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# taz.de -- Per Film durch die DDR: Das Land, das einfach verrostete
> Volker Koepp durchstreift Ostdeutschland und bilanziert vierzig Jahre
> dokumentarischer Arbeit. Sein Film "Berlin – Stettin" ist ein Roadmovie
> von Süd nach Nord, von Deutschland nach Polen.
Bild: Gaststaette "Seerose" in Potsdam. Architekt: Ulrich Müther, erbaut 1980.
Am 26. Mai 1945 schreibt Doris Krause einen Brief nach Berlin. Sie ist zehn
Jahre alt und schildert das Kriegsende in der brandenburgischen Provinz.
Ein Wehrmachtsleutnant erschien und teilte mit: Der Krieg ist aus. Die
Truppe skandierte: "Sieg Heil" und zog ab. Dann kam die Rote Armee.
Russische Soldaten vergewaltigten Frauen. Doris Krause, jetzt über 70
Jahre, sitzt vor ihrem Haus am Tollensesee und liest ihren Brief vor. "Ich
dachte, dass ich getötet werde", sagt sie ruhig. Vergewaltigt wurde auch
Thea Koepp, die mit vier Kindern auf der Flucht war. Ihr, der Mutter des
Filmemachers Volker Koepp, ist "Berlin - Stettin" gewidmet.
Auch "Berlin – Stettin" durchziehen wieder Thomas Plenerts traumverlorene
Landschaftsbilder, schneebedeckte Winterfelder, wild ziehende
Wolkenpanoramen, menschenleere Einsamkeitsbilder. Diese Landschaften sind
mehr als optische Aufheller. Manchmal wirken sie wie Gegenpole der
Grausamkeiten der Geschichte, die sich hier vom Dreißigjährigen Krieg bis
zum Zweiten Weltkrieg ereignet haben. Manchmal wie kontaminiert von der
Gewaltgeschichte.
Aber "Berlin – Stettin" ist anders als Koepps
Geschichts-Landschaftsporträts, die in den letzten zehn Jahren manchmal
allzu routiniert und vorhersehbar von Vor- und Hinterpommern erzählten.
"Berlin – Stettin" ist ein Roadmovie von Süd nach Nord, von Deutschland
nach Polen. Es ist eine Reflexion seines eigenen Werkes, seiner Passion für
diese Landschaft, ein Reisefilm, der Topografisches und Autobiografisches
verwebt. Wenn Dokumentaristen "ich" sagen und sich selbst in den Focus
rücken, verrutscht das manchmal ins Enge, Egozentrische. Hier nicht. Koepp
macht sich selbst zum Protagonisten jenes schier endlosen Bilder- und
Geschichtenreigens, in dem die Historie im Biografischen gespiegelt wird.
So sieht man ihn mit einer Schulfreundin aus Berlin-Karlshorst, einer
wachen, klugen Frau. Sie erinnern sich an die russischen Lieder, die sie in
der Schule lernen mussten, an die riesigen Plakate von sowjetischen
ZK-Größen in der Stalinallee. Koepp sah, damals neun Jahre alt, wie am 17.
Juni 1953 die sowjetischen Panzer Richtung Zentrum rollten und ein Mann auf
der Straße erschossen wurde.
Wegen Aufmüpfigkeit wurde er später, Anfang der 70er-Jahre, auf der
Filmhochschule zu einer Strafarbeit verurteilt: Er sollte einen
Dokumentarfilm über Betriebe machen. In solchen Filmen galt es der nun
herrschenden Klasse ein Denkmal zu setzen. Das war, Ironie der Geschichte,
eine Zwangsmaßnahme, die das Gegenteil von dem erreichte, was sie erreichen
sollte.
Der Dokumentarfilm, in den auch Jürgen Böttcher verbannt wurde, entwickelte
sich im Windschatten der Zensur zu einem kreativen Genre. Durch genaue
Beobachtung gelang es vor allem Böttcher und Koepp, die Arbeitswelt zu
zeigen, wie sie war: dreckig, kraftzehrend, ineffektiv. Das Dokumentarische
wurde zu einer Flaschenpost, mit der Nachrichten aus der Wirklichkeit in
die gegen die Realität hermetisch abgedichtete DDR-Öffentlichkeit
geschmuggelt wurden.
"Berlin – Stettin" zeigt die Orte und Protagonisten noch mal. Elsbeth, die
Heldin seiner Wittstock-Filme, die Aufstieg und Niedergang der dortigen
Textilfabrik verfolgten. In Zehdenick an der Havel drehte Koepp Ende der
80er-Jahre die "Märkische Trilogie" über die dortige Ziegeleiindustrie, die
eine Art Nachruf auf die DDR zu Lebzeiten wurde. Man sah einen Arbeiter,
der tagtäglich 13.000 Ziegel per Hand umschichtet. In den Duschräumen fiel
der Putz von der Decke.
Die DDR erschien als Land, das einfach verrostete. Heute ist die Ziegelei
schon lange stillgelegt. Die Natur überwuchert die Industriebrache. In der
Kneipe erinnern sich die Arbeiter an früher, proletarisch rau und irgendwo
zwischen Wehmut und Grauen. "Man hat ja sonst nüscht jekannt, nur
Ziegelei", sagt einer. Morgens wurde auf der Arbeit als Erstes ein Kasten
Bier geholt. Nach dem Mittagsbier sind die Männer manchmal einfach nach
Hause gegangen. Abends tauschten sie in der Gaststätte Material und
Dienstleistungen.
Koepp hat keinen soziologischen Blick, eher den des Flaneurs, der
Augenblicke sammelt. Aber er findet oft Geschichten, in denen sich etwas
verdichtet. In dieser knappen Kneipenszene erkennt man, wie die DDR tickte:
Die Grenze zwischen Arbeit und Nichtarbeit war flüssig. Ohne die
Tausch-Schattenwirtschaft, die weitgehend ohne Geld funktionierte, wäre die
DDR-Ökonomie schon früher kollabiert.
"Berlin – Stettin" ist ein episodischer Bilderbogen, ein Sammelsurium von
Szenen unterschiedlicher Intensitäten. Koepp besucht die Schauspielerin
Fritzi Haberlandt, die ein verfallenes Haus bei Zehdenick wieder aufbaut
und nichts Wesentliches zu erzählen weiß. Anetta Kahane, die Tochter
jüdischer Kommunisten in der DDR, hat ein Häuschen in der Uckermark. "Meine
Eltern", sagt sie, "waren noch durch ihre kommunistische Ideologie
geschützt." Kahane erzählt von rechtsextremer Alltagsgewalt im Norden
Brandenburgs, den Morden an Wehrlosen in Potzlow und Templin. Und dass es
brachiale Alltagsgewalt auch in der DDR gab.
Rechtsextreme Jugendliche sind eine Leerstelle in Koepps Filmen. Sie
kommen, wenn überhaupt, in Erzählungen vor. Das ist kein Zufall. Der
poetische suchende Blicks taugt nicht, um etwas zu kritisieren. Mit dieser
Methode kann man keine Filme gegen jemand machen. Das ist ihre unsichtbare
Grenze. Kein Wunder, dass es in Koepps Werk, in dem es viel um Gewalt,
Vertreibung und Tod geht, so gut wie keine Bilder von Tätern gibt.
Die Reise endet in Stettin, wo Koepp geboren wurde. Man sieht zwei
polnische Familien, die den Studienabschluss ihrer Kinder feiern. Die
Großeltern waren Vertriebene, die es nach Stettin verschlagen hat. Für die
Kinder ist Stettin selbstverständliche Heimat. Eine Heimat, die sie
verlassen können, wenn sie wollen.
28 Jan 2010
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Kino
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