# taz.de -- Jochen König über Elternschaft: „Mit Vätern kann ich kaum rede… | |
> Seine Tochter Fritzi nennt ihn Mama und Papa. Das ist ungewöhnlich. Aber | |
> Jochen König fand das gut. Mit den Zweimonatspapis kann er nichts | |
> anfangen. | |
Bild: Wer betreut das Kind? Einfache Frage, komplizierte Antwort | |
taz: Herr König, Sie haben zwei Töchter. Was sind Sie für die beiden – | |
Vater oder Mutter? | |
Jochen König: Die meisten würden sagen, ich bin der Vater dieser Kinder. | |
Aber in mancherlei Hinsicht habe ich nun mal die Mutterrolle. Ich bin für | |
meine Tochter Fritzi die Hauptbezugsperson, die im Alltag da ist, die | |
tröstet und sie ins Bett bringt. Deswegen sagt Fritzi Mama zu mir – wie | |
alle Kinder die Person nennen, die diese Rolle einnimmt. | |
Wie kommt es, dass das in Ihrer Familie Sie sind? | |
Fritzi hat von Anfang an bei mir gewohnt, mit ihrer Mutter habe ich nie | |
zusammengewohnt. Sie war damals gerade mit dem Studium fertig, ich hingegen | |
hatte keine Lust mehr auf Lohnarbeit und Lust, mit dem Kind zu Hause zu | |
bleiben. Aber natürlich haben auch feministische Überlegungen eine Rolle | |
gespielt. Nur weil es diese Rollenzwänge scheinbar gibt, wollten wir nicht | |
auch so leben. | |
Und da haben Sie die Zwänge einfach über Bord geworfen? | |
Auch ich bin mit einer klassischen Vorstellung von Familie aufgewachsen. | |
Ich habe aber auch schon immer gesehen, dass diese nicht alle Menschen | |
glücklich macht. Väter sind oft unzufrieden, weil sie gerne mehr Zeit mit | |
den Kindern verbringen würden. Mütter sind manchmal unzufrieden, weil ihnen | |
so wenig Zeit und Freiheit für anderes bleibt. Ja, irgendwie war es für | |
mich eine Befreiung, eher danach zu schauen, was ich eigentlich will, als | |
danach, was die Gesellschaft von mir erwartet. | |
Fritzi ist also zu Ihnen gezogen, Ihre Freundin ist in ihrer Wohnung | |
geblieben. Warum nicht eine Fifty-fifty-Aufteilung? | |
Für mich geht es bei gleichberechtigter Elternschaft nicht darum, dass jede | |
Person dieselbe Anzahl von Windeln wechseln muss. Es sollten alle | |
beteiligten Parteien die Freiheit haben, zu tun, worauf sie Lust haben. | |
Hat das immer geklappt? | |
Grundsätzlich würde ich sagen, ja, klar, aus dem Kind ist ja bisher | |
einigermaßen was geworden. Aber natürlich war es für mich auch schwierig. | |
Dinge anders zu machen, ohne wirkliche Vorbilder zu haben, ist nicht immer | |
das Einfachste. | |
Was war für Sie als Vater denn anders als für eine Mutter? | |
Ich glaube, eigentlich war es gar nicht so anders. Ich verstehe mich total | |
gut mit anderen Müttern, weil wir exakt dieselben Probleme haben. Das sind | |
keine Geschlechterprobleme, sondern sie hängen nun mal mit der Rolle | |
zusammen. Ich war unausgeschlafen, habe mir wegen irgendwelcher | |
Kleinigkeiten Sorgen um das kleine Baby gemacht und wusste nicht, was | |
dieses Kind jetzt hat und ob es todkrank ist oder nicht – da ging es mir | |
genauso wie anderen Müttern auch. | |
Wie wird Ihnen als sorgendem Vater begegnet? | |
Vor allem positiv. Alle finden es unglaublich toll, dass ein Vater sich so | |
engagiert. Mir wird auf die Schulter geklopft, alle loben mich für Dinge, | |
die Hunderttausende Mütter auch tun. Die bekommen aber kein Lob, weil es | |
von ihnen so selbstverständlich erwartet wird. Das ist angeblich ihre | |
Aufgabe, das, wofür sie auf dieser Welt sind. | |
Sie haben sich bewusst für die Mutterrolle entschieden, Fritzis Mutter | |
entschied sich dagegen. Wie ist es ihr ergangen? | |
Genau wie ich das ganze Lob abkriege, hat sie das Unverständnis abbekommen. | |
Wie kann es sein, dass sie ihr Kind alleinlässt – allein bei mir, | |
wohlgemerkt. Weil Fritzi bei mir gewohnt hat, hat ihre Mutter nicht lange | |
gestillt. Dass ein Vater das Kind mit der Flasche füttert, während die | |
Mutter danebensitzt, hat oft große Empörung hervorgerufen. | |
Was hat sich in Ihrem Leben durch die Vaterschaft verändert? | |
Ich bin wirklich nicht naiv an das Vatersein herangegangen. Aber wie krass | |
dieser Einschnitt in das eigene Leben ist, hat mich schon überrascht. | |
Monatelang nicht wirklich schlafen können, diese ganzen Sorgen, die man | |
sich macht – es wird nicht so viel darüber gesprochen, was für eine große | |
Belastung das sein kann. Allerdings betrifft mich das ja nicht, weil ich | |
ein Vater bin, sondern weil ich in der Rolle des sorgenden Elternteils bin. | |
Immer mehr Väter nehmen Elternzeit. Es geht also bergauf, oder? | |
Es gibt auf jeden Fall eine Entwicklung. Das ist aber nicht die große, | |
essenzielle Veränderung, als die es manchmal dargestellt wird. Der Vater | |
nimmt die zwei Vätermonate, den Rest der Zeit ist wie selbstverständlich | |
die Mutter die Person, die zu Hause bleibt und die ganze Last zu tragen | |
hat. Am Ende übernimmt der Vater die Eingewöhnung in den Kindergarten und | |
damit den ersten Kontakt zur Öffentlichkeit. Die klassische | |
Rollenaufteilung. | |
Die Väter müssen also nicht so viel aufgeben wie die Mütter. | |
Genau. In Prenzlauer Berg, wo viele Familien mit Kindern leben und der zum | |
Inbegriff familiärer Opulenz geworden ist, gibt es ein Väterzentrum mit | |
Frühstückscafé. Die Gespräche drehen sich dort darum: was der Chef dazu | |
gesagt hat, dass sie für zwei Monate aussteigen, oder um die Freizeit, die | |
sie immer noch haben, weil die Frau trotz allem die meiste Zeit das Kind | |
übernimmt. Oder sie erzählen, dass sie auf dem Sofa schlafen, damit sie | |
nachts nicht geweckt werden – während die Mütter schlaflose Nächte haben. | |
Meine Sorgen waren völlig jenseits der Vorstellungskraft der meisten Väter, | |
die sonst so da waren. Mit Vätern kann ich eigentlich kaum reden. | |
Oft ist die ökonomische Situation der Grund dafür, dass die Väter | |
weiterarbeiten. Männer verdienen häufig immer noch mehr als ihre | |
Partnerinnen. | |
Es müssen in jedem Fall finanzielle Abstriche gemacht werden, egal wer zu | |
Hause bleibt. Aber Väter sind nicht bereit, ihre Sicherheiten aufzugeben. | |
Aus dem Job auszusteigen, für die Kinder zu sorgen, jahrelang nur Teilzeit | |
zu arbeiten – das ist so schlecht geregelt, dass es für viele zwangsläufig | |
in die Armut führt. Das auf die Frau abzuwälzen ist ja sehr bequem. | |
Aber für die Frau wäre es doch auch bequem, diese Abstriche nicht zu | |
machen. | |
Frauen haben die Wahl nicht, die Gesellschaft erwartet von ihnen, dass sie | |
zu Hause bleiben. Diesen Druck gibt es bei Vätern nicht. Väter sind super, | |
so wie sie sind. SPD-Chef Sigmar Gabriel wird gefeiert, wenn er einen | |
halben Tag bei seiner kranken Tochter bleibt. Bei Familienministerin | |
Manuela Schwesig hingegen werden ihre Kompetenzen infrage gestellt, wenn | |
sie zu lange nicht im Ministerium ist. | |
Sie verbringen also lieber Zeit mit anderen Müttern? | |
Was heißt lieber? Das sind eben die Leute, die sich an denselben Orten | |
aufhalten wie ich. Wenn ich auf dem Spielplatz bin, sind da eben 90 Prozent | |
Mütter. Irgendwann nach 17 Uhr oder am Sonntag tauchen auch Väter auf dem | |
Spielplatz auf. Aber das ist ja nicht die einzige Zeit, in der ich mich um | |
die Kinder kümmere. | |
Ihre jüngere Tochter Lynn hat einen Vater und zwei Mütter. Wie kommt das? | |
Ich wollte gerne ein zweites Kind. Die Erfahrung mit Fritzi hat mir | |
gezeigt, wie schwierig es ist, gleichzeitig Paar und Eltern zu sein. Auch | |
eine Trennung ist nicht so einfach, wie ich mit Fritzis Mutter erleben | |
musste; eigentlich will man sich aus dem Weg gehen, aber man muss am | |
nächsten Tag das Leben mit diesem Kind weiter organisieren. Ich wollte das | |
Kind mit einer Frau bekommen, die nicht meine Partnerin ist. Die | |
gemeinsamen Eltern von Lynn sind ein befreundetes lesbisches Paar und ich. | |
Machen Sie jetzt andere Erfahrungen? | |
Es gibt viel mehr negative Reaktionen. Für viele Leute ist Familie immer | |
noch diese klassische Vorstellung von Mama, Papa, Kind. Mir wird außerdem | |
vorgeworfen, ich hätte „ein Kind ohne Liebe“ gezeugt. Das ist Quatsch, | |
natürlich gibt es viel Nähe zwischen mir und Lynns Müttern. Wir haben uns | |
ja zusammen entschieden, dieses Kind zu kriegen und mindestens zwanzig | |
Jahre lang gemeinsam für es zu sorgen. Während ich beim ersten Kind der | |
absolute Held war, ist es jetzt eher so, dass in meiner Familie der Anfang | |
vom Untergang des Abendlandes gesehen wird. | |
Fritzi ist jetzt sechs Jahre alt. Gibt es Momente, in denen sie damit | |
konfrontiert wird, dass ihre Familie anders aussieht als die der meisten | |
Kinder? | |
Auf jeden Fall. Wie ihre Schwester gezeugt wurde, hat für viel | |
Gesprächsstoff gesorgt. Sie versucht immer wieder, anderen Kindern zu | |
sagen, dass es natürlich möglich ist, dass ein Kind nicht nur eine Mama und | |
einen Papa hat, sondern eben zwei Mamas und einen Papa. Fritzi muss | |
außerdem immer wieder erklären, warum sie mich Mama nennt. | |
Wie reagieren Erwachsene darauf, dass Fritzi Sie so nennt? | |
Viele suchen erst mal nach der Mutter. Andere fragen, warum ich Fritzi | |
nicht korrigiere. Das habe ich aber nie getan, sie darf mich nennen, wie | |
sie will. Ich habe da auch kein Problem mit meiner Männlichkeit – was auch | |
immer „Männlichkeit“ überhaupt bedeuten soll. | |
8 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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