# taz.de -- Debatte Nordkoreas Machthaber: Der Lieblingsfeind im Norden | |
> Kim Jong Un handelt keinesfalls einfach unberechenbar. Sanktionen sind | |
> der falsche Weg, um in dem Land einen Wandel zu erreichen. | |
Bild: Veranlasst gerne Raketentests: Kim Jong Un. | |
Über Nordkorea zu schreiben fühlt sich manchmal an, wie blindlings durch | |
ein Minenfeld zu waten. Wer das gängige Schwarz-Weiß-Denken mit Grautönen | |
anreichert, wird im öffentlichen Diskurs schnell für vogelfrei erklärt. | |
Dabei verhindert genau jenes vereinfachende Feindbild, den Koreakonflikt in | |
seiner ganzen Komplexität zu verstehen. Es wird Zeit, mit ein paar | |
Missverständnissen aufzuräumen. | |
Diktator Kim Jong Un mag vieles sein, aber „irrational“ oder „verrückt“ | |
ganz bestimmt nicht. Tatsächlich folgt das nordkoreanische Regime seit | |
Jahren einer konsistenten wie fast schon vorhersehbaren Logik. Dass sich | |
viele der heimischen Leitartikler dennoch nach jedem militärischen | |
Muskelspiel aufs Neue „überrascht“ zeigen, offenbart vor allem, wie | |
oberflächlich sich die Öffentlichkeit mit Nordkorea auseinandersetzt. | |
Das mit Abstand wichtigste Interesse des Regimes ist sein | |
Selbsterhaltungstrieb. Sicherheitsfragen setzt Pjöngjang stets an erste | |
Stelle, noch weit vor das materielle Wohl seiner Bevölkerung. | |
Außenpolitisch dient die Atombombe für Kim Jong Un daher vor allem als | |
Lebensversicherung. Die Paranoia des Diktators ist keinesfalls abwegig: | |
Immer wieder hat Washington versucht, auch unter dem Deckmantel humanitärer | |
Entwicklungshilfe Spione ins Land zu schleusen. | |
Im Nachbarland Südkorea fordert die Präsidentin in öffentlichen Ansprachen | |
bereits einen „Regimewechsel“, Abgeordnete der konservativen | |
Regierungspartei werben offen für Bombenangriffe. Verständlicherweise | |
möchte Kim Jong Un weder wie Saddam Hussein noch wie Gaddafi enden. | |
## Signalwirkung nach innen | |
Oft wird allerdings zu wenig beachtet, dass die nordkoreanischen | |
Raketentests eine mindestens ebenso wichtige Signalwirkung nach innen | |
haben: Sie rechtfertigen die Herrschaft des Regimes vor seinem Volk. | |
Seitdem das staatliche Verteilungssystem in den neunziger Jahren mit dem | |
Fall der Sowjetunion zusammengebrochen ist, sorgen die Nordkoreaner auf den | |
Schwarzmärkten des Landes eigenständig für ihr Überleben. | |
Während der Übergangsjahre, als Mangelwirtschaft und Dürreperioden zur | |
bislang katastrophalsten Hungersnot in der Geschichte des Landes geführt | |
haben, sind bis zu einer halben Million Nordkoreaner auf grausamste Art | |
gestorben. Dieser traumatische Vertrauensverlust in den Staat führte nicht | |
zuletzt dazu, dass das Regime seine Legitimation vor allem aus seiner | |
militärischen Schutzfunktion bezieht. | |
Die für Außenstehende wohl unbequemste Wahrheit über Nordkorea ist, dass | |
das Volk noch immer weitgehend hinter seinem Regime steht. Laut einer | |
aktuellen Umfrage unter Nordkoreanern, die erst vor Kurzem nach Südkorea | |
geflohen sind, behaupten das immerhin rund zwei Drittel. | |
Tatsächlich beschränken sich in den mehr als 70 Jahren seit Staatsgründung | |
die einzig bekannten Unruhen auf Ausschreitungen bei Fußballspielen oder | |
Marktstreitigkeiten. Das lässt sich nicht ausschließlich mit der | |
totalitären Überwachung erklären, die übrigens in ihrer technischen | |
Dimension dem Stasi-Apparat der DDR weit unterlegen ist. | |
## Große Hoffnungen | |
Tatsächlich hat die Bevölkerung große Hoffnungen an Kim Jong Uns | |
Machtantritt geknüpft. Auch wenn das Regime die ideologischen Zügel weiter | |
angezogen hat, hat es andererseits mit seinen Marktreformen der letzten | |
Jahre einen wirtschaftlichen Weg eingeschlagen, der in Ansätzen an Deng | |
Xiaoping, den großen chinesischen Reformer, erinnert: Bauern dürfen | |
mittlerweile Teile ihrer Ernten auf dem freien Markt verkaufen, Leiter von | |
Staatsbetrieben die Löhne ihrer Angestellten festsetzen. Auch die | |
zahlreichen Schwarzmärkte des Landes werden von den Behörden weitgehend | |
toleriert. | |
Laut Schätzungen des Nordkoreaexperten Andrei Lankov macht der private | |
Sektor in Nordkorea bereits zwischen 30 und 50 Prozent des | |
Bruttoinlandsprodukts aus. Es wird erwartet, dass Kim Jong Un diesen | |
marktwirtschaftlichen Kurs Anfang Mai während des siebten Parteikongresses, | |
des ersten seit 1980, auch ganz offiziell anerkennen wird. | |
Sanktionen und Repressalien, [1][wie sie derzeit unter Federführung von | |
Washington weiter forciert werden], führen vor allem dazu, den Status quo | |
weiter zu zementieren. Je konfrontativer das westliche Ausland Nordkorea | |
begegnet, desto effektiver können die reaktionären Parteikader ihre | |
Opferkarte ausspielen – und für die Misere des Landes alleine das | |
„imperialistische Ausland“ verantwortlich machen. Es ist sicher kein | |
Zufall, dass Nordkorea ausgerechnet während der Amtszeit George W. Bushs | |
zur Atommacht aufgestiegen ist. | |
## Propaganda mit Schokoriegeln | |
Nur gegenseitiger Austausch und wirtschaftliche Annäherung werden | |
nachhaltig für Frieden und Stabilität auf der koreanischen Halbinsel | |
sorgen. Die bislang bedeutsamste Kooperation war zweifelsfrei die | |
Sonderwirtschaftszone Kaesong, die während der „Sonnenscheinpolitik“ um die | |
Jahrtausendwende vereinbart wurde: Über 50.000 Nordkoreaner arbeiteten | |
entlang der Demarkationslinie in 124 südkoreanischen Fabriken. Der | |
Industriestandort wurde ganz bewusst auf einen der wenigen möglichen | |
Invasionskorridore der ansonsten bergigen Grenze gelegt. | |
Kaesong diente nicht nur als Frühwarnsystem für innerkoreanische | |
Spannungen, sondern auch als einmaliges Propagandawerkzeug: Die | |
hochmodernen Fabriken, das nahrhafte Essen, ja selbst die täglich | |
verteilten Schokoriegel zeigten den nordkoreanischen Arbeitern auf ganz | |
banale Weise die Überlegenheit des westlichen Systems. Vielleicht hat Kim | |
Jong Il deshalb laut Angaben des Fachmediums Daily NK seinem Sohn noch am | |
Sterbebett befohlen, die Sonderwirtschaftszone bei nächstbester Gelegenheit | |
zu schließen. | |
Nun hat dies ausgerechnet die südkoreanische Präsidentin Park Geun-hye | |
erledigt – obwohl sie erst 2013 in einem Vertrag eingefordert hatte, den | |
Betrieb von Kaesong unter keinen Umständen von innerkoreanischen Spannungen | |
abhängig zu machen. Mit diesem einschneidenden Schritt hat sich Park | |
endgültig von ihrer symbolischen „Trustpolitik“ abgewendet. Dabei sollte | |
sie von der namensgebenden „Ostpolitik“ doch eins gelernt haben: Wandel | |
entsteht nicht über Nacht. | |
3 Mar 2016 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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