# taz.de -- Feministinnen unter Leistungsdruck: Zu allem fähig, zu Tode ersch�… | |
> Feministisch geprägte Frauen haben Leistungsdruck mit Freiheit | |
> verwechselt. Doch ihr Erfolg wird ihnen geneidet. Es ist Zeit für einen | |
> Generalstreik. | |
Bild: Einfach mal Pause machen, was Schickes anziehen und sich selbst feiern: h… | |
Letzte Woche traf ich mich mit einer Freundin im Teenageralter zum | |
Kaffeetrinken. Sie ist in ihrem letzten Schuljahr und wurde gerade an einer | |
der besten Universitäten des Landes angenommen. Schon jetzt ist sie eine | |
erfolgreiche Autorin und Aktivistin. Sie ist ehrgeizig, wortgewandt und | |
wunderschön. Sie ist, wie eine junge Frau sein sollte. Und doch ist sie | |
todunglücklich. | |
Meine junge Freundin bemüht sich, gut auf sich selbst achtzugeben. Sie | |
schickt mir regelmäßig mitten in der Nacht SMS-Nachrichten, wenn sie noch | |
wach ist und für die Schule büffelt, nur wenige Stunden bevor es schon | |
wieder Zeit ist aufzustehen und zum Unterricht zu gehen. | |
Sie hat nicht die Zeit, sich emotional mit dem Missbrauch | |
auseinanderzusetzen, den sie bereits durch Männer erlitten hat. Sie ist | |
wegen einer Essstörung stationär behandelt worden und kürzlich vor | |
Erschöpfung zusammengeklappt. Je mehr sie erreicht, umso mehr scheinen die | |
Erwachsenen in ihrem Leben von ihr zu erwarten. Zumal sie eine junge Frau | |
of colour mit nicht traditionellem Hintergrund ist. | |
Sie hört fast nie, dass sie so, wie sie ist, gut genug ist. Und das | |
Traurigste daran ist, dass dieses Mädchen kein Einzelfall ist – es ist die | |
Geschichte zahlloser junger Frauen, die ich kenne, die unter dem Druck | |
einer Gesellschaft zusammenbrechen, die ihnen vorhält, dass egal, wer sie | |
sind, und egal, was sie tun, sie nicht genügen. Und nie genügen werden. Es | |
scheint, als sei der beste Weg, junge Frauen davon abzuhalten, etwas zu | |
erreichen, sie zu zwingen, alles zu erreichen. | |
## Es fehlt an Durchschlagskraft | |
Während meine Freundin ihren Kaffee trank, merkte ich, wie ich in Rage | |
geriet und mich fragte, wieso wir immer noch jungen Frauen beibringen, sich | |
selbst zu hassen. Der Druck ist heutzutage sogar noch stärker als zu der | |
Zeit, als ich meinen Zusammenbruch als Jugendliche hatte. Feministische | |
Ideen durchzucken die Popkultur, doch junge Frauen stehen heute stärker auf | |
dem Prüfstand als je zuvor. Mit immer mehr Botschaften, die ihnen | |
verkünden, härter zu arbeiten und weniger Raum zu beanspruchen. Wir haben | |
uns dazu hinreißen lassen zu glauben, dass der Druck, höchste Leistungen in | |
jedem Bereich des spätkapitalistischen Lebens – sei es in der Schule, bei | |
der Arbeit oder in Liebe und Beziehung – zu erbringen, gleichbedeutend sei | |
mit Freiheit für Frauen. | |
Stimmt nicht. Es gibt einen Spruch unter den mir nahestehenden | |
Feministinnen. Der geht so: „Herr, gib mir das Selbstvertrauen eines | |
mittelmäßigen Mannes.“ Es ist für jedeN schwer, in einer Welt voller | |
Einschränkungen aufzuwachsen, die in sich selbst zusammenzufallen scheint. | |
Aber es ist immer noch schwerer, als Frau in dieser Welt aufzuwachsen. | |
Wenn junge Männer größeres Selbstbewusstsein haben, so liegt das nicht | |
daran, dass sie stärker und mutiger sind. Es liegt daran, dass sie sich | |
nicht jahrzehntelang anhören mussten, dass sie nicht gut genug, nicht dünn | |
genug, nicht nett genug, nicht hübsch genug, nicht klug genug und nicht | |
schnuckelig genug seien. Junge Männer haben ihre Pubertät nicht damit | |
verbracht, erzählt zu bekommen, dass einerseits ihre Sexualität gefährlich | |
sei und sie Selbstbeherrschung zeigen müssten. Doch dass sie andererseits | |
immer sexy für andere Leute aussehen sollen. | |
Was auch immer sie leisten, junge Frauen können davon ausgehen, dass sie | |
von denjenigen angegriffen oder lächerlich gemacht werden, die ihnen ihren | |
Erfolg übel nehmen. Sie müssen – und das viel zu oft – damit rechnen, von | |
Männern sexuell belästigt oder körperlich misshandelt zu werden. Männer, | |
die in dem Glauben aufgewachsen sind, Frauen seien keine echten Lebewesen | |
mit eigener Handlungsfähigkeit. Junge Frauen bekommen Druck, aber keine | |
Durchschlagskraft. Sie bekommen Pflichten, aber keine Macht. Sie sollen | |
keine Liebe und Fürsorge verlangen, doch werden selbst dazu ermuntert, | |
andere Menschen zu lieben und zu umsorgen, bis nichts mehr für sie selbst | |
übrig ist. | |
Selbst in den radikalen Bewegungen und Subkulturen, denen ich angehört | |
habe, werden Frauen abgewiesen, die nicht als schön gelten und verspottet, | |
wenn sie ihre eigenen Vorstellungen zum Ausdruck bringen und | |
Leitungsfunktionen übernehmen. In Kultur, Kunst und Politik werden Frauen | |
nicht ermutigt, quer zu denken oder diejenigen zu sein, die Risiken | |
eingehen oder als Exzentrikerinnen die Gesellschaft mit ihrer Kunst und | |
ihren Ideen voranzubringen. Stattdessen legt man uns nahe, uns anzupassen. | |
Und die Tatsache, dass das heutzutage bedeutet, dass wir außer perfekten | |
Frauen, Müttern und Geliebten auch noch perfekte Schülerinnen und perfekte | |
Arbeitskräfte sein müssen, befreit uns nicht. | |
## Hart arbeiten, flink denken | |
Was wäre, wenn junge Frauen und queere Personen in Streik treten würden? | |
Was wäre, wenn wir uns weigerten, die Arbeit, die allseits von uns erwartet | |
wird, umsonst zu verrichten, um das Leben im Spätkapitalismus etwas | |
erträglicher zu gestalten? Was wäre, wenn wir uns schlichtweg weigerten – | |
und sei es nur für kurze Zeit –, hübsch auszusehen, freundlich zu lächeln | |
und unsere Freizeit damit zu verbringen, uns um alle anderen zu kümmern? | |
Was wäre, wenn wir aufhörten, seelische, affektive und fürsorgliche Arbeit | |
gegen geringe oder ganz ohne Bezahlung zu leisten? Aufhörten zu glauben, | |
dass unsere Leben und Körper nicht uns gehören? Dass Schönheit und | |
Anpassung der Tribut seien, den wir der Welt für unsere Existenz schuldig | |
sind? Die sozioökonomische Grundlage der modernen Gesellschaft wäre bis ins | |
Mark erschüttert. Aber das ist nicht wichtig – sei’s drum. Viel wichtiger | |
wäre, dass die jungen Frauen und queeren Personen des frühen 21. | |
Jahrhunderts unter Umständen, ganz eventuell, das Vertrauen wiederentdecken | |
würden, das sie bräuchten, um eine bessere, unerschrockenere und | |
liebenswürdigere Gesellschaft zu schaffen. Vielleicht, ganz eventuell, | |
würde es ihnen dann gelingen, ihre Körper, ihre Leben und ihre Träume ganz | |
auszuleben. | |
Heute sind junge Frauen, queere Personen und people of colour dazu erzogen | |
worden, hart zu arbeiten, schnell zu denken und gegen enorme Widerstände | |
anzugehen, wenn sie überleben wollen, und zwar unter Verwendung aller | |
technologischen Möglichkeiten, mit denen sie aufgewachsen sind – anstelle | |
der Stabilität, deren sich die Generation ihrer Eltern noch erfreuen | |
konnte. Sie haben gelernt, Erwachseneneinrichtungen zu misstrauen und sich | |
aufeinander zu verlassen, wenn sie Unterstützung brauchen. Vielleicht | |
hätten die, die vom Status quo profitieren, besser nachdenken sollen, bevor | |
sie die jungen Menschen mit all dem Handwerkszeug ausrüsteten, das sie | |
brauchen, um die Gesellschaft auf den Kopf zu stellen. Unsere Kultur | |
verwendet endlose Energie darauf, junge Menschen und queere Personen davon | |
abzuhalten, sich ihrer eigenen Macht bewusst zu werden. Denn wenn sie es | |
tun, wird die Hölle los sein. | |
Nachdem ich mich von meiner jungen Freundin verabschiedet habe und ihr | |
nachschaue, wie sie auf der Hauptstraße entschwindet, ertappe ich mich | |
selbst dabei, dass ich denke: Liebling, wenn du es schaffst – und ich | |
glaube, dass du es schaffen wirst –, dann wird die ganze Welt erbeben. | |
Übersetzt aus dem Englischen von Birgit Kolboske | |
7 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Laurie Penny | |
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