Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neuer Film von Volker Koepp: Barocke Stillleben
> Der Himmel über Herrnstein: In „Landstück“ erzählt Volker Koepp von der
> agroindustriellen Uckermark.
Bild: Ein Ort mit Energie: Eine Szene aus Koepps neuen Film.
Es dauert in diesem Film lange, ehe man ein Auto sieht, ein kleiner
schwarzer Punkt am Horizont. Darüber wölbt sich Himmel, endlos und
zartblau. Wir sehen sanfte Anhöhen, grünen Buchenwald, Seen, in denen sich
Sonnenlicht bricht. Und immer wieder exakt kadrierte Panoramen von Wiesen
und weiten Äckern. Manchmal bläht der Wind Wäsche, die zum Trocknen hängt.
Diese Bilder sind schlicht, ruhig, konzentriert, wie barocke Stillleben.
Die Uckermark im Norden von Berlin ist hügelig wie die Toskana und leer wie
Sibirien. In „Landstück“ , zumindest in der ersten Stunde, scheint die
Natur der Hauptdarsteller zu sein, der von Kamerafrau Lotta Kilian mit Sinn
fürs Grandiose in Szene gesetzt ist. Eine junge Frau aus Westdeutschland,
die einen DDR-Plattenbau bewohnt, schaut aus ihrem Fenster in den sehr
fernen Horizont und sagt: „Man guckt ewig lang in die Landschaft und merkt
gar nicht, dass man herausgeschaut hat. Und danach weiß man nicht mehr, was
man gesehen hat.“ Wer in der Uckermark in sich nicht ein wenig Talent zur
Demut findet, etwas Sinn fürs Erhabene oder die Ahnung, dass der Tanz ums
Ego eitles Theater ist, dem ist nirgendwo zu helfen.
## Diese Natur ist nicht rein
„Landstück“ feiert die Landschaft in langen, berückenden Einstellungen und
Tonmontagen, die vorsichtige Geigentöne und Vogelgezwitscher collagieren.
Das ist nicht ohne Gefahr. „Ein Ensemble schöner Bilder kann abscheulich
sein“ hat Robert Bresson, der Unbestechliche, gesagt. Aber es geht Volker
Koepp (der in Berlin und in Herrnstein in der Uckermark wohnt) nicht um
Idyll, nicht um die Bebilderung des Traums der Städter von unverfälschter,
reiner Natur, die ja stets nah am Kitsch siedelt. Diese Natur ist nicht
rein und nicht natürlich. Die Uckermark ist eine Kulturlandschaft, in der
fast jeder Quadratzentimeter von Menschen gemacht ist. Fast nirgendwo in
Deutschland sind die agrarindustriellen Komplexe so groß und die Felder mit
Mais oder Raps so gigantisch. Die Panoramaansichten von rot blinkenden
Windrädern vor dramatischem Abendhimmel und imposanten leuchtend gelben
Feldern scheinen unschuldig schön. Aber es sind auch kontaminierte Bilder.
„Landstück“ ist der Versuch, die Distanz zwischen der Schönheit und der
Zerstörung zu vermessen.
Koepps Filme bilden von dem „Wittstock-Zyklus“ über „Kalte Heimat“ bis…
„Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ so etwas wie ein Genre mit stets
wiederkehrenden Motiven, Bildern, Geschichten. Die Menschen sind in diesem
Genre oft klein, die Erinnerungslandschaften groß. Koepp ist kein
analytischer Dokumentarist. Er sucht nicht das überzeugende Argument,
sondern den Augenblick, in dem die Menschen zum Leuchten kommen. Seine
Heldenfiguren sind oft weiblich, weil Frauen meistens die besseren
Geschichten erzählen. Es gibt auch Werkshallen in diesen Filmen. Aber die
Perspektive, aus der die Welt angeschaut wird, ist die Küche, Ort des
häuslich Kommunikativen. Mag sein, dass sich in hundert Jahren Historiker
aus diesem Bilderfundus bedienen werden, um den Alltag in der DDR oder die
Ruinen des von Hitler und Stalin ausradierten multikulturellen Lebens in
Ostmitteleuropa Ende des 20. Jahrhundert zu verstehen.
Manche der letzten Filme von Koepp waren allzu elegisch, sie erzählten
allzu routiniert die Geschichten der Alten und wenig von der Gegenwart.
„Landstück“ ist anders, drängender, lebendiger. Es gibt auch hier die
Küche, in der sich alte Uckermärkerinnen beim Schnaps robust und
nostalgiefern erinnern. An ihre Männer, die allesamt tot sind, oder den
Tag, als die Russen in die Uckermark kamen und der doch erst gerade eben
war. Das Leben, ein Wimpernschlag.
Die Bodenpreise haben sich in der Uckermark in den letzten zehn Jahren
vervierfacht. Das ist ein Kollateraleffekt der Finanzkrise. Es gibt global
viel freies Kapital, kaum Zinsen, wenige Anlagemöglichkeiten. Deshalb
braucht, wer in Gerswalde oder Wilmersdorf Acker haben will, viel Geld.
„Land koofen geht für ‚nen einfachen Menschen nicht mehr“ sagt ein
Ökobauer. Die Uckermark ist von den ostelbischen Junkern, der
Zwangskollektivierung in der DDR, den großformatigen Privatisierungen der
Postwendezeit ohnehin großagrarindustriell geprägt. Wer nun 25.000 Euro für
einen Hektar bezahlt, muss darauf Intensivlandwirtschaft mit viel Chemie
betreiben, um halbwegs profitabel zu arbeiten.
Die Ökobauern, die in „Landstück“ die Alternative verkörpern, brettern m…
SUVs über Wiesen und sind gestandene Leute, Profis. Ihre Trecker sind
Hightechmaschinen, in deren Fahrerhäuschen es blinkt wie im Cockpit eines
Jets. Auch Wurst und Schweine müssen sich rechnen, sagt einer. Das sind
erfreulich geerdete Ansichten, die die allzu schlichte Sehnsucht nach
heilem Leben auf dem Land dementieren. Nur manche Bauernhofbilder,
neugierige Kühe, schlafende Schweine wirken etwas zu lieblich.
Der Held ist Michael Succow, über 70 Jahre alt, Biologe. Er war der
Umweltminister in der Maizière-Regierung 1990 und deklarierte, kurz vor dem
endgültigen Ableben der DDR, fünf Prozent des Staates zum
Naturschutzgebiet. So sind, auch in der Uckermark, bis heute Äcker, Wälder,
Wiesen dem Zugriff der Agrarindustrie entzogen, Orte, auf denen Ökobauern
Schafe weiden lassen oder Getreide pflanzen.
Einmal hockt Succow versonnen auf einem Acker, lobt die Luzerne, die tief
wurzelt und den Boden mit Stickstoff versorgt. Als Kind, erzählt er, hat er
Schafe gehütet. Als der Schäferhund starb, lernt er zu bellen, um die Herde
beieinanderzuhalten. Dann bellt er. Es klingt recht überzeugend.
„Landstück“ hat ein Anliegen: die Natur nicht zu ruinieren, sondern sorgsam
zu nutzen. Es lohnt dafür, listig wie Succow, standhaft wie die Ökobauern,
zu streiten. Diese Botschaft ist dezent eingewoben, ohne moralisches
Glühen. „Landstück“ ist, man muss es so sagen, ein politisch engagierter
Film. Das wirkt in Koepps Bilder- und Geschichten-Universum nicht wie
Verrat am Artistischen, sondern als frischer Luftzug.
4 Mar 2016
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Kino
Uckermark
DDR
Archäologie
## ARTIKEL ZUM THEMA
Retrospektive: Der Osten, wie man ihn sieht
Im Kino Babylon in Mitte läuft derzeit das Festival „DOK – DDR – Umsonst…
mit 180 Dokumentarfilmen aus der DDR.
Archäologische Entdeckung: Das älteste Baby Mitteleuropas
In Brandenburg wird das Grab eines Kleinkinds entdeckt. Es ist 8.500 Jahre
alt – Kinder wurden damals als Mitglied der Gemeinschaft angesehen.
Per Film durch die DDR: Das Land, das einfach verrostete
Volker Koepp durchstreift Ostdeutschland und bilanziert vierzig Jahre
dokumentarischer Arbeit. Sein Film "Berlin – Stettin" ist ein Roadmovie von
Süd nach Nord, von Deutschland nach Polen.
Doku über russische Kinder: Holunderblüten bei Kaliningrad
Idyllische Landschaften, zerrüttete Familien: Volker Koepps Film
"Holunderblüte" zeigt das Leben von Kindern nahe der russischen Exklave
Kaliningrad.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.