| # taz.de -- Ungewöhnliches Buch über Vaterschaft: Der Sand der Tage | |
| > Jochen Schmidts „Zuckersand“ ist bestimmt von den Gedanken und | |
| > Erinnerungen eines jungen Vaters. Und auch für die Kindsmutter ist Platz. | |
| Bild: Der Erzähler verbringt Tag für Tag mit seinem Sohn – während dessen … | |
| Man sollte denken, dass es genügend Männer gäbe, die Bücher über Freuden | |
| und Leiden des Vaterseins geschrieben haben. Aber dann macht es doch einen | |
| Unterschied, ob man journalistisch auf das Thema fokussiert bleibt. Oder | |
| sich dem Luxusberuf des Schriftstellers verschrieben hat. Der erfordert, | |
| sich – schon um der Schönheit des Abschweifens willen – aus der Realität … | |
| entfernen und von seinen Assoziationen leiten zu lassen. Die Abschweifung | |
| entspricht in ihrem scheinbar ziellosen Mäandern auch am besten dem | |
| Geisteszustand von Kleinkindeltern. | |
| Der Schriftsteller Jochen Schmidt ist einer, der bekanntlich Proust gelesen | |
| hat. Und so ist seinem Erzähler zum Beispiel ein Milchzahn, der „wie eine | |
| Spargelspitze den Boden“ das kindliche Zahnfleisch durchstößt, in etwa | |
| dasselbe, was dem Erzähler bei Proust die Madeleine war. Das Zähnchen stößt | |
| eine Gedankenkette an, indem es Erinnerungen weckt an die Milchzähne der | |
| einstigen Mitschüler, „die jeder in irgendwelchen Döschen und Schachteln | |
| aufhob“ und die der Erzähler heimlich an sich brachte, „um mir zu Hause mit | |
| Knete ein Klassengebiß daraus zu basteln. Es war ein Objekt in meiner | |
| Wunderkammer, von dem ich Klara noch nichts erzählt hatte, mir war ja | |
| bewußt, wie schnell sie sich ekelte.“ | |
| Klara ist die Mutter von Karl, dem Zweijährigen, mit dem der Ich-Erzähler | |
| seine Tage verbringt. Klaras Präsenz hebt „Zuckersand“ heraus aus der Masse | |
| der Väterliteratur, in der Mütter eher Randfiguren sind. Schmidt hingegen | |
| beginnt mit dem Satz: „Klara schrieb mir aus dem Büro, daß ich nicht | |
| vergessen sollte, Karl die Zähne zu putzen.“ Womit unmissverständlich | |
| vorweggeschickt wird, wer das Sagen hat. | |
| Der Erzähler gibt auch unvergleichliche Liebeserklärungen wie diese ab: „Es | |
| fällt mir immer noch schwer, ein Haar von ihr wegzuwerfen, wenn ich es vom | |
| Boden auflese.“ Es ist eine große Liebe zu dritt, die hier be- und | |
| umschrieben wird, auch wenn es vor allem darum geht, wie der Vater mit dem | |
| Sohne. Denn Klara geht jeden Tag arbeiten, und Karl und sein Vater machen | |
| so lange was anderes. Der Erzähler, der eigentlich an seinem lange | |
| geplanten Essay über Schönheit arbeiten will, textet pfiffige | |
| Produktbeschreibungen für den Versandkatalog „Die neue Hausfrau“. Und Karl | |
| macht, was Zweijährige so machen. Die äußere Handlung dieses sogenannten | |
| Romans besteht darin, dass Karl und sein Vater aus dem Haus gehen und am | |
| Schluss Klara ihnen entgegenkommt. | |
| Dazwischen schweift die Erzählung umher, meist in die Vergangenheit des | |
| Erzählers, der nicht ganz in seiner Vaterrolle aufgeht, sondern durch das | |
| Kind gedanklich zurückgeworfen wird in die eigene Kindheit. Welche | |
| Geräusche das Badezimmer der Großeltern machte, ist ebenso Gegenstand | |
| dieser vagabundierenden Betrachtungen wie die Inneneinrichtung der | |
| elterlichen Wohnung und die erstaunliche Tatsache, dass es „damals keinen | |
| Gegenstand in unserer Wohnung“ gab, „der mir nicht gefiel“. | |
| Zwischendurch wird von Karls Geburt auf eine Weise erzählt, die uns blutige | |
| Einzelheiten erspart, und immer wieder das vor dem Haus neu zu verlegende | |
| Straßenpflaster betrachtet, „weil die Gehwegplatten ja gegen diesen | |
| chinesischen Granit ausgetauscht werden, der vermutlich von unterernährten | |
| Kindern im Steinbruch geschlagen worden ist“. Während ein Zweijähriger | |
| seinen Projekten nachgeht („Karl war immer noch damit beschäftigt, den | |
| kaputten gelben Ball zu den Mädchen in den Kindergarten zu werfen“), hat | |
| ein Vater Zeit, sich gründlich umzusehen, wozu er sonst nie gekommen war, | |
| denn „ich ging immer noch halb blind durch die Welt, weil ich meistens in | |
| Gedanken war“. | |
| So ist es eine auch gedanklich wirklich gelungene Vater-Kind-Symbiose, von | |
| der Schmidt berichtet. „Zuckersand“ ist auch deswegen ein ungewöhnliches | |
| Vaterbuch, weil es unkitschig mit den unterdrückten Tränen des Erzählers | |
| endet, von denen schwerlich zu sagen ist, ob es nun Tränen der verschmähten | |
| Liebe, der verliebten Freude oder einer plötzlichen melancholischen | |
| Zwischenströmung sind. Vielleicht schmeckt auch der Möhrenkeks, den das | |
| Kind nicht gegessen hatte, zu fade. | |
| 25 Apr 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Granzin | |
| ## TAGS | |
| deutsche Literatur | |
| Vater-Sohn-Beziehung | |
| Roman | |
| Männlichkeit | |
| Väterrecht | |
| Familie | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Autor Jack Urwin über Männlichkeit: „Du musst kein Arsch sein“ | |
| Wie Männer kommunizieren, kann für sie und andere mitunter tödlich enden. | |
| Buchautor Jack Urwin über toxische Männlichkeit. | |
| Urteil zum Umgangsrecht leiblicher Väter: Kinder entscheiden | |
| Gerichte müssen Kinder anhören. Wenn das Kind nichts von seinem leiblichen | |
| Vater weiß, muss es darüber grundsätzlich informiert werden. | |
| Jochen König über Elternschaft: „Mit Vätern kann ich kaum reden“ | |
| Seine Tochter Fritzi nennt ihn Mama und Papa. Das ist ungewöhnlich. Aber | |
| Jochen König fand das gut. Mit den Zweimonatspapis kann er nichts anfangen. |