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# taz.de -- Acht Stunden Revolution im Film: Schmal sind oft die Pfade
> Lav Diaz‘ „A Lullaby to the Sorrowful Mystery“ ruft die philippinische
> Revolution aus dem Nebel der Geschichte zurück. Acht Stunden lang.
Bild: Ronnie Lazaro in „A Lullaby to the Sorrowful Mystery“ von Lav Diaz.
Die Jahre 1896 und 1897 sind die Jahre der philippinischen Revolution, des
gescheiterten Aufstands gegen die spanische Kolonialmacht. Am 30. Dezember
1896, wurde José Rizal, einer der Widerstandskämpfer, in Bagumbayan in
Manila hingerichtet. Rizal war Dichter und Arzt, in der Nacht vor seinem
Tod verfasste er ein Gedicht, das in Lav Diaz‘ Film „A Lullaby to the
Sorrowful Mystery“ an zwei Stellen ausführlich rezitiert wird.
Der Film, acht Stunden lang, ist ein Historiendrama wie es noch keines gab.
Es schwirren einem hinterher die Namen von Revolutionären, von Stätten der
Revolution durch den Kopf, es schweben einem Gedichte und Lieder vor Augen
und Ohren.
Am Ende erwacht man wie aus einem Traum, getränkt mit dem Ambient-Sound der
Natur. Stunden verbringt man mit diesem Film im Wald. Da rauscht es und
flispert, der Regen trommelt und tröpfelt, es windet und weht, ohne
Unterlass, alle Zeit, zu Tag und sehr oft auch zu Nacht. Selbst in
geschlossenen Räumen in der Stadt sind die Dialoge in Außengeräusche
gebettet, sind Innen und Außen von großer gegenseitiger Durchlässigkeit.
## Medium der Aufklärung
Diese Stadtszenen freilich finden sich nur in der ersten Hälfte des Films.
Und nur hier sind Vertreter der Kolonialmacht zu sehen, am Rande der
Karikatur, historische Akuratesse ist nicht das, worum es Lav Diaz dabei
geht, zumindest nicht im buchstäblichen Sinn. In einem der bizarrsten
Momente wird sogar die erste Vorführung des Lumière‘schen Kinematografen in
Manila in den Film inkorporiert. Als Medium der Aufklärung, als Medium, das
den Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse in sich aufheben kann,
erscheint der Kinematograf dabei nicht.
Lav Diaz jedoch versteht sein Kino sehr wohl als genau diese Kunst. Eine
Kunst, die nicht Wissen und Zeit rafft, um daraus narrative Spannungsbögen
zu schlagen; sondern eine Kunst, die sich alle Zeit nimmt, die sich eine
eigene Zeit schafft, in der sich die historischen Zeichen und Spuren
verdichten und dann wieder verlaufen. Und sie schafft einen Raum, in dem
die Darsteller nicht das historische Geschehen wiederaufführen, als wäre es
wirklich; vielmehr ist es ein Raum, durch den sie sich bewegen, in dem sie
ruhen, in dem sie gehen und stehen, vor allem auch sitzen, und reden,
reden, reden.
## Lichtes Verschwimmen
Sie reden über den Aufstand, ihre Rolle darin, es geht viel um Verrat, die
Verzweiflung über das philippinische Schicksal, am Ende auch um die
Hoffnung. Rauch zieht auf, oder Nebel. So oft, in so vielen Bildern. Mal
verbündet er sich mit der geradezu expressionistischen
Schlagschattenbeleuchtung, die vielen Einstellungen Dramatik verleiht. Dann
wieder treibt er als Sfumato-Effekt über die Bildoberfläche, hüllt Figur
und Natur in sein lichtes Verschwimmen, als wäre die Vergangenheit etwas,
das jederzeit seine Präsenz, seine Schärfe, seine Umrisse zu verlieren
droht.
Gegen diesen Verlust filmt Lav Diaz an. Mit Leidenschaft und Sturheit, der
ihm eigenen Radikalität. Niemand hätte gedacht, das könnte je dazu führen,
dass ein acht Stunden langer, schwarzweißer äußerster Fremdling einmal im
Berlinale-Wettbewerb sein Unwesen treibt.
Übrigens gibt es Erzählung, sehr wohl, und nicht zu knapp. Verschiedene
Stränge. In zwei davon treiben kleine Grüppchen heraus aus der Stadt in den
Wald, wo sie suchen und harren, sich verlieren, an den Rand von Tod und
Wahnsinn und in fantasmagorische Szenen geraten.
## Schönheit gegen das Scheitern
Der Wald ist kein Raum der Freiheit, alles andere als das. Schmal oft die
Pfade, von wuchernden Pflanzen bedrängt. Auch das Bildformat ist weit
entfernt von Cinemascope, Rahmen im Bild engen die Spielräume nicht selten
noch zusätzlich ein. Und doch ist das alles von sehr großer Schönheit in
seinen (vom Nebel durchzogenen) harten Licht- und Dunkelkontrasten, aber
auch dem nuancierten Grau-in-Grau, in das die Schwarz-Weiß-Bilder das
überwältigende Waldgrün transformieren.
Schönheit gegen das Scheitern, ein Scheitern ohne Erlösung. Daran lässt Lav
Diaz nämlich auch keine Zweifel: Die inneren Fraktionierungen, der Verrat
unter Freunden, das Kleinliche, das Korrupte, das ist der Dschungel, aus
dem sein Land bis heute den Ausweg noch sucht.
19 Feb 2016
## AUTOREN
Ekkehard Knörer
## TAGS
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Philippinen
Lav Diaz
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