| # taz.de -- Kolumne Bestellen und Versenden: Rassismus ohne Rassisten | |
| > In der bürgerlichen Mitte ist ein Rechtsruck festzustellen. Die Leute | |
| > wollen hassen und dabei anständige Männer und Frauen bleiben. | |
| Bild: Cicero als Instrument, um im Mainstream neurechte Ideologien an den Mann … | |
| Die Bundesregierung informiert: So clever ist die Neue Rechte. Auf der | |
| Seite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend | |
| findet sich ein Glossar zum Programm „Demokratie leben!“, in dem unter | |
| anderem der Begriff „Kulturelle Hegemonie“ und seine Aneignung von rechts | |
| erklärt wird. Typisch sei eine „instrumentell-strategische Rezeption der | |
| Werke des italienischen Marxisten Antonio Gramsci“. Und um den „Konsens der | |
| Zivilgesellschaft“ zu beeinflussen, betrieben neue Rechte „politische | |
| Mimikry“, so dass ihre politischen Ziele nicht offen erkennbar sind. | |
| In ihrer Samstagskolumne in der Süddeutschen Zeitung analysierte kürzlich | |
| die Autorin Carolin Emcke dieses Versteckspiel und wies darauf hin, dass | |
| noch der rassistischste Sorgenbürger auf keinen Fall Rassist genannt werden | |
| will. Die Leute wollen hassen, abschieben und abfackeln, aber dabei | |
| anständige Männer und Frauen bleiben. Wie es einen Rassismus ohne | |
| bekennende Rassisten gibt, so findet auch der gesellschaftliche Rechtsruck | |
| offenbar ohne Rechte statt. | |
| Der Cicero-Chefredakteur Christoph Schwennicke brachte es vorletzte Woche | |
| in der Sendung „Maybrit Illner“ fertig, Sigmar Gabriel vorzuwerfen, er | |
| befördere den Rechtspopulismus. Vermutlich lag er damit angesichts Gabriels | |
| Auslassungen über das „Solidaritätsprojekt für unsere eigene Bevölkerung�… | |
| richtig – erstaunlich war nur, wie selbstbewusst Schwennicke die Tatsache | |
| abspaltete, dass sein Magazin Cicero längst zur Plattform für neurechte | |
| Ideologiebildung geworden ist. | |
| ## Sorge um die Identität des Volkes | |
| Auf der Internetseite von Cicero erschien kürzlich ein vieldiskutierter | |
| Text des Kulturredakteurs Alexander Kissler, in dem dieser sich über die | |
| „Identität des Volkes“ sorgte und insinuierte, Merkel betreibe eine | |
| „fundamentale Veränderung des Staatsvolkes“. Während sein Redaktionskolle… | |
| das neurechte Phantasma vom „großen Austausch“ paraphrasiert und dabei | |
| klingt, als verbringe er jedes freie Wochenende auf Götz Kubitscheks | |
| Rittergut, macht Schwennicke die anderen für den Rechtspopulismus | |
| verantwortlich. So geht wohl die politische Mimikry, die das Ministerium | |
| uns erklärt. | |
| Hätte Gabriel das Glossar vorab gelesen, wäre seine Reaktion auf | |
| Schwennicke weniger verdruckst ausgefallen. Denn wie rechte Ideologie in | |
| den Mainstream sickert, lässt sich an Cicero gut beobachten. Als „Magazin | |
| für politische Kultur“ gibt man die Stimme der Mitte-Vernunft und | |
| untermischt den durchaus seriösen Journalismus mit einschlägigen Thesen für | |
| die empfängliche Klientel. | |
| Wer Cicero-Redakteur Alexander Kissler auf Twitter folgt, wird mit | |
| Junge-Freiheit-Zitaten, Rechtskatholizismus, Russlandverehrung und Gemecker | |
| über sich selbst gleichschaltende Journalisten versorgt. Den Warm-up für | |
| Schwennickes Gig bei Illner hatte übrigens einen Donnerstag vorher der | |
| Handelsblatt-Chefredakteur Gabor Steingart in der gleichen Sendung gegeben. | |
| ## Homogenität als vermeintliches Urbedürfnis | |
| Ungestört konnte er Flüchtlinge sprichwörtlich verbrämt als Gift bezeichnen | |
| (“Die Menge macht das Gift“) und sich dann im Jargon der Neuen Rechten um | |
| die „Homogenität“ des kontaminierten Volkskörpers zu sorgen. Niemanden aus | |
| der Runde störte sich daran. Dass „Homogenität“ ein unhintergehbares | |
| Urbedürfnis ist, wie rechte Autoren es in ihrem Kampf gegen „Überfremdung“ | |
| gebetsmühlenartig wiederholen, scheint inzwischen konsensfähig zu sein. | |
| Weil sie auf Soft Power und diffusen Meinungsbildern beruht, lässt sich nie | |
| objektiv angeben, wann kulturelle Hegemonie eigentlich erreicht ist. Man | |
| muss allerdings nicht paranoid sein, um in den genannten Talkshow-Momenten | |
| zwei von vielen Indizien für den rasanten Shift des öffentlichen Diskurses | |
| nach ganz rechts zu erkennen. Während sich alle Welt zu Recht über | |
| Steinbachs rassistischen Tweet aufregt, kann sich völkisches Denken – wenn | |
| es nur von gut vernetzten Redakteurstypen vorgetragen wird – als | |
| ernsthafter Beitrag zur „Debatte“ ausgeben. | |
| Angesichts dieser Entwicklung scheint es immer naiver, die gute | |
| Zivilgesellschaft dem bösen Mob gegenüberzustellen. Diese Form des | |
| bürgerlichen othering – „Rechte und Rassisten sind immer die anderen“ – | |
| dient letztlich auch nur dazu, die rechte Ideologie „in unserer Mitte“ | |
| unsichtbar zu machen. Die Zivilgesellschaft ist kein politisches | |
| Kollektivsubjekt und an sich weder gut noch links, noch zivilisiert. | |
| Antonio Gramsci hat uns beigebracht, dass sie Schauplatz symbolischer | |
| Kämpfe um den Konsens ist. Wer es in dieser Arena schafft, demokratisch und | |
| vernünftig zu klingen, hat Aussicht auf beste Sendeplätze für seinen | |
| euphemistisch aufbereiteten Rassismus. | |
| 8 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Aram Lintzel | |
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