Mann in Jeans und Kapuzenjacke. Die
Soldaten kamen, verlasen die Namen und gaben den Flüchtlingen ihre Papiere
zurück. „Nur mein Name fiel nicht“, sagt Reza.
Als er die Grenzsoldaten nach seinen Papieren fragte, hätten diese nur mit
den Schultern gezuckt. Ohne diese durfte er nicht weiterreisen. „Mein
Rucksack lag noch in einem der Aufenthaltszelte.“ Reza holt tief Luft,
reißt sich zusammen. Er durfte ihn nicht holen. Vom griechischen Grenzort
Idomeni wurde er in einem Bus zurück nach Athen gesetzt. Jetzt sind die
Grenzen für Afghanen dicht.
Husseinpour seufzt. Schon öfters haben ihm Flüchtlinge dieses Szenario
geschildert. Er geleitet Reza die paar Stufen zum Eingang des Faros-Hauses
hoch. Hier bekommt er erst einmal eine Schüssel Reis mit Soße.
## Minderjährig nicht gleich minderjährig
„Wäre Reza noch minderjährig, dann sähe die ganze Sache rechtlich besser
aus“, sagt Christiana Kyrkou. Die 28-Jährige Finanzmanagerin der NGO sitzt
in einem Nebenzimmer, das provisorisch als Büro dient. Faros ist vor ein
paar Monaten in ein größeres Haus gezogen. „Wir möchten das Angebot auf
Dauer nicht nur auf die Tagesbetreuung beschränken, sondern auch
Schlafräume für die Kinder und Jugendlichen einrichten“, sagt Kyrkou.
„Viele der minderjährigen Flüchtlinge wissen nichts von dem Gesetz, das
registrierten Minderjährigen in der EU ein Recht auf eine sichere
Unterkunft einräumt.“
Doch nicht alle Minderjährigen gelten automatisch als minderjährige
Flüchtlinge, erklärt eine Sprecherin des UN-Hilfswerk UNHCR. Nur wenn sie
registriert werden, fallen sie unter diesen Terminus. Danach kommt es auf
die sogenannten persönlichen Merkmale an, welche Schutzkategorie die
Minderjährigen genießen. Kriegsflüchtlinge haben Anspruch auf Asyl und
können in ein Drittland vermittelt werden.
Flüchtlinge aus Krisengebieten, wie zum Beispiel Afghanistan, fallen nicht
automatisch unter diese Kategorie. Zunächst versucht man festzustellen, aus
welcher Region sie stammen oder ob sie aus religiösen Gründen verfolgt
werden. Diese Minderjährigen haben keinen Anspruch auf eine geregelte
Weiterführung in ein Drittland. Nach EU-Gesetz dürfen sie aber auch nicht
abgeschoben werden. Griechenland muss sie dann aufnehmen.
„Leider ist das Prozedere durch die Bürokratie sehr langwierig“, bestätigt
Christiana Kyrkou im Faros-Büro. „Für die Kinder und Jugendlichen ist das
eine Tortur.“ Die eh schon traumatisierten jungen Menschen warten oft mehr
als zwei Monate, bis sie Gewissheit haben, ob und wann sie ausreisen
können. Falls ja, müssen die Reisekosten finanziert werden durch NGOs oder
Privatpersonen. „Der griechische Staat hat das Geld dafür einfach nicht“,
seufzt Kyrkou. Außerdem braucht man eine offizielle Begleitperson.
## Leichte Beute
Oft warten die Behörden daher, bis sie bis zu zehn Kinder für die
Weiterreise zusammen haben. Kyrkou lächelt leise. Das kann bedeuten, dass
ein Kind weitere zwei bis vier Monate festsitzt. „Es fängt an, dir zu
misstrauen“, erklärt Kyrkou. Die sonst sehr sanftmütige Frau wird auf
einmal sehr energisch. „Und so kommt es, dass die Jugendlichen abhauen und
sich auf eigene Faust durchschlagen – den illegalen Weg wählen“, sagt sie.
„Die Kinder und Jugendlichen sind dann leichte Beute für Schlepper oder
kriminelle Banden.“
Gleich hinter dem Eingangsbereich von Faros steht eine Tischtennisplatte.
Der 15-jährige Ali leistet sich konzentriert ein paar Abschläge mit einem
gleichaltrigen Jungen. Der Ball rollt ins Nebenzimmer. Die Jungen lachen.
Ali ist seit ein paar Wochen in Athen.
Auch er traf die Faros-Streetworker am Victoriaplatz. „Ich komme aus Kabul
in Afghanistan“, sagt er. Ja, er sei mit seiner Familie gemeinsam
losgegangen. Doch unterwegs wurden sie getrennt. Er stockt. Vielleicht wird
er irgendwann erzählen, was passiert ist. Sein Gesicht hellt sich auf. Ein
Familienmitglied sei bereits in Deutschland. „Dort will ich auch hin“, sagt
Ali. „Möglichst schnell!“ Er hat gute Chancen. Denn wenn ein
Familienmitglied bereits Asyl in einem Drittstaat bekommen hat, ist die
Familienzusammenführung einfacher.
## Langes Prozedere
„Doch je länger das Prozedere für die legale Weiterreise dauert, umso
schwieriger ist es, den jungen Menschen klarzumachen, dass es hier um ihre
Sicherheit geht“, sagt Kyrkou. Besonders in den letzten Wochen hat sich die
Situation dramatisch verschärft. Natürlich bekommen das die jungen
Flüchtlinge über die sozialen Netzwerke mit. „Und natürlich machen sie sich
Sorgen, dass es nicht mehr weitergeht und sie ihre Verwandten nicht finden
werden“, erklärt die Faros-Mitarbeiterin.
Der 13-jährige Rafid steht am Rande der Tischtennisplatte und schaut den
beiden Älteren beim Spielen zu. Auch er ist aus Afghanistan, ganz allein
wurde er losgeschickt. „Taliban“, sagt er leise. Nein, er habe niemanden im
Ausland. Eigentlich sollte er weiter nach Deutschland reisen. Zahlreiche
Familien schicken ihre Kinder vor, die sie dann nachholen sollen. Eine
enorme Belastung für die Kinder. Doch der Junge wird vermutlich in
Griechenland bleiben müssen. Sobald das klar ist, wird man eine Familie für
ihn suchen.
Ebahim Hosseinpour macht sich nochmals auf den Weg zum Victoriaplatz.
Mehrmals täglich schauen er und seine Kollegen dort vorbei und versuchen
die Minderjährigen vor dem Weg in den Untergrund Europas zu bewahren.
*Die Namen der Minderjährigen wurden zu ihrem Schutz geändert.
11 Mar 2016
## AUTOREN
Theodora Mavropoulos
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